Gegen Null-Covid-Strategie China erlebt die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten

Protest mit weißen Blättern in Peking. Quelle: dpa

Der Unmut der Menschen in China wächst. Anlass sind rigorose Beschränkungen gegen die schlimmste Corona-Welle seit Pandemie-Beginn. Berlin befürchtet „harte Reaktionen“. Werden sich die Proteste dennoch ausbreiten?

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Trotz der größten Proteste seit Jahrzehnten in China will die Regierung nichts von einer Unzufriedenheit im Volk über ihre strikte Null-Covid-Strategie wissen. „Was sie ansprechen, spiegelt nicht wider, was in Wirklichkeit passiert ist“, sagte Außenamtssprecher Zhao Lijian am Montag in Peking auf eine Journalistenfrage nach dem Unmut vieler Bürger und den Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern in mehreren Metropolen. In seiner auffällig kurzen Reaktion äußerte sich der Sprecher zudem überzeugt, dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie erfolgreich sein werde – „unter der Führung der Kommunistischen Partei und mit der Unterstützung des Volkes“.

Es sind die größten Demonstrationen seit der Demokratiebewegung 1989 in China, die das Militär damals blutig niedergeschlagen hatte. Protestmärsche gab es am Wochenende in der Hauptstadt Peking und anderen Millionenstädten wie Shanghai, Chengdu, Chongqing, Wuhan, Nanjing, Xi'an und Guangzhou. Sie richteten sich gegen die strikten Maßnahmen der chinesischen Null-Covid-Politik wie wiederholte Lockdowns, Corona-Massentests und Zwangsquarantäne.

Die Demonstrationen dauerten bis in die Nacht zum Montag an. Auch an Hochschulen wie der Tsinghua-Universität in Peking regt sich Unmut. Wie viele Menschen festgenommen wurden, war unklar. In China herrschte praktisch eine Nachrichtensperre. Soziale Medien waren voll mit Videoaufnahmen, die von der Zensur aber schnell wieder gelöscht wurden. In den frühen Nachtstunden ging ein Großaufgebot der Polizei in Peking noch gegen Hunderte nahe dem Diplomatenviertel vor.

Weiße Blätter als Symbol des Protests

Weitere Protestaktionen waren angekündigt. Doch hat die Regierung starke Sicherheitskräfte mobilisiert. Augenzeugen berichteten unter anderem von großer Polizeipräsenz an neuralgischen Punkten in Shanghai.

Auslöser der seltenen öffentlichen Unmutsbekundungen war ein Wohnungsbrand in der Metropole Ürümqi in Xinjiang in Nordwestchina am Donnerstagabend mit mindestens zehn Toten. Viele äußerten den Verdacht, dass die Rettungsarbeiten durch die strengen Corona-Maßnahmen behindert wurden. Als Symbol des Widerstands und des Protests gegen die Zensur hielten viele Demonstranten unbeschriebene weiße Blätter hoch. Es wurde „Hebt den Lockdown auf“ und „Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen Freiheit“ gerufen.

Durch die rigiden Maßnahmen gegen das Coronavirus hatte der Unmut in der Bevölkerung seit Wochen immer mehr zugelegt. Viele Millionenstädte sind weitgehend lahmgelegt. Die Menschen stören sich an ständigen Tests, Ausgangssperren, Zwangsquarantäne, lückenloser Überwachung durch Corona-Apps und Kontaktverfolgung, mit denen die Behörden versuchen, die sich leicht verbreitenden Omikron-Varianten des Virus in den Griff zu bekommen.

Aus Angst vor einem Wiederaufflammen der Proteste in China gegen die harte Null-Covid-Strategie der Regierung hat die Polizei ihre Präsenz in mehreren Metropolen massiv verstärkt. In der Hauptstadt Peking, in Shanghai und verschiedenen anderen Millionenstädten waren am Montag verstärkt Sicherheitskräfte auf den Straßen zu sehen. Polizisten untersuchten auch Handys von Passanten nach verdächtigen Informationen, wie Augenzeugen in sozialen Medien berichteten.

Britischer Journalist in China festgenommen

In Shanghai wurde der BBC-Reporter Ed Lawrence festgenommen und nach eigenen Angaben von Polizisten misshandelt. „Die BBC ist extrem besorgt über die Behandlung unseres Journalisten Ed Lawrence, der festgenommen und in Handschellen gelegt wurde, während er über die Proteste in Shanghai berichtete“, sagte ein Sprecher des britischen Senders. Lawrence sei bei der Festnahme von Polizisten geschlagen und getreten worden, obwohl er eine Akkreditierung als Journalist habe. Erst Stunden später sei er wieder freigelassen worden. Die britische Regierung rügte die die Festnahme. Es sei „inakzeptabel“, dass ein Journalist festgenommen wird, sagte Kabinettsmitglied Grant Shapps dem Radiosender LBC.

Der Vorfall sei „zutiefst beunruhigend“, twitterte Außenminister James Cleverly am Montag. „Journalisten müssen ihrer Arbeit ohne Einschüchterung nachgehen können.“ Zudem kritisierte Cleverly die Festnahmen von Demonstranten. „Medienfreiheit und Demonstrationsfreiheit müssen geachtet werden. Kein Land ist davon ausgenommen“, betonte der Minister.

Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian begründete die Festnahme damit, dass der Reporter sich nicht als Journalist zu erkennen gegeben und seinen Presseausweis nicht freiwillig vorgezeigt habe. Der Club der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) kritisierte die Polizei wegen ihres hartes Vorgehens gegen Journalisten bei den Protesten in Shanghai und Peking.

Corona-Höchststand in China

Trotz des strikten Vorgehens gegen das Virus wird das Milliardenvolk gegenwärtig von der schlimmsten Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren heimgesucht. Die Gesundheitskommission meldete am Montag mit rund 40.000 Neuinfektionen wieder einen Höchststand im Land. In Peking waren es knapp 3.900 Fälle. Ein Fünftel der zweitgrößten Volkswirtschaft und damit Hunderte Millionen Menschen dürften landesweit von Lockdowns betroffen sein, schätzen Experten.

Viele Unternehmen stoßen an ihre Grenzen. Beschäftigte und gerade Wanderarbeiter müssen häufig schmerzhafte Lohneinbußen hinnehmen. Schon bei einzelnen Infektionen oder Verdachtsfällen werden ganze Wohnblöcke und Wohnanlagen abgeriegelt. Verärgerte Bewohner rissen in Peking und anderswo errichtete Absperrungen nieder. In der Hauptstadt sind ohnehin Geschäfte, Restaurants und Schulen geschlossen.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ich glaube schon lange, dass die Null-Covid-Politik der Kommunistischen Partei Chinas zum Scheitern verurteilt ist. Der Druck in der Bevölkerung steigt wie in einem Dampfkessel und bricht sich nun erstmals Bahn.“ Die Verbindung von Corona-Protesten mit Forderungen nach Freiheit und Demokratie im Hochschulwesen habe „eine neue Qualität“.

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In Politbüro und Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas könne das nur als Bedrohung des eigenen totalen Herrschaftsanspruchs gewertet werden, sagte Lambsdorff. „Man muss daher eine sehr harte Reaktion des Regimes befürchten. Die Proteste stehen noch ganz am Anfang. Es wäre naiv zu glauben, dass sie in diesem Stadium bereits zu fundamentalen Veränderungen führen könnten.“

Lesen Sie auch: Chinas Mittelschicht rebelliert gegen die Null-Corona-Diktatur

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