Freytags-Frage
Wie genau schaut Deutschland hin? Die gute Nachricht ist, dass die politischen Entscheidungsträger nun wohl begriffen haben, dass ein allzu unbedarfter Umgang mit Autokratien wie China nicht zielführend ist. Quelle: dpa

Werden die Deutschen mit Blick auf China endlich realistisch?

Die politischen Entscheidungsträger in Deutschland haben begriffen: Ein allzu unbedarfter Umgang mit Autokratien ist nicht zielführend. Zu China bleibt kritische Distanz geboten – aber keine totale.

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In der abgelaufenen Woche haben die Außenminister Chinas und Russlands sich ihrer gegenseitigen unverbrüchlichen Freundschaft versichert. Damit musste gerechnet werden, nachdem die chinesische Regierung sich seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine stets auf die Seite des Aggressors geschlagen hatte. Abgesehen davon, dass es vermutlich aus Sicht beider Länder überaus unklug wäre, sich auf das Wort des anderen zu verlassen, und sie weiterhin vorsichtig im Umgang miteinander bleiben werden, sendet dieses Treffen ein weiteres klares Signal an den Westen.

Schon seit Jahren macht der chinesische Präsident Xi Jinping sehr deutlich, dass er von Demokratie westlicher Spielart nichts hält, dass er sich an internationale Regeln nur hält, wenn es ihm passt und dass er den Westen als systemischen Konkurrenten, wenn nicht als Feind, ansieht. Das drückt sich auch in wirtschaftlichen Fragen aus. Man gewinnt den Eindruck, als wollten chinesische Akteure noch so viel geistiges Eigentum wie möglich aus dem Geschäft mit dem Westen erlangen, um damit Engpässe zu überwinden, bevor man sich immer weiter aus der Weltwirtschaft zurückziehen möchte. Diese Strategie wird als Dual Circulation Strategy bezeichnet.

Sie ist keineswegs neu. Dessen ungeachtet haben deutsche Unternehmen sich in den letzten Jahren immer stärker in China engagiert. Der Exportmarkt ist natürlich extrem attraktiv – eine schnell wachsende Wirtschaft mit einer ebenso schnell bedeutsamer werdenden Mittelschicht sind sowohl für die Investitionsgüterindustrie als auch für Produzenten von Konsumgütern sehr interessant. So haben viele deutsche Unternehmen in China investiert und zugleich ihre Lieferketten immer stärker mit chinesischen Zulieferern verknüpft. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel hat ihren Teil dazu beigetragen, wollte sie doch bis zuletzt Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment, CAI) der Europäischen Union (EU) mit China umsetzen. Ähnlich sorglos und gefährlich war der Umgang mit Russland; immerhin wurde die Ostseepipeline Nord Stream 2 nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion vereinbart – auch hieran wollte die neue Bundesregierung noch nach Kriegsbeginn zunächst festhalten.

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Inzwischen dreht sich die politische Stimmung; in der Wirtschaft ist dies bereits seit längerem zu beobachten. Immer mehr deutsche Unternehmen planen, ihre Lieferbeziehungen zu diversifizieren. In den meisten Sektoren dürfte dies problemlos möglich sein, bei Rohstoffen wird es wohl deutlich schwieriger werden. Der Lernprozess ist dennoch recht kurz und damit auch sehr schmerzhaft. Aber es ist richtig, die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern abzubauen. Dies gilt im Prinzip immer, mit Blick auf Autokratien wohl besonders. Mit der Reduzierung der Importabhängigkeit von China wird vermutlich auch ein Bedeutungsverlust für den Absatzmarkt China einhergehen. Die Vorstellung, dreißig oder mehr Prozent der Produktion in China zu verkaufen, wird in der Zukunft wohl nur noch selten realistisch sein.

Diversifizierung heißt aber auch, neue wirtschaftliche Kontakte herzustellen und neue politische Allianzen zu bilden. Es sollte auch in Deutschland langsam deutlich geworden sein, dass wirtschaftliche und politische Beziehungen immer zusammengedacht werden müssen. Die bisherige Naivität der Deutschen, wie etwa in der Energiepolitik, sollte mittlerweile der Vergangenheit angehören. Für russische Politiker ist die Energielieferung in den Westen immer mit politischen Zielen verwoben. Gleiches gilt für die chinesische Regierung. Auch sie denkt in umfassenden Zusammenhängen.

Dies sollte die Bundesregierung in Zukunft auch tun. Sie muss Handelspolitik, Geopolitik, aber auch Klima- und Entwicklungspolitik zusammendenken. Wenn sie dies mit Augenmaß tut, können wir aus der gegenwärtigen Krisenlage gestärkt hervorgehen.

Wenn es um Rohstoffe geht, sollte sich der Blick auf Afrika richten. Aber auch als zukünftiger Absatzmarkt ist Afrika interessant, wächst doch auch dort in vielen – aber keineswegs allen – Ländern eine kaufkräftige Mittelschicht heran, die auch politische Ambitionen dergestalt hat, dass sie nicht länger die traditionellen starken Männer des 20. Jahrhunderts akzeptieren will. Auch wenn es in erster Linie Aufgabe von Unternehmen ist, sich neue Einkaufs- und Absatzmärkte zu sichern, kann die Politik unterstützend agieren.

Dazu wird es vor allem nötig sein, unser Afrikabild der Realität anzupassen und die Afrikapolitik entsprechend zu justieren: weg vom Paternalismus hin zu gegenseitiger Wertschätzung und gegenseitigen Handelsgewinnen. Das jedenfalls verstehen die meisten Afrikaner, mit denen ich selbst in den vergangenen Jahren sprechen konnte, unter Augenhöhe. Auch die EU kann dazu beitragen, indem sie echte Partnerschaften mit Afrika eingeht, die den oben angesprochenen Kriterien genügen. Das wesentliche Stichwort ist Marktöffnung, auch und zuvorderst im Agrarhandel.

Dazu gehört aber auch Augenmaß; man darf nun nicht in das andere Extrem verfallen. Vorsicht mit den Handelspartnern in China (und nach der Wiederherstellung der Normalität und der entsprechenden umfassenden Beteiligung Russlands an der Finanzierung der Kriegskosten in der Ukraine auch in Russland) bedeutet nicht den vollständigen Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit ihnen. Auch ist die Vorstellung des französischen Wirtschaftsministers Bruno Le Maire, wir bräuchten die völlige Energieunabhängigkeit in der EU, ist Unsinn. Zumal die Energieversorgung auch aus Ländern mit demokratischer Verfasstheit sichergestellt werden kann.

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Der Umstand, dass einige autokratische Handelspartner ihre vermeintliche Marktmacht ausspielen, darf nicht dazu verführen, Handel mit ihnen völlig abzuschreiben. Vielmehr sind die Beziehungen austariert zu gestalten. Nur mit angemessenem wirtschaftlichem Austausch bleiben die Beziehungen zu China friedlich. Denn ohne Handel hätte China, dessen Regierung anders als Russlands Präsident Wladimir Putin ein Interesse am Wohlergehen seiner Bevölkerung hat, keine Kosten zu fürchten, würde die Regierung die Beziehungen zur freien Welt mutwillig beschädigen. Außerdem können wir nur mit Handel unseren kleinen Teil dazu beitragen, positive Veränderungen in Autokratien zu bewirken. Auch wenn dies lange dauert.

Die gute Nachricht ist, dass die politischen Entscheidungsträger in Deutschland nun wohl begriffen haben, dass ein allzu unbedarfter Umgang mit Autokratien wie China nicht zielführend ist. Richtig ist es, eine kritische – aber nicht totale – Distanz zu halten und gleichzeitig die Unternehmen dazu zu ermuntern und darin zu unterstützen, neue Märkte zu erschließen.

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