Drohender Krieg Putin rechnet falsch

Wladimir Putin Quelle: Imago

Russlands Aggressivität schockiert den Westen. Der versucht in seiner Hilflosigkeit, Wladimir Putin als paranoid darzustellen. Doch wie rational ist die russische Realitätsverweigerung? Ein Kommentar.

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Die These vom kühl kalkulierenden Ex-KGB-Agenten Putin hat seit Montagabend ausgedient. Der russische Präsident hat in seinem Rührstück über die hilfs- und beistandsbedürftige Ostukraine zwar jeden Schritt sorgfältig geplant und den Fernsehzuschauern weltweit als Liveübertragung dargebracht. Aber das absurde Marionettentheater im Kreml diente vor allem dazu, seinen Landsleuten einen entschlossenen Herrscher zu zeigen, der alle Fäden in der Hand hält und alles tut, um Russland wieder zu alter Macht und Größe zu führen.

Dass Russland die Gebiete Donezk und Luhansk militärisch leicht einnehmen kann, ist klar. Weder will der Westen aktiv eingreifen, noch ist die Ukraine stark genug für eine Gegenwehr. Geschweige denn für eine Rückeroberung dieser mehrheitlich russisch besiedelten Region. Die Regierung der Ukraine wird schon froh sein, wenn die russischen „Militärübungen“ nicht in Kiew enden.

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Dennoch wird Putins Rechnung nicht aufgehen, denn er zählt Panzer, aber keine Prozente. Die wirtschaftlichen Kosten für die absehbare Annexion der Ostukraine werden das russische Wachstum und den Staatshaushalt schnell, massiv und auch lange belasten. Es beginnt mit den Milliardeneinnahmen aus den Öl- und Gasverkäufen, von denen der Kreml ganz zentral abhängt. Spätestens jetzt ist der Westen – und allen voran Deutschland – gezwungen, seine Energiepolitik zu diversifizieren und sich nach anderen Quellen umzusehen. Dass die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 jetzt noch in Betrieb gehen kann, ist nach dem Stopp des Zertifizierungsverfahrens durch Bundeskanzler Olaf Scholz kaum vorstellbar. Auch diesen milliardenschweren Schaden für Gazprom und damit für Russland muss Putin einrechnen.

Gleiches gilt für die Reste der russischen Industrie, die ohne Hightech aus und Geschäfte mit dem Westen weiter ihrem Niedergang entgegenschlittert. Nicht zuletzt dürften Investitionen und Finanzgeschäfte abgesagt werden, auf die Russland ebenso dringend angewiesen ist. Zwar hat das Land in sieben Jahren Sanktionsregime seit der Annexion der Krim 2014 eine hohe Widerstandskraft bewiesen. Doch der Preis dafür, etwa die staatliche Subventionierung des Lebensmittelbereichs, ist hoch.

Alles in allem dürfte die ohnehin schon schwierige Lage der russischen Bevölkerung aufgrund der Sanktionen noch prekärer werden – was unweigerlich auf den Kremlherrscher zurückfallen muss. Es wird sich zeigen, wie „dankbar“ Putins Landsleute ihrem Präsidenten künftig für einen teuren, brandgefährlichen und wenig Gewinn versprechenden Krieg an der westlichen Außenkante ihres großen Landes sind.

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