Die Einstellung der Deutschen ist gelegentlich verblüffend: Laut einer aktuellen TNS Emnid-Umfrage im Auftrag der Postbank glauben noch immer 31 Prozent, die gesetzliche Rente würde für ihren Lebensunterhalt im Ruhestand genügen. Kaum einer dieser Optimisten befürchtet Einbußen beim gewohnten Lebensstandard. Da wird die Mehrheit von ihnen aber irren.
Derzeit erreicht die gesetzliche Rente noch etwa 48 Prozent eines durchschnittlichen Nettoeinkommens vor Steuern ab. Im Jahr 2010 lag es noch bei 52 Prozent. Bis 2030 soll dieses Niveau weiter auf 43 Prozent sinken. Derzeit streiten Politik und Interessenverbände darüber, ob das heutige Rentenniveau auch für die Folgejahre festgeschrieben, angehoben oder weiter abgesenkt werden soll. Eine Mammutaufgabe mit Mammutsummen.
Zumindest soll das System schon ab dem Jahr 2017 deutlich flexibler werden, insbesondere beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Die Möglichkeiten zum Bezug einer Teilrente plus Teilzeitjob oder für ein Erwerbsleben über das Rentenalter hinaus sollen verbessert werden. Damit sollen Arbeitnehmer ihr Alterseinkommen aufstocken können. Aus diesen Gründen hat sich die Koalition auf eine Flexi-Rente“ verständigt.
Am Donnerstag wurde der von der Regierung verabschiedete Gesetzentwurf erstmals im Bundestag beraten – und es gab reichlich Gegenwind der Opposition, unter anderem weil das Gesetz nicht das Problem der Geringverdiener-Renten angeht oder die neuen Regeln nicht weit genug gingen. Nach der Anhörung der Sachverständigen im Oktober soll das Gesetz dann im November im Bundestag beschlossen werden und ab dem 1. Januar 2017 gelten. Welche konkrete Ausgestaltung die Regelung dann haben wird, steht somit noch nicht fest.
Warum die Reform nötig ist
Nachdem zunächst Mütterrente und die abschlagfreie Rente mit 63 Jahren (nach 45 Beitragsjahren) 2014 eingeführt wurden, verlangte die Union für ihre Zustimmung Verbesserungen für Rentner, die auch im Ruhestand noch arbeiten wollen. Bereits im November 2014 lagen die ersten Vorschläge für die sogenannte Flexi-Rente auf dem Tisch. Aber erst Mitte September dieses Jahres gab das Kabinett der Merkel-Regierung seinen Segen.
Die Regelungen im Einzelnen
Im Wesentlichen geht es bei der neuen Flexi-Rente um wichtige Änderungen in drei Bereichen:
• Arbeiten über das Regelrentenalter hinaus soll finanziell attraktiver werden, indem auch die aufgeschobene Rente schneller steigt.
• Frührentner: Wer früher in Rente gehen möchte oder muss, erhält nur eine verminderte Rente. Die Möglichkeiten, die dann wirksamen Abschläge durch freiwillige Einzahlungen auszugleichen, sollen verbessert werden.
• Wer neben seiner Früh- oder Teilrente etwas hinzuverdienen will, soll verbesserte Möglichkeiten dazu erhalten und weniger schnell hohe Abschläge bei seiner Rente hinnehmen müssen. Das bisherige, gänzlich unattraktive Modell mit hohen, stufenweisen Abschlägen soll durch ein stufenloses System Hinzuverdienstmöglichkeiten fairer gestalten.
Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten
Die Prognosen beziehen sich auf den sogenannten Standardrentner, der 45 Jahre Beiträge gezahlt und immer das Durchschnittseinkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verdient hat. Die angegebene Bruttostandardrente versteht sich vor Steuern. Das Sicherungsniveau vor Steuern gibt das Verhältnis der Renten im Vergleich zum Durchschnittseinkommen der beitragszahlenden Beschäftigten abzüglich der durchschnittlichen Sozialversicherungsbeiträge an.
Quelle: Rentenversicherungsbericht 2015, Deutsche Rentenversicherung Bund, Stand: November 2015
Beitragssatz zur GRV: 19,9 %
Bruttostandardrente: 1224 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 51,6 %
Beitragssatz zur GRV: 18,7 %
Bruttostandardrente: 1372 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 47,7 %
Beitragssatz zur GRV: 18,7 %
Bruttostandardrente: 1517 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 47,6 %
Beitragssatz zur GRV: 20,4 %
Bruttostandardrente: 1680 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 46,0 %
Beitragssatz zur GRV: 21,5 %
Bruttostandardrente: 1824 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 44,6 %
Länger arbeiten mit Rententurbo
Politiker hoffen wegen des drückenden Fachkräftemangels darauf, dass künftig mehr Arbeitnehmer ihren Renteneintritt hinauszögern und länger arbeiten. Das ging auch nach den bisherigen Regeln problemlos, war aber nicht sonderlich attraktiv in Bezug auf die Rente. Zwar erhöhte sich die spätere Rente um 0,5 Prozent für jeden Monat, der über die Regelaltersgrenze hinaus gearbeitet wurde. Die Einzahlung weiterer Beiträge in die Rentenversicherung ist dem Arbeitnehmer im Rentenalter aber nicht möglich.
Der Arbeitgeber hingegen muss bislang seinen Anteil an den Rentenversicherungsbeiträgen zahlen, ohne dass diese die spätere Rente des Arbeitnehmers erhöht haben. Das Geld verschwand in der Kasse der Rentenversicherung und kam bestenfalls allen Versicherten zugute. Kein Wunder, dass von den 650.000 Neurentner 2013 gerade mal zwei Prozent ihre Rente durch längeres Arbeiten hinauszögerten – vermutlich nicht des Geldes wegen. Mit Einführung der Flexi-Rente will die Regierung diesen Missstand beenden.
Länger arbeiten lohnt sich bald richtig
Mit der Flexi-Rente soll künftig auch die monatliche Rente steigen. Der Arbeitnehmer kann sich nach Erreichen des Rentenalters dafür entscheiden weiter seine Beiträge an die Rentenversicherung zu zahlen (Opting-in). Dann kommen auch die Arbeitsgeberbeiträge seiner Rente zugute und er sammelt fleißig weiter Rentenpunkte. Den Zuschlag von 0,5 Prozent pro Monat gibt es weiterhin. Der Arbeitgeber wird dadurch belohnt, dass er sich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (1,5 Prozent vom Bruttolohn) sparen kann – schließlich kann der Arbeitnehmer jederzeit in Ruhestand gehen und dann seine volle Rente beziehen. Ein Arbeitnehmer, der seinen Rentenantrag also erst ein Jahr später stellt, erhöht seine Rente durch den Bonus um sechs Prozent. Zahlt er zudem weiter freiwillig in die Rentenversicherung, sammelt er weitere Entgeltpunkte, die die Rente zusätzlich steigern, beim Durchschnittverdiener sind das 30,45 Euro für die Beiträge eines Jahres.
Bis zum Erreichen des regulären Rentenalters bleiben alle Frührentner (Voll- oder Teilrentner) hingegen beitragspflichtig - derzeit sind Vollrentenbezieher noch automatisch von der Beitragspflicht befreit. Durch die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht sich dann jeweils zum Anpassungstermin am 1. Juli jeden Jahres die bereits laufende Rente.
Mehr Möglichkeiten für Frührentner
Grundsätzlich kann die gesetzliche Rente frühestens ab einen Alter von 63 Jahren bezogen werden. Wer noch früher mit dem Arbeiten aufhört, ist auf Arbeitslosengeld oder auf andere Rentenarten und Ersparnisse zum Bestreiten seines Lebensunterhalts angewiesen. Ab 63 Jahren gibt es eine abschlagfreie Rente aber nur, wenn der Frührentner 45 Beitragsjahre bei der Rentenversicherung nachweisen kann. Für alle anderen gibt es für jeden Monat vorzeitigen Ruhestands einen Rentenabzug von 0,3 Prozent. Die Neurentner 2016 (Jahrgang 1951) erreichen die Regelaltersgrenze mit 65 Jahren und 5 Monaten. Bis 2029 wird dann das Regelalter jährlich um einen Monat erhöht, bis es schließlich für alle Jahrgänge ab 1964 bei 67 Jahren liegt. Beantragen Arbeitnehmer also derzeit die Rente ab 63, fehlen ihnen somit 29 Beitragsmonate, sodass sich die Abschläge auf 8,7 Prozent der Regelrente summieren. Die sollen Arbeitnehmer künftig besser mildern können.
Freiwillige Einmalzahlungen lohnen sich
Während laut Umfragen höchstens jeder fünfte Arbeitnehmer über das Rentenalter hinaus arbeiten würde, wenn sich dadurch seine Rente erhöht, würden mehr als zwei von fünf Arbeitnehmern lieber früher in Rente gehen – selbst, wenn das mit Rentenabschlägen einhergeht. Ihr Anteil dürfte mit der Flexi-Rente künftig steigen.
Der vorzeitige Ruhestand – vor allem der geplante – soll zwar weiterhin erst ab dem 63 Lebensjahr möglich sein, dafür aber erhält der Rentenversicherte künftig die Möglichkeit, schon früher für einen Ausgleich zu sorgen, um die Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat vorzeitigem Renteneintritt wettzumachen. Bisher konnten Arbeitnehmer erst ab einem Alter von 55 Jahren Rentenabschläge durch freiwillige Einzahlungen in die Rentenkasse ausgleichen. Künftig soll dies schon ab 50 Jahren möglich sein.
Dadurch lassen sich die oft hohen fünfstelligen Beträge, die für einen Ausgleich nötig werden, über längere Zeit strecken und planen. Angedacht ist, dass die Rentenauskunft dann ab einem Alter von 50 Jahren automatisch Hinweise darauf gibt, wie hoch die Nachzahlungen an die Rentenkasse anzusetzen wären. Anhand dessen oder nach einer – einem durchaus empfehlenswerten Besuch beim Rentenberater - kann der Arbeitnehmer überlegen, ob er die Altersrente vorzeitig beziehen, die Abzüge jedoch durch zusätzliche Einzahlungen ausgleichen will.
Beispielrechnung und Rendite von Nachzahlungen
Ob sich zusätzliche Einzahlungen lohnen, ist jedoch stark vom Einzelfall und den individuellen Ansprüchen abhängig. Außerdem ist für die Rendite der Einzahlungen entscheidend, wie lange jemand lebt und Rente bezieht. Dazu ein reales Beispiel:
Regula Bernhard* ist gut verdienende Akademikerin und weiß seit kurzem, dass ihre Dienste in drei Jahren – sie wird dann 60 Jahre alt sein – nicht mehr benötigt werden. Einen neuen Job wird sie kaum finden und deshalb bis zum frühestmöglichen Renteneintritt Arbeitslosengeld beziehen. Eigentlich käme sie erst mit 66 Jahren und zwei Monaten in den Genuss der Regelrente. Nun muss sie 2022 mit 63 Jahren in die Frührente.
Rentenprognosen für 2040
Die vorliegenden Berechnungen stammen aus der Studie "Rentenperspektiven 2040" von Prognos. Die Prognosen beziehen sich jeweils auf zwei Kreise im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Berechnet wurden jeweils die durchschnittliche Bruttorente für sechs typisierte Erwerbsbiografien. Erwerbslücken aufgrund von Kindererziehungszeiten weisen in diesem Beispiel zwei Erwerbsbiografien auf. Gerechnet wurden die Prognosewerte ohne Inflationsanpassung, das heißt nach dem Preisniveau in Euro aus dem Jahr 2015 um die Zahlen mit heutigen Werten vergleichbar zu machen. Nominal dürften die zukünftigen Renten und Einkommenshöhen 2040 entsprechend höher liegen. Der Kaufkraftvergleich steht im Zentrum der Betrachtung.
Stand: 12.11.2015
Bruttorente (€) | Bruttorentenniveau |
1678 | 38,90 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hamburg | 2726 | 2383 | 33,5 % |
Schwerin | 2291 | 2343 | 33,6 % |
Bund | 2597 | 34,0 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Halle | 2045 | 2158 | 35,8 % |
Saalekreis | 2191 | 2463 | 34,4 % |
Bund | 2324 | 36,9 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Berlin | 1451 | 1369 | 35,3 % |
München | 1452 | 1113 | 34,4 % |
Bund | 1456 | 35,4 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hildesheim LK | 1083 | 1174 | 52,0 % |
Konstanz LK | 1086 | 1026 | 50,9 % |
Bund | 1095 | 50,8 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hohenlohekreis | 2579 | 2658 | 34,1 % |
Merzig-Wadern | 2391 | 2439 | 35,5 % |
Bund | 2366 | 33,6 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Bonn | 1611 | 1506 | 42,1 % |
Köln | 1620 | 1473 | 41,8 % |
Bund | 1612 | 39,7 % |
Um die hohen Abschläge von 11,4 Prozent – in ihrem Fall wegen des guten Einkommens mehr als 230 Euro, die im Vergleich zur monatlichen Regelaltersrente fehlen - zu kompensieren, hat sie von der Deutschen Rentenversicherung ausrechnen lassen, wie viel sie freiwillig in die Rentenkasse einzahlen müsste: rund 58.500 Euro. Damit käme sie dann auf gut 67 Entgeltpunkte, von denen jeder aktuell 30,45 Euro monatlicher Rente in den alten Bundesländern entspricht. Ziel ist also eine Monatsrente von 2041 Euro.
Ob sich der teure Rückkauf von Abschlägen lohnt, hängt zunächst von der Lebensdauer beziehungsweise der Rentenbezugszeit ab. Laut Sterbetafel bleiben Frau Bernhard nach Beginn der Frührente noch 23,5 Jahre. Die Rendite auf die hohe Nachzahlung hängt nun aber auch davon ab, wie die Renten künftig – relativ zur Lohnentwicklung - angepasst werden. Dabei würde Frau Bernhard sogar von Rentenerhöhungen während der Wartezeit bis zum Rentenbeginn und während des Rentenbezugs profitieren, insgesamt also über einen Zeitraum von fast 30 Jahren.
Mehr als zwei Prozent Rendite
Finanzmathematiker Siepe hat nachgerechnet: Gibt es künftig nur noch Nullrunden für die Rentner, läge die Rendite für Frau Bernhard bei knapp einem Prozent. Eine jährliche Rentensteigerung von einem Prozent unterstellt, ergibt sich bereits eine Rendite von dann 2,3 Prozent. Bei Rentenerhöhungen von jährlich zwei Prozent läge die Rendite sogar bei stolzen 3,7 Prozent. „Eine Rendite von 2,3 Prozent halte ich für realistisch, 3,7 Prozent sind hingegen optimistisch“, sagt Siepe. Eine Rendite von nur einem Prozent sei hingegen realitätsfern, weil es dann keine Rentenerhöhung während der kommenden 30 Jahre geben dürfte. Im Vergleich zu risikolosen festverzinslichen Geldanlagen sind aber mehr als zwei Prozent Rendite aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den meisten Fällen ein sehr gutes Ergebnis.
„Wer Rentenabschläge ausgleichen will, muss dies allerdings nicht auf einmal und komplett tun, sondern kann auch Teile zahlen oder seinen Einzahlbetrag stückeln“, erklärt Martina Herbrich, Präsidentin des Bundesverbands der Rentenberater. „Gut ist, dass die Arbeitnehmer nun fünf Jahre mehr Zeit bekommen sollen, sich darum zu kümmern.“ Eine Verteilung der Ausgleichszahlung über mehrere Jahre kann sogar aus steuerlichen Gründen vorteilhaft sein, weil Steuerfreibeträge so mehrfach ausgeschöpft werden können.
Stufenlose Rentenabschläge bei Hinzuverdienst
Wer eine Teil- oder Frührente bezieht, darf sich etwas hinzuverdienen. Allerdings gibt es dafür – außer bei Regelaltersrenten – Obergrenzen. Bisher genügte es, diese Obergrenze nur um einen Euro zu überschreiten, um harschen Renteneinbußen zu verursachen. Nach den bisherigen Regeln reduziert sich dann etwa eine volle Rente entsprechend der angesammelten Entgeltpunkte auf eine Teilrente mit nur zwei Dritteln des bisherigen Rentenanspruchs.
Wer bereits eine Teilrente bezog, musste ebenfalls drastische Kürzungen hinnehmen. Aus einer Zwei-Drittel-Teilrente wurde dann eine halbe, aus einer halben Teilrente eine Ein-Drittel-Rente und eine Ein-Drittel-Rente wurde beim Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze ganz gestrichen.
Das hat vorhandenen Arbeitswillen für die Teil- und Frührentner natürlich schnell ad absurdum geführt. Wer eine volle Rente vor Erreichen des Regelrentenalters bezieht, darf nämlich bisher nur 450 Euro monatlich (mit zwei Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld maximal 14-mal im Jahr) verdienen. Er bleibt also auf einen Minijob beschränkt, will er keine drakonischen Abschläge riskieren.
Die neuen Regeln für den Hinzuverdienst sollen erst ab dem 1. Juli 2017 gelten, da immer in der Jahresmitte die Rentenanpassungen erfolgen. Jetzt steht als abschlagfreie Obergrenze nur noch ein Jahreshinzuverdienst von 6300 Euro im Gesetzentwurf. Wer dann mehr verdient, rutscht nicht mehr in die nächstniedrige Teilrentenstufe. Stattdessen werden für jeden hinzuverdienten Euro oberhalb der von 6300 Euro 40 Cent von der Rente abgezogen. Wer also beispielsweise 7300 Euro im Jahr hinzuverdient, dem wird die Rente um 400 Euro gekürzt. Somit fallen die starren Teilrentenstufen weg. Die neue Regelung orientiert sich an den 40-Prozent-Kürzungen, die analog bei Hinterbliebenenrenten schon lange gelten.
Um es noch einmal klarzustellen: Die Hinzuverdienstgrenzen gelten nur bei vorgezogenen Altersrenten, die – abgesehen von der abschlagfreien Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren – immer auch mit Abschlägen verbunden sind. Ob sich der Hinzuverdienst für den Einzelnen lohnt, hängt immer von der individuellen Situation, der Rentenhöhe nach Abschlag, den Kosten für Sozialversicherungen und den fälligen Steuern ab. Erst nach Erreichen des Rentenalters dürfen Ruheständler ihre volle Rente beziehen und zudem unbegrenzt hinzuverdienen, ohne Rentenabschläge zu riskieren.
Vorschläge zur Renten-Reform
Rund 536 000 Menschen erhalten Grundsicherung im Alter. Künftig dürfte Altersarmut weiter zunehmen, weil mehr Arbeitnehmer gebrochene Erwerbslaufbahnen haben und nicht durchgängig in die Rentenkasse einzahlen. Auch viele Alleinerziehende und Selbstständige ohne ausreichende Eigenvorsorge sind betroffen. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Axel Reimann, fordert, Selbstständige ohne Altersvorsorge sollten obligatorisch in der Rentenversicherung abgesichert werden.
Rund 40 Prozent der Beschäftigten haben keine Betriebsrente. Arbeitgeber könnten - so diskutiert das derzeit die Koalition - verpflichtet werden, den Arbeitnehmern Angebote zu machen. Geringverdiener könnten mit einem Förderbetrag stärker unterstützt werden. Kleinen und mittleren Unternehmen könnten die Risiken mittels kollektiver Haftungslösungen genommen werden. Die Koalition mildert vielleicht auch das Problem doppelter Krankenkassenbeiträge auf Beiträge und Erträge ab.
Erst ab 63 ist die Rente wegen Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen ohne Abschläge möglich. Vorher werden bis zu 10,8 Prozent abgezogen. Vielfach führt Erwerbsminderung zu Armut: Knapp 502 000 Menschen mit Erwerbsminderung erhalten Grundsicherung. Die Opposition fordert die Abschaffung der Abschläge.
Wer bereits mit 63 in Teilrente geht, soll laut einem rot-schwarzen Gesetzentwurf mehr vom Zuverdienst behalten können. Bei der Teilrente mit 63 wird die Rente ab einer Zuverdienstgrenze von 450 Euro heute stark gekürzt. Stärker lohnen soll sich aber auch das Arbeiten über die reguläre Altersgrenze hinaus. Dafür sollen die Arbeitnehmer Rentenbeiträge zahlen können, die dann zu einer Steigerung der Rente führen. Heute zahlen Arbeitgeber bei Beschäftigung eines Rentners den Arbeitgeberanteil, ohne dass das die Rente steigen lässt.
Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will die versprochene Aufwertung kleiner Renten bald auf den Weg bringen. Bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit sollen angerechnet werden. Eine Krux dabei: Viele Bezieher von Kleinrenten leben in gut situierten Haushalten, etwa wenn der Ehemann gut verdient hat. Deshalb sollen laut Nahles die Partnereinkommen berücksichtigt werden.
Ende 2019 soll die Angleichung der Ost- an die Westrenten kommen. Die Standardrente nach 45 Beitragsjahren mit Durchschnittslohn liegt in den neuen Ländern bei 1217 Euro - 97 Euro unter dem Westwert. Doch käme die Angleichung konsequent, hätte das negative Folgen für die künftigen Ostrentner. Denn bei der Rentenberechnung werden die Ostlöhne heute noch aufgewertet.
Es soll auf 67 bis 2029 steigen. Weil immer weniger Einzahler in die Rentenkasse künftig für immer mehr Rentenbezieher aufkommen müssen, werden Forderungen nach einer Anhebung des Rentenalters immer lauter. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) etwa ist für eine Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung.
Heute liegt es bei rund 48 Prozent - unter 43 Prozent darf dieses Verhältnis von der Standardrente zum Durchschnittslohn bis 2030 laut Gesetz nicht fallen. Doch das schützt immer weniger vor Altersarmut. Immer mehr Politiker aus allen Parteien fordern eine Stabilisierung, die Linke will mit 53 Prozent hier am meisten.
Gut 16 Millionen Bürger haben einen Riester-Vertrag. In knapp einem Fünftel der Verträge fließt aber kein Geld mehr. Nur gut jeder Zweite schöpft die staatliche Förderung voll aus. Der DGB fordert bereits, die Riesterrente auslaufen zu lassen. Vertrauensschutz würde es nur für laufende Verträge geben. Allerdings dürften die Politik der Eigenvorsorge künftig auf der einen oder anderen Weise eher eine bedeutendere als eine kleinere Rolle zumessen, wie man von Politikern oft hört.
Angesichts der Schwächen von Riester- und Betriebsrenten gewinnt die Vorstellung einer einfacheren zusätzlichen Absicherung mit staatlicher Garantie immer mehr Anhänger. Aus der hessischen Landesregierung kam der Vorstoß für eine Deutschlandrente - ein einfaches Standardprodukt für jedermann. Jeder Arbeitnehmer soll über vom Arbeitgeber abgezwackte Beiträge in einen zentralen Fonds einzahlen - sofern sie gegenüber dem Arbeitgeber nicht aktiv widersprechen.
Im Einzelfall ist die alte Regelung günstiger
Das macht das Arbeiten nach Beginn des Rentenbezugs sicherlich attraktiver als bislang. Allerdings stellt sich nicht unbedingt jeder mit der neuen Regelung besser.
Dass dies bei Gutverdienern der Fall sein kann, hat Finanzmathematiker Siepe für die WirtschaftsWoche vorgerechnet. „Sicher kommt eine Schlechterstellung nur im Extremfall vor. Aber man kann eben nicht einfach behaupten, dass alle Frührentner davon profitieren“, betont Siepe.
In der Praxis sähe das nach Berechnungen von Werner Siepe zum Beispiel so aus:
Beispiel 1:
Bei einer vollen Rente von 2000 Euro brutto, für die im Erwerbleben ungefähr ein Bruttogehalt von 5000 Euro nötig war, und einem zusätzlichen, versicherungsfreien Minijob für 450 Euro im Monat bleiben einem ledigen Rentner eine Rente von netto 1680 Euro. Zusammen mit dem Einkommen aus dem Minijob kommt er so auf ein Gesamteinkommen von 2130 Euro. Gemessen an den Bruttoeinkünften von 2450 Euro hat sich der Hinzuverdienst also gelohnt.
Beispiel 2:
Verdient der Rentner stattdessen 2500 Euro brutto, indem er weiter halbtags arbeitet, wird seine Rente um 790 Euro auf 1210 Euro gekürzt. Von den 3710 Euro, die ihm brutto verbleiben, muss er Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge sowie Steuern zahlen, sodass ihm netto nur noch rund 2560 Euro netto im Portemonnaie bleiben. Obwohl er brutto 2050 Euro mehr verdient als im ersten Fall, steigt sein Einkommen nur um gut 430 Euro. Für diesen Rentner lohnt sich der Hinzuverdienst nicht.
Die Beispiele zeigen, dass die Berechnungen für den Hinzuverdienst nur schwer durchschaubar sind und immer im Einzelfall geprüft werden müssen. „Ein Früh- oder Teilrentner ist bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze automatisch versicherungspflichtig, mit Erreichen der Regelaltersgrenze wurde er automatisch von dieser Versicherungspflicht befreit“, sagt Herbrich von Rentenberaterverband. „Neu ist, dass er bei Erreichen der Regelaltersgrenze auf die dann eintretende Versicherungsfreiheit verzichten und weiter Rentenbeiträge zahlen kann, das sogenannte Opting-in. Dass in dieser Phase weiter Entgeltpunkte gesammelt und die Rente erhöht werden kann, ist zu begrüßen. Die starren Regeln waren insbesondere für Teilrentner unattraktiv.“
*Name von der Redaktion geändert
Werden Frührentner jetzt besser gestellt?
Versicherungswirtschaft und Arbeitgeber lehnen die Verbesserungen für Frührentner ab, insbesondere beim Abkaufen von Rentenabschlägen als zu günstig. Die vermeintliche Logik dahinter: Frührentner würden länger eine abschlagfreie Rente beziehen und den Arbeitsmarkt früher verlassen – was somit auch die Solidargemeinschaft belastet.
Allerdings haben die Versicherungen auch ein Interesse am Geschäft mit privater und betrieblicher Altersvorsorge. Die sind aber wegen der niedrigen Zinsen derzeit vielfach unattraktiver als die gesetzliche Rentenversicherung. Die Arbeitgeber befürchten, dass diese Regelung zu noch mehr Frührentnern führt, das Rentensystem weiter aushöhlt und den Fachkräftemangel verschärft. Die Argumentation hinkt aber, weil die künftigen Rentner schließlich für ihre Rentenerhöhung vorher bezahlen – so wie jeder Beitragszahler. Sie profitieren lediglich von künftigen Rentensteigerungen stärker als junge beitragspflichtige Arbeitnehmer.
„Das Argument, dass Rückkäufe von Rentenabschlägen im großen Stil die Solidargemeinschaft belasten, ist zwar von der Logik her richtig“, räumt der Finanzmathematiker und Fachbuchautor Werner Siepe ein. „Aber im vorigen Jahr haben nur 900 Neurentner den Abschlagsrückkauf genutzt. Selbst wenn dieser Wert auf das Zehnfache ansteigt, wäre das immer noch eine zu vernachlässigende Größenordnung und keine Belastung für die Rentenkassen.“
Andererseits sind die Reglungen tatsächlich flexibler. „Die Idee eines gleitenden Übergangs in die Rente ist gut“, sagt Siepe. „Streit erwarte ich hingegen bei den Hinzuverdienstregeln. Die Deutsche Rentenversicherung und der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisieren die Pläne zu Recht als viel zu komplizierte Bürokratiemonster.“
Das kritisieren selbst die Deutsche Rentenversicherung und der Bundesverband der Rentenberater. Vorgesehen ist nämlich, das Hinzuverdiener vor Arbeitsbeginn eine Einkommensprognose eine Einkommensprognose abgeben müssen. Zum ersten Juli des Folgejahres muss dann das prognostizierte mit dem tatsächlich erzielten Zusatzeinkommen abgeglichen und die Rentenhöhe entsprechend korrigiert werden. So kann es zu jährlichen Rückforderungen oder Nachzahlungen der Rentenversicherung kommen.
Einfacher wäre eine Berechnung analog zu den Hinterbliebenenrenten oder eine großzügigere Obergrenze in Höhe der bisherigen oder des letzten Bruttoeinkommens vor Rentenbeginn oder zumindest eine Netto-Obergrenze in gleicher Höhe. Diese Vorschläge wurden bereits von verschiedenen Seiten immer wieder ins Spiel gebracht, schlagen sich aber bislang nicht im Gesetzentwurf zur Flexi-Rente nieder.
Die Regelungen der Flexi-Rente sind somit nicht der große Wurf, aber immerhin ein deutlicher Schritt im Bemühen, Arbeitsleben und Ruhestand ineinander übergehen zu lassen und diesen Übergang für künftige Rentner besser und ohne große Einbußen gestaltbar zu machen.