Dreißig Sekunden Händewaschen. Das kam uns bis vor Kurzem noch lächerlich lang vor. Wasserverschwendung, Zeitverschwendung und schlecht für die Haut. Was sollte der Quatsch? Wozu brauchten wir schon Hygiene? Wir haben doch ein Immunsystem. Jetzt wissen wir es besser.
Früher lief es doch so: Husten und Niesen in die Handflächen, „Gesundheit“ – „Danke“ und dann an die Armlehne des Konferenzraumstuhls greifen, die Türklinke drücken, den Kühlschrank in der Kaffeeküche öffnen und den Telefonhörer abnehmen, den kurz darauf die Kollegin abnehmen wird.
Heute niesen und husten wir in die Armbeuge, oder unter den Kragen des T-Shirts. Wir waschen uns länger die Hände. Und wir tragen Masken. Wir denken um. Wegen Corona.
Und wir gehen bei den Erkältungssymptomen Halskratzen, trockener Husten und leichtes Fieber direkt wieder nach Hause. Früher hätten viele da vielleicht einfach 800 Milligramm Ibuprofen geschluckt. Und tapfer weiter bis zum Feierabend gewurschtelt.
Wer sich aber mit einem leichtem Unwohlsein nach Hause verabschiedet hat, der wurde oftmals als fauler Hypochonder schief angeguckt. Viele kommen bislang genau aus diesem Grund schniefend und heiser ins Büro – aus schlechtem Gewissen. Keiner von uns gilt gerne als überempfindliches Weichei. Wegen der Einteilung arbeitsunfähig oder arbeitsfähig. Punkt.
Doch mittlerweile lernen wir: Ein schnelles Abdampfen nach Hause wäre eigentlich immer im Sinne der Gesundheit aller im Team gewesen. Wir können eben auch gefährliche Superspreader sein, obwohl wir uns eigentlich noch ganz ok fühlen. Wie könnte es künftig besser laufen, wenn einer im Team leicht kränkelt, ohne gleich aus dem letzten Loch zu pfeifen? Sinnvoll wäre doch Folgendes: Maske tragen bei leichter Erkältung – ab jetzt selbstverständlich professionell!
Man muss sich diese eine deutsche Corona-Sünde mal klarmachen: Zu Beginn der Pandemie wurde uns allen das Tragen von Masken ausgeredet mit dem Argument: Das hilft ja höchstens den anderen. Mit anderen Worten: Seid vernünftig und denkt nur an euch selber.
Jetzt wissen wir: Jede Art von Maske hilft zumindest ein bisschen. Und was wir bislang als alberne Wichtigtuerei zartbesaiteter Asiaten abgetan haben, begreifen wir jetzt erst richtig: Wer schon vor Corona in Bangkok oder Tokio in der U-Bahn oder beim Shoppen einen Mund-Nase-Schutz getragen hat, der hatte nicht Angst, krank zu werden. Sondern dem lief gerade vielleicht ein bisschen die Nase und er wollte, dass wir anderen gesund bleiben.
Die einst „kulturelle Eigenheit“ in Fernost könnten wir jetzt dank der Corona-Übung ganz locker zu unserer modernen Unternehmenskultur machen:
Es kratzt irgendwie im Hals? Die Nase kribbelt verdächtig? Da kitzelt sich plötzlich ein Husten vor? Irgendwie könnte da was im Anmarsch sein? Einfach erstmal schnell die Maske auf. Weil wir den Laden am Laufen halten wollen. Und aus Rücksicht und Respekt. Und wenn alle sehen, da trägt einer eine Maske, steigt sicherlich intuitiv wieder die Bereitschaft, sich in der Firma ordentlich die Hände zu waschen.
Vielleicht denken Sie jetzt: Wer krank ist, gehört krankgeschrieben. Aber wie läuft es bislang denn oft in der Wirklichkeit? Mit ein bisschen Husten, Schnupfen und Heiserkeit bleibt nicht jeder gleich zuhause. Und außerdem: Glauben Sie, dass man sich drauf verlassen könnte, dass einen jeder Hausarzt auf den Hinweis „Meine Nase läuft“ eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt?
Eben. Nicht jedes Symptom macht uns gleich arbeitsunfähig.
Aber jetzt kommt der Punkt, auf den ich die ganze Zeit hinaus will: Selbst wenn wir trotz des Infekts noch so fit sind, dass wir unsere Aufgaben eigentlich noch ganz gut erledigen können (und damit dem Gesetz nach nicht arbeitsunfähig sind), sind wir wohlmöglich ansteckend. Diese Gefahr kann zwar allein schon eine offizielle Arbeitsunfähigkeit begründen. Aber in der Praxis werden viele leichte Infekte einfach weg gelächelt: „Geht schon.“ Doch vielleicht wirkt sich der selbst als verkraftbar empfundene Infekt bei den Kollegen am Ende viel dramatischer aus. Wenn die wegen uns krank werden.
Zugespitzt gesagt: Wer sich entscheidet, eine Erkrankung der anderen in Kauf zu nehmen, um als fleißig, als top gesund und stets zur Stelle zu gelten, der stellt den Erfolg seiner Arbeit über die körperliche Unversehrtheit der Kollegen. Sei es aus Übereifer oder aus Angst und der schlechten Erfahrung: Wer schnell mal fehlt, stellt sich ins Aus.
Mein Vorschlag an alle, die sich zutrauen, gut zu arbeiten, aber die anderen schonen wollen: Keine Hemmung vor einer beherzten Homeoffice-Regelung im Fall von „fit aber ansteckend“.