China Deutsche Unternehmen fürchten um ihre Zukunft

Smog in Shanghai. Quelle: imago images

Ausländische Unternehmen blicken besorgt auf ihre Zukunft in China. Die Konkurrenz erstarkt zusehends - und die Reformen des Regimes sind unzureichend. Denn es lenkt nur dort ein, wo es China nichts mehr kostet.

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Die jährliche Befragung der Europäischen Handelskammer unter ihren Mitgliedern in China ähnelt normalerweise einer Klageschrift. Auch die diesjährige Ausgabe mit satten 35 Seiten ist vor allem eine Mängelliste. Neu ist aber, dass es nicht mehr nur um die Gängelungen durch Chinas Regime geht. Mehr als 60 Prozent der befragten europäischen Firmen geben an, dass sie ihre chinesische Konkurrenz inzwischen für ebenbürtig oder sogar innovativer als sich selbst halten. Das sollte ein Weckruf für die deutsche Politik sein.

Aber von vorne. Einmal im Jahr schickt die europäische Lobbyorganisation in Peking ihren Fragebogen an ihre rund 1600 Mitglieder im Land. Es sind Unternehmen aus ganz Europa, darunter auch Industriegiganten wie Bayer, Nestlé und Airbus. Rund die Hälfte schickt den ausgefüllten Bogen in der Regel zurück. Während Interessensvertretungen wie die deutsche Auslandshandelskammer seit Jahren fleißig Beschwichtigungspolitik im Sinne der chinesischen Regierung betreiben, sind die Studien der europäischen Kammer ein guter Indikator für die Probleme der ausländischen Wirtschaft im Land.

Kritikpunkt Chinas an der jährlichen Studie sind stets die guten Zahlen. Trotz abkühlender Konjunktur und steigenden Löhnen sind zwei Drittel der befragten Firmen auch im vergangenen Jahr wieder kräftig gewachsen. „2017 war ein fantastisches Jahr“, bestätigt auch Shanghaier Handelskammerchef Carlo D’Andrea. Was beschwert ihr euch, wenn ihr noch immer so viel Geld scheffelt - das sei Chinas Haltung. Gleichzeitig verschlechtern sich die Bedingungen für ausländische Firmen aber rapide. Fast die Hälfte aller befragten Unternehmen gibt an, durch Geschäftsbeschränkungen 2017 Umsätze verloren zu haben. Kleine und mittelständige Firmen gehen sogar davon aus, dass die Gängelungen sie bis zu zehn Prozent ihres Umsatzes kosteten.

Die jüngsten Reformen der Regierung kamen zudem nicht nur zu spät, sie sind auch unzureichend, erläutert D’Andrea. Reformen wie die Öffnung des Bankwesens oder das versprochene Ende der Joint-Venture-Pflicht in der Automobilindustrie hätte es vor 30 Jahren gebraucht. „Heute sind diese Branchen nicht mehr auf den industriepolitischen Schutz angewiesen.“ Die Chinesen lenken dort ein, wo es sie nichts mehr kostet. Sonst bewegen sie sich nicht. Nicht ohne Grund erwartet die Hälfte aller befragten Firmen, dass sich die Situation in den kommenden fünf Jahren für sie weiter verschlechtern wird.

Inzwischen dominiert nicht mehr nur die Frustration über mangelnde Reformbemühungen, die Internetzensur (geschäftsschädigend für zwei Drittel der Firmen) oder das neue Internetsicherheitsgesetz (das vor allem Unsicherheit schafft). Die rasant wachsende Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Firmen wird zum Angstfaktor Nummer eins. Besonders stark bekommen das laut der Europäischen Handelskammer heute schon Firmen im Bereich von Konsumgütern und Dienstleistungen zu spüren.

Chinas Wirtschaft entwickelt sich mit einer wachsenden Mittelschicht von einer auf Investitionen und Export ausgerichteten Wirtschaft hin zu einem vom heimischen Konsum getriebenen Modell. 2017 entfielen bereits 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf die konsumgetriebene Konjunktur im Land. Das waren 7 Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr. Als Vorreiter gestartet, müssten viele europäische Firmen nun beobachten, wie heimische Unternehmen aufholen, so die Kammer. 43 Prozent der befragten Firmen in allen Branchen rechnen damit, in den kommenden zwei Jahren mit stärkerer Konkurrenz durch heimische Hersteller zu kämpfen.

Vorteil der chinesischen Innovationswut: China hat laut der Untersuchung „sichtbare Fortschritte“ in Bereichen wie dem Schutz von geistigem Eigentum erreicht, die nun stärker auch für ausländische Firmen durchgesetzt werden. Allein seit 2017 hat das Land dafür 15 neue Gerichtshöfe eingerichtet. „Chinesische Firmen müssen ihre Kerntechnologien schützen, um auch im Ausland zu expandieren“, so Kammerchef D’Andrea. Chinesische Firmen selbst investieren mehr denn je in eigene Forschung und Entwicklung. Der private Sektor investierte im vergangenen Jahr umgerechnet rund 183 Milliarden Euro (1,37 Billionen Yuan) in diesem Bereich. Eine Steigerung um mehr als 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dazu kommen staatliche Gelder, die aktuell bei rund 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Deutschland investiert zum Vergleich 2,9 Prozent.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Seit die chinesischen Firmen um ihre eigene Technologie fürchten, werden die Gesetze stärker durchgesetzt. Aber bei den Kerntechnologien, bei denen China immer noch hinterher hängt, ist der Schutz weiterhin gering. „Bei den Automobilzulieferern sind vier von fünf Produkten Kopien“, sagt D’Andrea. Ähnlich sehe es in Branchen wie der Luftfahrt und der Pharmazie aus, in denen China gegenüber vielen europäischen Firmen noch einen technologischen Rückstand sieht. 30 Prozent der Befragten geben dort an, „signifikante Verluste“ durch den Diebstahl geistigen Eigentums in China erlitten zu haben. 43 Prozent sprechen sogar von einer gezielten, „zunehmenden Diskriminierung“ durch die Initiative, die in zehn Sektoren chinesische Player entwickeln und stärken soll. In acht von 14 Industrien gaben über die Hälfte der Befragten an, unfair behandelt worden zu sein.

Industrievertreter Carlo D’Andrea will keine Missverständnisse aufkommen lassen. Konkurrenz in den Branchen sei gut. Aber nur, wenn sie aufgrund von marktwirtschaftlichen Kräften entstehe. „Und nicht durch Subventionen vom Staat.“ Wirklich offen für ausländische Investitionen ist Chinas Wirtschaft immer noch nur da, wo chinesische Firmen auf Technologietransfers angewiesen sind. Jedes fünfte Unternehmen spürt dort den Druck, technisches Know-how im Tausch gegen Marktzugang weitergeben zu müssen.

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