In der vergangenen Woche hat Bundesfinanzminister Lindner die Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) vorgeschlagen. Der Zeitpunkt für eine Intensivierung der transatlantischen Zusammenarbeit auf allen Ebenen ist im Prinzip perfekt, denn angesichts der sich dramatisch verändernden geopolitischen Lage kann die Vertiefung transatlantischer Beziehungen politisch und wirtschaftlich stabilisierend wirken. Dennoch fand der Vorschlag wenig Resonanz; insgesamt fiel sie gemischt aus. Die verfasste Wirtschaft befürwortete die Idee überwiegend, aber nicht vollständig, Wirtschaftsminister Habeck sprach sich unmittelbar dagegen aus. Andere Minister hielten sich zurück.
Dass das Wirtschaftsministerium dagegen ist, kann man möglicherweise damit erklären, dass Staatssekretär Giegold ein erklärter Gegner von TTIP ist und die Verhandlungen in den Jahren 2013 bis 2016 als Mitglied des Europaparlaments mit einer – freundlich formuliert – postfaktischen Kampagne torpedierte. Zunächst formulierten die Gegner um MEP Giegold nachvollziehbare Kritik gegen die geplanten Vereinbarungen zur Streitschlichtung und gegen das intransparente Prozedere. Die Europäische Kommission ging damals auf etliche berechtigte Kritikpunkte ein: Sie regte ein innovatives und im Vergleich zum Status Quo erheblich verbessertes Streitschlichtungsverfahren zwischen Investoren und Regierungen an und richtete darüber hinaus eine Website mit ausführlichen Berichten über den Stand der Verhandlungen ein. Dessen ungeachtet behauptete MEP Giegold damals stets das Gegenteil.
Die Welt nun anders zu sehen, ist möglicherweise nicht einfach. Auch einige derjenigen Bürger, die den unwahren Aussagen damals glaubten, reagieren auf den Vorschlag zur Wiederaufnahme von TTIP reflexartig ablehnend, wie zahlreiche Forumsbeiträge zu den entsprechenden aktuellen Artikeln über Lindners Vorschlag belegen. Insofern muss man damit rechnen, dass der Widerstand aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) und großen Teilen der Öffentlichkeit grundsätzlich sein wird, egal wie politisch und ökonomisch sinnvoll eine vertiefte transatlantische Partnerschaft sein mag.
Davon abgesehen muss man die Frage stellen, ob die Wiederaufnahme offizieller Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung transatlantischer Handels- und Investitionsbeziehungen im Moment wirklich politisch opportun sind. Erstens mutet die gegenwärtige Lage und die angemessene Reaktion der Bundesregierung auf die russische Invasion in der Ukraine den Linken in der Regierung ohnehin schon eine Menge zu; bei vielen scheint die russische Aggression immer noch nicht für einen Lernprozess zu sorgen. Man glaubt wohl immer noch, dass man den Kriegsverbrecher Putin nur besänftigen müsse und er im Übrigen das Recht hätte, seine Einflusssphäre zu definieren. Möglicherweise würde eine offizielle transatlantische Initiative diese Leute noch mehr in Putins Lager treiben. Bei allem Unverständnis für diese moralisch und intellektuell fragwürdige Haltung braucht der Kanzler auch diese Stimmen.
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Zweitens hat Präsident Biden im Augenblick vermutlich kein Interesse an einer medienwirksamen Freihandelsinitiative; das zumindest suggerieren Kommentare von Handelsexperten aus Washington. Insgesamt hält sich die Biden-Administration mit handelspolitischen Aussagen sehr zurück, obwohl klar ist, dass die unverhohlene Gegnerschaft gegen die multilaterale Ordnung und das mangelnde Verständnis für Handelswirkungen der Trump-Administration überwunden ist.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Allerdings finden handelspolitische Aktivitäten eher diskret statt. Vor dem Hintergrund der im November anstehenden Zwischenwahlen im Kongress dürfte Präsident Biden kein Interesse daran haben, politisch umstrittene Verhandlungen mit der EU zu führen. Er wird genug damit zu tun haben, die gegenwärtigen politischen und ökonomischen (Stichwort 8 Prozent Inflation) in den Griff zu bekommen. Druck aus Europa zu weiteren bilateralen Liberalisierungsbemühungen dürfte nicht hilfreich sein. Eventuell müsste sich der Präsident hier dagegen positionieren. Das hätte niemandem geholfen.
Drittens finden bereits seit September 2021 intensive transatlantische Konsultationen über wirtschaftliche Fragen im Rahmen des EU-US Trade and Technology Council (TTC) statt. In zehn Arbeitsgruppen werden Themen wie technologische Standards, Klimawandel, sichere Lieferketten und anderes diskutiert. Dort tauschen sich Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu diesen Themen aus; die Ergebnisse dieser Treffen werden protokolliert und können auf der Website der EU eingesehen werden. Offenbar ist der TTC für beide Seiten ein wichtiges Instrument des Austausches und weiterer Schritte zur Vereinfachung transatlantischer Beziehungen. Konsequenterweise haben einige Kommentatoren den Vorschlag des Finanzministers mit dem Hinweis auf den TTC abgelehnt.
Vor diesem Hintergrund sollte der Bundesfinanzminister die offiziellen und veröffentlichten Bemühungen um weitere transatlantische Liberalisierungen nun erst einmal für eine Weile einstellen. Er hat das Signal gesendet, dass Europa daran Interesse hat. Es ist in Washington angekommen. Nun gilt es zunächst, die Anstrengungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine erfolgreich abzuschließen. Danach werden weitere geopolitische Maßnahmen zu Stärkung des Westens stattfinden müssen. Die Intensivierung der Handelsbeziehungen gehört definitiv dazu.
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