JD.com mischt Alibaba auf Wie Chinas Online-Handel das Shoppen revolutioniert

Auslieferungsroboter von JD Logistics. Quelle: Getty Images

In nur einem Jahrzehnt ist der Anteil Chinas am weltweiten Online-Handel von einem auf 46 Prozent angestiegen. Kaum ein Unternehmen hat diesen Boom so mit vorangetrieben wie JD.com aus Peking. Der Alibaba-Konkurrent ist derart umtriebig, dass er längst die weltweite Branche aufrüttelt.

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Der Robo-Bote manövriert routiniert durch Pekings dichten Straßenverkehr. Von Autos, die ihn links und rechts überholen, hält der etwa ein Meter lange und bis zu den Schultern reichende Kastenwagen auf seinen vier Gummirädern genügend Abstand. Und auch Fußgängern, die den autonomen Lieferwagen auf die Probe stellen wollen und direkt vor ihm auf die Straße treten, weicht das rotlackierte Gefährt mit vier Gepäckfächern auf jeder Seite gekonnt aus.

Die Zukunft der Logistik hat im Pekinger Stadtteil Haidian Einzug erhalten. Und es sind nicht die üblichen Verdächtigen Alibaba, Tencent oder Baidu, die drei größten Internetfirmen Chinas, die beim jüngsten Innovationsschub vorn zu sein scheinen. Die Testflotte von Roboter-Fahrzeugen steht unter dem Kommando von JD.com, Chinas zweitgrößten Online-Händler, der Alibaba zunehmend das Leben schwermacht.

JD gilt als das wahre „Amazon Chinas“. Denn anders als Platzhirsch Alibaba setzt das vom 45-jährigen Richard Liu gegründete Unternehmen vor allem auf den Verkauf von Waren, die in Hunderten JD-Logistikzentren gelagert und in der Regel auch von eigenen Lieferanten zugestellt werden. Ein Verkauf von gefälschten Produkten durch Dritthändler wie auf den Alibaba-Plattformen ist nahezu unmöglich.

Richard Liu Quelle: Bloomberg

Liu begann seine Karriere als Geschäftsmann schon vor über 20 Jahren. Damals mietete er in Peking von seinen Ersparnissen eine Reihe kleiner Läden, in denen er vor allem Elektronik-Artikel verkaufte. Die Expansion schritt voran, doch dann zwang die in China grassierende Infektionskrankheit SARS den jungen Unternehmer dazu, seine Geschäfte über Wochen dicht zu machen.

Aus der Krise ein Geschäftsmodell gemacht

Die Stadt versuchte durch die Schließung von Schulen, Restaurants und zahlreicher Firmen die weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Liu reagierte prompt und fing an, seine Waren über Internet-Foren zu verkaufen. Kurze Zeit später ging die Website JD.com an den Start. Das „J“ wählte Liu aus dem Vornamen seiner damaligen Freundin „Jing“. Das „D“ für „Dong“, einer Abkürzung seines eigenen chinesischen Vornamens.

Heute nutzen rund 300 Millionen Kunden regelmäßig die Dienste von JD. 2017 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 55,7 Milliarden US-Dollar und ist seit 2014 an der Börse in New York gelistet. Internet-Konzern Tencent ist Partner und Investor, auch die US-Unternehmen Walmart und Google kooperieren mit JD.com. Google beteiligte sich im Juni sogar mit 550 Millionen US-Dollar. Für Gründer Liu ist nun die rasche Automatisierung der Schlüssel, um für JD.com das nächste Zukunftskapitel aufzuschlagen.

Die autonomen Fahrzeuge in Haidian kommen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde. Das größte Fahrzeug kann 30 Pakete gleichzeitig transportieren. Kunden erhalten eine Nachricht aufs Handy, wenn die Lieferung vor der Tür ankommt. Sie können ihre Pakete entweder per Gesichtserkennung, Passwort oder über eine Smartphone-App annehmen. „Ich hoffe, dass es in meiner Firma eines Tages keine Menschen mehr gibt. Alles soll zu 100 Prozent von Robotern und Künstlicher Intelligenz betrieben werden“, sagte Liu im Frühjahr auf einer Technologie-Konferenz. Schon innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle er die Zahl seiner Mitarbeiter von heute 160.000 auf 80.000 halbieren.

JD.com: Speerspitze der Künstlichen Intelligenz

Bisher sind die menschlichen Lieferanten für JD freilich noch unverzichtbar – und Liu hat ihnen viel zu verdanken. Dass er mit einem geschätzten Vermögen von 9,4 Milliarden Dollar zu einem der reichsten Männer des Landes aufgestiegen ist, konnte nur dank des Heeres an günstigen Arbeitern gelingen, die ihm in China zur Verfügung stehen.

Zehntausende Lieferanten hat JD unter Vertrag, die bei Wind und Wetter auf ihren roten Elektro-Tuk-Tuks mit Hunde-Logo, dem Erkennungszeichen der Firma, die Päckchen durch den chaotischen Verkehr chinesischer Städte fahren. Doch die Ansprüche junger Chinesen, die immer besser ausgebildet sind, steigen. Das setzt die Geschäftsmodelle von Firmen, die im bevölkerungsreichsten Land auf günstige Arbeiter setzen, massiv unter Druck. Zudem leidet das Land an einer alternden Bevölkerung und steuert auf einen Arbeitskräftemangel zu.

JD bildet in China die Speerspitze beim Versuch, mit Künstlicher Intelligenz und autonomen Robotern dem Kräftemangel Abhilfe zu schaffen – sogar in der eigenen Zentrale. Im Pekinger Südwesten, rund eine Autostunde vom Zentrum entfernt, erstreckt sich ein imposanter Glasklotz in die Höhe, 14.000 Mitarbeiter arbeiten hier. In der verwinkelten Lobby strahlen die weißen Marmorböden mit den Deckenleuchten um die Wette. Hier können die Angestellten einkaufen, Tee trinken, sich finanziell beraten lassen – und dienen dabei immer auch als eine Art Versuchsobjekte für neueste Technologien.

JD.com-Zentrale Quelle: Grainne Quinlan

So wie im unbemannten Mini-Supermarkt X. Wer einmal sein Handy dort beim Betreten scannt, kann sich Shampoos, Chips oder Eistee in den Einkaufskorb legen, das Erfassen der Waren und das Abrechnen übernehmen Kameras, die mit intelligenter Erkennungssoftware ausgestattet sind, ganz automatisch. Die ganze Welt staunt über zwei ähnliche Prototyp-Shops von Amazon in Seattle, weitere Amazon Go Shops sollen für Chicago und San Francisco geplant sein. Bei JD.com ist aus dem Experiment längst ein Business-Case geworden. 20 solcher X-Läden gibt es in China bereits, sie sollen noch in diesem Jahr auf mehrere Hundert erweitert werden.

In ländlichen Region hat der Konzern bereits seit 2015 erste Drohnen im Einsatz, die es leichter machen sollen, Waren in abgelegene Dörfer zu liefern. Ebenso gibt es erste Versuche mit Schwerlast-Drohnen, die nicht nur einzelne Pakete, sondern Nutzlast von bis zu 200 Kilogramm transportieren können. Und in Shanghai betreibt JD ein ganz besonderes Experiment: ein Logistikzentrum, in dem täglich 200.000 Bestellungen ohne menschliche Arbeiter sortiert, verpackt und zum Versand vorbereitet werden. Nur noch vier Ingenieure überwachen, dass alles funktioniert.

Zukunft auch über China hinaus gestalten

Der Wille, die Zukunft zu gestalten, hört nicht an den Landesgrenzen auf. Nachdem die Expansion in andere asiatische Märkte bereits Fahrt aufgenommen hat, will JD als nächstes in Europa angreifen, wo Vorbild Amazon das Geschäft dominiert. Die Pekinger arbeiten daran, ihre Dienste zunächst in Frankreich, dann in Großbritannien und schließlich auch in Deutschland verfügbar zu machen. Wann genau der Angriff erfolgen soll, will man noch nicht bekanntgeben.

Aber wie so oft bei Tech-Konzernen geht es nicht alleine darum, physische Präsenz zu zeigen. Der Händler aus China soll eines Tages zu einer globalen Plattform gedeihen, die Handel als einen Service für jede Marke, jeden Konzerne weltweit anbietet. „Die Zukunft heißt grenzenloser Handel“, sagt Vizepräsidentin Gloria Lee, die für das Marketing verantwortlich ist. Hilfestellung zumindest in den USA dürfte JD dabei von Google erhalten. Der US-Konzern will in den Online-Handel einsteigen und weiß anhand der Suchdaten, was Kunden begehren – hat aber keine Expertise in der Logistik. Die werden die Chinesen liefern.

Trotz des Expansionsdrangs hat der Aktienkurs von JD zuletzt geschwächelt. Nach einer steilen Rally im vergangenen Jahr sind die Papiere von Januar bis Ende September um knapp 50 Prozent eingebrochen. Analysten machen dafür zum einen die allgemeine Schwäche chinesischer Technologiewerte vor dem Hintergrund des Handelsstreits mit den USA verantwortlich. Für den letzten großen Einbruch sorgten jedoch Berichte über den JD-Chef selbst: Bei einer Reise Anfang September in die USA wurde Liu wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung vorübergehend festgenommen. Kurze Zeit später durfte er die Polizeistation wieder verlassen und ohne Auflagen nach China zurückreisen. Ein Hinweis, dass die Anschuldigung vorläufig nicht belegt werden konnte.

Die Märkte reagierten wohl auch deshalb so nervös, da der Verlust von Liu für JD weitreichende Folgen hätte. Mehr noch als ein Elon Musk bei Tesla oder früher Steve Jobs bei Apple gilt Liu als der alles entscheidende Visionär und Antreiber des Pekinger Unternehmens, der gern die Fäden selbst in der Hand behält.

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