Eine Stadt im Hightech-Rausch „Shenzhen ist die Werkstatt der Zukunft“

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Shenzhen ist Chinas Versuchslabor des Kapitalismus

Dabei war Shenzhen noch zu Beginn der Achtzigerjahre nichts weiter als ein verschlafenes Fischerdorf, gelegen direkt an der hochbewachten Grenze, die die zu der Zeit noch streng kommunistisch geführte Volksrepublik von der damaligen britischen Kronkolonie Hongkong trennte. Dann kam Chinas Öffnungspolitik unter dem Reformer Deng Xiaoping. Er erklärte Shenzhen zum Versuchslabor des Kapitalismus, zur ersten Sonderwirtschaftszone. Die ersten Textilfabriken siedelten sich an, es folgten Fertigungsstätten für Spielzeug, Textilien, Kleinelektronik. Millionen Wanderarbeiter aus ganz China strömten nach Shenzhen.

Ausgerechnet der Elektronikzulieferer Foxconn, der für Niedriglöhne und Massenware steht, leitete die zweite industrielle Revolution in der Stadt ein: die zu einer Hightech-Metropole. Das taiwanische Unternehmen errichtete im Stadtgebiet riesige Fertigungsstätten für zeitweise mehr als 300.000 Mitarbeiter – zumeist Wanderarbeiter aus dem Inland, die für Sony, Nintendo, Apple und Hewlett-Packard Spielekonsolen, iPhones und Laptops zusammenschraubten. Aus den Wanderarbeitern sind zum Teil Unternehmer geworden, Ingenieure und Programmierer aus dem ganzen Land sind mittlerweile nachgezogen. Die Stadt erlebt einen gigantischen Startup-Boom. Die Gründer selbst bezeichnen sich als Macher. Sie leben nun über das gesamte Stadtgebiet von fast 2000 Quadratkilometern verteilt und arbeiten an neuen Prototypen.

Die ständige Verfügbarkeit all der kleinen Teile, die für ein neues Produkt nötig sind, macht Shenzhen zum Paradies für Bastler. Auf den großen Elektromärkten stöbern sie nach genau dem Schalter, Lichtleiter oder Speicherchip, den sie für ihre Erfindung brauchen und schrauben sie in irgendwelchen Hinterhöfen zu neuen Gadgets zusammen. Dabei entstehen dann Produkte wie ein iPhone für zwei Sim-Karten, Ping-Pong-Bälle, die von selbst zurückrollen oder Drohnen, die den Rasen sprenkeln. Die Ideen werden oft an große Player wie Xiaomi, Tencent oder Huawei verkauft.

Huawei, der Name fällt häufig in Shenzhen. Denn alle eifern Chinas ältestem Tech-Konzern, der dort seine Zentrale hat, nach. Mit seiner Netzwerktechnik ist Huawei bereits weltweit führend und liefert die Technologie, mit der Telekomkonzerne wie die Deutsche Telekom oder O2 ihre Netze bauen. Huawei ist inzwischen nach Samsung zum weltweit größten Smartphone-Hersteller aufgestiegen. Nächstes Ziel: Weltmarktführer werden. Und auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz will Huawei an die Weltspitze, rüstet Shenzhen schonmal mit der Infrastruktur aus für ein intelligentes Überwachungssystem für den Verkehr oder baut Supercomputer, mit denen Daimler virtuell Autozusammenstöße simulieren kann und das CERN in der Schweiz Teilchen in der Cloud zur Kollision bringt.

Das alles lockt auch Investoren an, vom „Ökosystem Shenzhen“ spricht US-Investor Alan Chan, der für einen Hongkonger Wagnisinvestor arbeitet und in Shenzhen die Szene beobachtet. Huawei oder der Online-Konzern Tencent seien die Bäume, die für alle sichtbar sind. Den Bodensatz aber würden die vielen Hunderttausend kleinen Firmen bilden, die mit ihren Komponenten und Erfindungen den Großen zuarbeiten. „Die ganze Stadt ist eine Werkstatt für die Zukunft“, sagt Chan. Und: „Jeder, der eine Idee hat, kann sofort loslegen.“

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