Michelle Obama bringt das Prinzip Anstand auf eine einfache Formel: „When they go low, we go high“, ruft die Ex-First-Lady 2016 während einer Wahlkampfparty für Hillary Clinton aus. Wenn Trumps Leute unter der Gürtellinie angreifen, dürfe man nicht auf demselben Niveau zurückschlagen. Trotzdem scheint die Versuchung heute größer denn je. Der mächtigste Mann der Welt dilettiert seit Tagen als Coronapatient durch den US-Wahlkampf, und die halbe Welt freut sich.
Tatsächlich hat Donald Trump Häme verdient. Nie tat Schadenfreude so gut – aber sicher nicht wegen seiner Coronainfektion, sondern weil er als Superspreader für den Protektionismus-Virus krachend scheitert. Seit wenigen Tagen ist es amtlich. Das Handelsdefizit der USA ist das größte seit 14 Jahren. „Handelskriege sind gut und leicht zu gewinnen“, twittert er gerne und liegt damit mindestens so falsch wie mit seiner Empfehlung, Coronakranken Desinfektionsmittel zu spritzen.
Seit 2018 wütet der „Tariff Man“ nun schon. Zuerst trifft es Solarpanels und Waschmaschinen, dann folgen die Importe von Aluminium und Stahl. Schließlich geht Trump aufs Ganze und zettelt einen Handelskrieg mit China an. Die Amerikaner zielen zuerst auf Computer- und Autoteile, später auf Kleidung, Schuhe und Spielzeuge. Die Chinesen schlagen mit Maßnahmen gegen Agrarimporte zurück.
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Trumps brachiale Handelspolitik schadet den Unternehmen und kostet US-Konsumenten jährlich rund 57 Milliarden Dollar. Das ist eine gute Nachricht, sie schreckt Nachahmer hoffentlich ab. Denn es gibt immer mehr von ihnen. Und Präsidentschaftskandidat Joe Biden gehört leider auch zum Lager der Sympathisanten.
Im Schatten des offenen Konflikts zwischen den Supermächten boomt ein „verschleierter Protektionismus“, warnt der Ökonom Simon Evenett. Nicht tarifäre Handelshemmnisse nennen es Fachleute, wenn man sich mit Steuererlassen, Subventionen oder Exportbeschränkungen die ausländische Konkurrenz vom Leib hält.
Auch in Europa erliegt so mancher dem Reiz dieser Philosophie, die Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum vergiftet. Insbesondere die neue europäische Sehnsucht nach strategischer Autonomie riecht nach Handelsbeschränkungen im Dienste der Souveränität. Es wäre ein teurer Irrweg – oder frei nach Michelle Obama: „When you go low, you will lose money.“
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