Denkfabrik
Werden die USA zum zweiten Italien? Quelle: Fotolia

Werden die USA zum zweiten Italien?

Martin Feldstein Quelle: Bloomberg, Montage
Martin S. Feldstein US-amerikanischer Ökonom, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Oberster Wirtschaftsberater für US-Präsident Ronald Reagan Zur Kolumnen-Übersicht: Post aus Harvard

Das US-Haushaltsdefizit droht aus dem Ruder zu laufen. Das liegt nur zum Teil an Donald Trumps Steuerreform. Schuld sind vor allem steigende Sozialkosten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Lage ist ernst. Die USA sehen sich mit einem gewaltigen und schnell wachsenden Haushaltsdefizit konfrontiert. Allein in diesem Jahr muss sich die US-Bundesregierung 800 Milliarden Dollar leihen – und diese Summe dürfte sich bis zum Jahr 2028 auf 1,6 Billionen Dollar glatt verdoppeln. Das jährliche Defizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in den nächsten zehn Jahren von 4,0 auf 5,1 Prozent steigen.

Das hat auch für den Gesamtschuldenstand der öffentlichen Hand gravierende Folgen: Die Verbindlichkeiten drohen infolge der jährlichen Defizite von 16 Billionen Dollar auf 28 Billionen Dollar im Jahr 2028 anzuschwellen, prognostiziert das Congressional Budget Office (CBO), das Haushaltsbüro des Kongresses. In Relation zum BIP liegen die Schulden schon jetzt bei 78 Prozent – im Jahr 2028 dürften es 96 Prozent sein.

Traditionell halten ausländische Investoren den Großteil der US-Staatspapiere. Legt man die CBO-Analysen zugrunde, müsste diese Anlegergruppe in den kommenden zehn Jahren US-Anleihen im Wert von mehr als sechs Billionen Dollar kaufen. Die langfristigen Zinsen für US-Staatspapiere werden deutlich steigen müssen, um die Anleger für dieses stark ausgeweitete Angebot an US-Bonds zu gewinnen.

Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung? Donald Trumps Steuerreform? Fakt ist: Hätte es die Steuerreform nicht gegeben, würde die Schuldenquote in zehn Jahren trotzdem bei 93 Prozent vom BIP liegen. Also liegt die Ursache für die explodierende Verschuldung woanders: Hauptfaktor für die steigenden Defizite sind höhere Leistungen für ältere Menschen der Mittelschicht. Experten erwarten hier insbesondere steigende Ausgaben für Renten aus der Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Diese dürften Prognosen zufolge von 4,9 Prozent auf 6,0 Prozent in Relation zum BIP klettern. Hinzu kommen die staatlichen Ausgaben für die Krankenversicherung der über 65-Jährigen im Rahmen des Medicare-Programms, bei dem es sich ebenso wenig wie im Fall der Sozialversicherung um eine vermögensabhängige Leistung handelt. Die beiden Programme zusammen werden das jährliche Haushaltsloch um 2,7 Prozent des BIPs erhöhen.

In Wahrheit ist die Lage sogar noch prekärer. Die offiziellen Defizitprognosen gehen davon aus, dass die 2017 verabschiedeten Senkungen der Einkommensteuer 2025 auslaufen und sich die Haushaltslöcher danach entsprechend verkleinern. Zudem liegt den Prognosen die Annahme zugrunde, dass das jüngst verabschiedete Ausgabenplus für Verteidigung und die jährlich neu zu beschließenden Mehrausgaben im nicht militärischen Bereich nur vorübergehend erfolgen. Beides halte ich für unwahrscheinlich. Bleiben die Maßnahmen bestehen, könnte das jährliche Defizit 2028 bei 7,1 Prozent des BIPs liegen – zwei Punkte höher als offiziell prognostiziert. Die Schuldenquote würde mehr als 150 Prozent des BIPs erreichen – damit spielten die USA in einer Liga mit Italien, Griechenland und Portugal. In diesem Fall würden US-Anleihen nicht mehr wie eine sichere Anlage wirken. Anleger dürften eine Risikoprämie fordern. Die Zinsen für US-Staatspapiere würden erheblich steigen, die Defizite sich weiter erhöhen.

Da Finanzmärkte vorausschauend agieren, steigen die inflationsbereinigten Zinssätze für langfristige US-Staatsanleihen bereits heute. Der Realzinssatz für Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit (basierend auf inflationsgeschützten Anleihen) ist von null im Jahr 2016 auf 0,4 Prozent vor einem Jahr auf derzeit 0,8 Prozent gestiegen. Mit einer jährlichen Inflation von rund zwei Prozent hat die Erhöhung des Realzinssatzes die Nominalverzinsung für zehnjährige Anleihen auf drei Prozent steigen lassen. Mit Blick in die Zukunft wird die Kombination aus einer steigenden Schuldenquote, höheren Kurzfristzinsen und einem weiteren Anstieg der Inflation die nominale Rendite zehnjähriger Anleihen auf mehr als vier Prozent nach oben treiben.

Wie aber lässt sich das Defizit verringern und der Anstieg der Schuldenquote eindämmen? Keine Frage: Einsparungen im Sozialsystem müssen ein Teil der Lösung sein. Die beste Methode, um die Kosten der Sozialversicherung zu dämpfen, wäre eine Erhöhung der Altersgrenze, ab der voller Anspruch auf Rentenleistungen besteht. 1983 hatte sich der Kongress parteiübergreifend auf eine schrittweise Erhöhung der Altersgrenze von 65 auf 67 Jahre geeinigt und die langfristigen Kosten der Sozialversicherung um rund 1,2 Prozent des BIPs gesenkt. Seit 1983 ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Personen, die Mitte 60 sind, um rund drei Jahre gestiegen. Eine Erhöhung der künftigen Altersgrenze für volle Rentenbezüge von 67 auf 70 Jahre würde die langfristigen Kosten der Sozialversicherung um rund zwei Prozent des BIPs senken.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind Kürzungen bei der Sozialversicherung und bei Medicare keine politisch durchsetzbare Option. Das wachsende Defizit und die steigenden Zinsen könnten jedoch bald in der Öffentlichkeit und im Kongress zu einem Umdenken führen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%