Knauß kontert

Statt Trump-Schelte wäre Selbstkritik angebracht

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Man schimpft auf Populisten und lenkt damit von eigenen Versäumnissen ab. Noch immer verweigern die politischen und anderen Eliten die tiefere Erforschung der Ursachen des Volkszorns in den USA und Europa.

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Vatikan betet für Erleuchtung Trumps
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon „Nach einem hart umkämpften und oft spaltenden Wahlkampf lohnt es, daran zu erinnern und sich neu bewusst zu machen, dass die Einigkeit in Vielfalt in den Vereinigten Staaten eine der größten Stärken des Landes ist“, sagte Ban laut Mitteilung am Mittwoch in New York. „Ich rufe alle Amerikaner dazu auf, diesem Geist treu zu bleiben.“ Die Vereinten Nationen erwarteten von den USA, dass sie sich auch weiterhin an internationale Kooperationen halten und unter anderem den Kampf gegen den Klimawandel und die Stärkung der Menschenrechte vorantreiben. Ban bedankte sich auch bei der unterlegenen Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton. „Sie ist ein mächtiges Symbol für Gleichberechtigung von Frauen und ich habe keinen Zweifel, dass sie weiterhin zu unserer Arbeit weltweit beitragen wird.“ Quelle: REUTERS
Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto„Mexiko und die USA sind Freunde, Partner und Verbündete, die weiterhin zusammenarbeiten sollten für die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung von Nordamerika“, schrieb Nieto am Mittwoch auf Twitter. „Ich vertraue darauf, dass Mexiko und die USA ihre Beziehungen in Kooperation und gegenseitigem Respekt weiter ausbauen.“ Quelle: REUTERS
Kanadas Premierminister Justin Trudeau Quelle: REUTERS
Chinas Präsident Xi Jinping Quelle: AP
Russlands Präsident Vladimir Putin Quelle: REUTERS
Bundespräsident Joachim Gauck Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU Quelle: REUTERS

Der Tenor der leitmedialen und politischen Reaktionen auf Trumps Sieg entsprach dem Tenor der Berichterstattung über seinen Wahlkampf: Der Mann galt als eine Gefahr für die demokratische Weltordnung – und die sei nun eingetreten. Trump also als der große Zerstörer des Wahren, Guten und Schönen. Bernd Ulrich rückt Trump in der ZEIT gar in die Nähe von „faschistischen Führern“ und ruft „eine Zeit des Kampfes“ aus. Europa, so fordert der stellvertretende Chefredakteur, sei nun mit Merkel an der Spitze dazu berufen, dieser Zerstörung entgegen zu treten, um westliche Werte zu verteidigen.   

Dieser Tenor leistet wenig zur Erkenntnis der gegenwärtigen Lage in den USA, Europa und der westlichen Welt. Und zur Lösung von Problemen trägt er schon gar nichts bei. Er ist im Gegenteil, sogar selbst ein großes Problem, weil er erstens Ursache und Wirkung verwechselt. Zweitens zu einem Konflikt aufruft, an dem niemandem gelegen sein kann. Abgesehen davon, dass man solchen Furor zur Verteidigung westlicher Werte vermisste, als der Islamist Recep Tayyip Erdogan 2003 die türkischen Parlamentswahlen gewann.

Noch weniger tragen solche Reaktionen wie die der Minister Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier zu irgendeiner Besserung der Lage bei. Im Gegensatz zur diplomatisch klugen Bundeskanzlerin, die dem Wahlsieger gratulierte und ihre Zusammenarbeit ankündigte, poltern der Vizekanzler und der Außenminister (und künftige Bundespräsident?) in einer selbstzerstörerischen Weise, die man sonst eher von ihrem berüchtigten Parteifreund Ralf Stegner gewöhnt ist. Gabriel nennt den gewählten, künftigen US-Präsidenten einen "Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen", der deutsche Außenminister verweigert ihm die Gratulation.

Das ist nicht nur undiplomatisch, es offenbart auch den Unwillen oder die Unfähigkeit, die tieferen Ursachen dieses epochalen Ereignisses zu ergründen. Angesichts der verheerenden eigenen Wahlergebnisse in jüngster Zeit offenbart sich da ein erstaunliches Maß an Uneinsichtigkeit.

Wie kann ein SPD-Vorsitzender glauben, dadurch verlorene Wählersympathien zurückgewinnen? Trump wird von seinen Wählern in den USA und Sympathisanten in Europa gerade nicht als autoritär und chauvinistisch wahrgenommen, sondern eher als das Gegenteil: als ein Rebell, der ein allmächtiges Kartell der politischen Klasse durchbricht. Einer politischen Klasse, die sich dem Volk jahrzehntelang als alternativlos präsentierte.

Trumps wirtschaftspolitische Pläne

Der Vorwurf, einen „Rollback in die alten, schlechten Zeiten" zu planen (Gabriel über Trumps angebliches Ziel), ist nichts, was einem Trump-Wähler oder einem deutschen AfD-Anhänger Angst macht. Gabriel gewinnt damit keine Sympathien unter Menschen mit Abstiegsängsten. Denn die „alten Zeiten“ sind für sie nicht Krieg und Elend der ersten Jahrhunderthälfte, sondern die nivellierte Mittelstandsgesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit sicheren Jobs, steigenden Realeinkommen und der Aussicht auf Renten, die den gewohnten Lebensstandard garantieren. Und daran erinnert man sich unter Trumps Wählern vermutlich ebenso gerne, wie unter AfD-Wählern (von der DDR-Vergangenheit vielleicht abgesehen). Der Versuch der Reanimation eines altlinken Hasses auf die „Reaktion“ erscheint im Jahre 2016 völlig aus der Zeit gefallen.

Nicht die alten, angeblich schlechten Zeiten erfüllen den abtrünnig gewordenen Wähler der Volksparteien mit Schrecken, sondern die Angst vor der Zukunft. Einer Zukunft, in der die Früchte des ökonomischen Wachstums nur denen zugute kommen, die bereits am meisten haben und sich der ebenso wachsenden Last der ökonomischen, ökologischen und sozialen Risiken und Schäden entziehen können. Einer Zukunft, in der die Aussicht auf bestenfalls stagnierenden Wohlstand mit dem Verlust aller kulturellen und lebensweltlichen Gewissheiten der Vergangenheit einhergehen wird.

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