Freytags-Frage
Quelle: obs

Ist der Kohle-Ausstieg wirklich sinnvoll?

Der Klimawandel macht vielen Angst und die Frage, wie weit Klimaschutz gehen darf, spaltet die Gesellschaft. Dabei sollten statt moralisch überhöhter Symbolpolitik lieber die Fakten den Weg vorgeben.

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Der Klimawandel ist eines der drängendsten Zukunftsprobleme. Er macht vielen Menschen Angst und steht seit einigen Monaten im Zentrum der politischen Diskussion in Deutschland. Diese Angst wird von engagierten Politikern zur Zeit noch erheblich geschürt – genau wie die Angst vor dem Klimaschutz.

Zunächst zu den Befürwortern des expansiven Klimaschutzes. Nahezu jede Woche gibt es neue Vorschläge für noch drastischere Maßnahmen zum Klimaschutz – darunter das sofortige Abschalten der 20 dreckigsten Kohlkraftwerke (ohne Kompensation), die Einrichtung eines Klimafonds im dreistelligen Milliardenbereich oder die sofortige Einführung einer CO2-Steuer.

Getrieben von den Grünen und ihrem Aufschwung in den Umfragen sowie der geradezu jugendlichen Begeisterung allenthalben über die Schüler- und Studentenproteste an Freitagen tritt die Bundesregierung als überzeugter Klimaschützer auf – zumindest rhetorisch. Allerdings weiß auch die Bundesregierung, dass abrupte Maßnahmen zur weiteren Reduzierung des CO2-Ausstoßes hierzulande nur mit hohen Kosten einhergehen, und zwar sowohl in ökonomischer als auch politischer Hinsicht.

Das führt zu den Gegnern des Klimaschutzes. Mit teils kruder Logik wird erstens der menschliche Beitrag zum Klimawandel abgelehnt. Zweitens verfangen ökonomische Schreckensszenarien (Rückkehr in die Steinzeit) bei konservativen Wählern recht gut. Aus der Sicht der Bundesregierung erzeugt dies eine echten Konflikt: Abschaltung von Kraftwerken und Fahrverbote sind Wahlhelfer für die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD), ihre Verweigerung treibt den Grünen Wähler in die Arme.

Martin Babilas, Chef des Spezialchemie-Herstellers Altana, kämpft gegen Kohlendioxid-Emissionen. Allerdings macht er dabei eine wichtige Einschränkung.
von Jürgen Salz

Vor diesem Hintergrund ist Augenmaß und Rationalität gefordert, und zwar bei allen. Vor allem sollten diejenigen, die wirklich den Klimawandel aufhalten wollen, sich der rationalen Analyse und Diagnose bedienen. Zunächst sollte man sich an den Fakten orientieren:

1. Das Klimaproblem ist ein globales Problem, dass am besten als Allmendeproblem erfasst wird. Niemand kann davon ausgeschlossen werden, das Klima als Senke zu nutzen, die Schäden tragen alle; es ergibt sich ein Anreiz zu Trittbrettfahren.

2. Der globale CO2-Ausstoß betrug in 2018 etwas über 35 Milliarden Tonnen, davon entfielen auf die Bundesrepublik Deutschland etwa 866 Millionen Tonnen (also etwa 2,4 Prozent); dies sind sämtliche Treibhausgasemissionen, gemessen in CO2-Äquivalenten.

3. Ungefähr 40 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes, also etwa ein Prozent des weltweiten Ausstoßes, entfällt auf den Gebäudebestand, der Verkehr macht etwa ein Sechstel der deutschen Emissionen aus, und auf die Energiewirtschaft entfallen ebenfalls 40 Prozent.

4. Obwohl die deutschen Emissionen gesunken sind, ist der weltweite CO2-Ausstoß auf einem Allzeithoch angekommen. Man kann daran erkennen, dass die deutschen Bemühungen nicht sehr effektiv sind, zumindest global betrachtet.

5. Wenn deutsche Produzenten erneuerbarer Energien zum Beispiel in China hergestellte Solarpanel oder in Dänemark produzierte Windräder nutzen, werden die bei der Produktion erzeugten Schadstoffe in der deutsche Umweltbilanz nicht erfasst – de facto wären wir demnach für mehr CO2-Emissionen zuständig – andererseits kann man argumentieren, dass sie in China oder Dänemark erfasst werden und deshalb unproblematisch sind. Man darf nur nicht glauben, erneuerbare Energien kämen ohne CO2-Ausstoß aus.

6. Die Vermeidung von CO2-Ausstoß folgt einem Muster: Je höher die Einsparungen an einem Standort bereits sind, desto teurer beziehungsweise ineffizienter ist die marginale Einsparung der nächsten Tonne.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie effektiv es klimapolitisch ist, bei uns weitere ambitionierte Klimaziele zu verfolgen. Diese generelle Frage kann man weiter aufsplitten:

1. Lohnt es sich wirklich, die Kohlekraftwerke hier abzuschalten, zumal einige – nicht alle – sehr modern und mit hohem Wirkungsgrad versehen sind? Immerhin geht es dann um einen recht geringen Anteil der Emissionen, und wir müssen bedenken, dass die Anbieter von Kohle in anderen Ländern ihre Ressourcen auf jeden Fall erschöpfen wollen.

2. Wäre es nicht viel effektiver, die Mittel im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit dort einzusetzen, wo die Grenzkosten der nächsten gesparten Tonne CO2-Emissionen deutlich niedriger und der potentielle Ertrag eines eigesetzten Euros dann deutlich höher als hierzulande sind? Das hilft dem Klima und deutschen Arbeitsplätzen erheblich mehr als Abschaltung irgendwelcher Kraftwerke durch politischen Beschluss hier.

3. Könnte so eventuell die Effektivität der Entwicklungshilfe erheblich gesteigert werden? Sollten die Deutschen nicht gerade bei den Ärmsten zupackend helfen?

4. Vor allem muss gefragt werden, ob eine weitere Intensivierung der Klimapolitik bei uns nicht das Potential hat, die Gesellschaft zu spalten. Anders gewendet: Könnte die Gefahr bestehen, dass einem potentiellen grünen Bundeskanzler, der das System ändert, wie von Herrn Habeck jüngst versprochen oder angedroht (je nach Perspektive), von einem AfD-Bundeskanzler abgelöst wird, der dann das System wirklich und noch viel grundlegender ändert (zum Beispiel von der Demokratie in Richtung Viertes Reich?)? Wollen wir das riskieren?

Die Grünen werden überschätzt, weil sie die Kehrseite des Klimaschutzes verharmlosen. Ähnliche Fehler machten die Liberalen einst bei der Globalisierung.
von Beat Balzli

Es steht fest, dass es gute Lösungen für Klimaschutz gibt, die auch bereits erprobt sind. Hervorzuheben sind Steuerlösungen und der Zertifikatehandel. Es wäre sehr glaubwürdig, wenn Deutschland deutlich engagierter für beides im globalen Maßstab werben würde. Die Einführung einer (idealerweise global koordinierten) CO2-Steuer in Verbindung mit einer Steuerreform und der Neufassung der Energiepolitik (Quotenlösung anstelle detaillierten Vorgabe von anzuwendenden Technologien) würde irgendwelche Fahrverbote genauso überflüssig machen wie die Festlegung darauf, bestimmte Technologie irgendwann zu verbieten. Es würde sich schlichtweg nicht rechnen, diese Technologien zu verwenden oder das Auto zu nutzen. Alternativen würden sozusagen von selbst attraktiv. Vermutlich lassen sich so dreckige Kraftwerke viel schneller abschalten als bisher vorgesehen; sie wären viel zu teuer.

Klimapolitik mit Augenmaß und Ratio (und nach Beantwortung von Fragen wie oben gestellt) wäre vermutlich um ein Vielfaches effektiver als moralisch überhöhte Symbolpolitik. Sie würde darüber hinaus geringeres gesellschaftliches Spaltpotential haben, weil sie gerade nicht nur auf die Bedürfnisse einer urbanen Elite abgestellt ist. Sämtliche Bevölkerungsgruppen könnten so mitgenommen werden.

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