Niederlande und Türkei Im Kampfwahlmodus

Die Niederlande lassen den Streit um Wahlkampfveranstaltungen mit der Türkei diplomatisch eskalieren – weil sie selbst im Wahlkampf stecken. Ministerpräsident Rutte reagiert hart. Auch, weil er um die Wiederwahl bangt.

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Vor dem Konsulat in Rotterdam. Quelle: dpa

Den Haag Wasserwerfer, Schlagstöcke, zähnefletschende Polizeihunde. Es fliegen Steine und Blumentöpfe. Mindestens sechs Demonstranten und ein Beamter werden verletzt. Das türkische Fernsehen lässt stundenlang die Kameras laufen und wiederholt auch immer wieder Szenen, in denen niederländische Polizisten wütende Männer vor dem Konsulat der Türkei in Rotterdam zurückdrängen. In der Nacht wird die Lage auch in Ankara kurz heikel, als ein Mann auf das Gelände der niederländischen Botschaft eindringt und deren Landesflagge mit den Worten „Gott ist groß“ durch die türkische ersetzt.

Die diplomatischen Spannungen zwischen Türkei und EU haben eine neue Eskalationsstufe erreicht. Während es in Deutschland örtlichen Behörden überlassen bleibt, über die Zulassung von Wahlkampfveranstaltungen mit türkischen Ministern zu entscheiden, zeigt die niederländische Regierung in Den Haag klare Kante. Dem Flugzeug von Außenminister Mevlüt Cavusoglu wird die Landerlaubnis entzogen. Als daraufhin Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya von Deutschland aus mit dem Auto nach Rotterdam fährt, wird ihr Wagen dort von Polizisten blockiert, sie wird zu unerwünschten Person erklärt und zurück nach Deutschland eskortiert. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu droht den Niederlanden mit Konsequenzen, sollten sie sich nicht entschuldigen. Er äußerte sich vor Journalisten in Frankreich. Dort ist im Laufe des Tages in Metz ein Auftritt Cavusoglus geplant.

„Wir lassen uns nicht erpressen“, hat Ministerpräsident Mark Rutte am Samstag klargestellt und entschieden, dass hochrangige Abgesandte des türkische Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan daran gehindert werden, in den Niederlanden für dessen umstrittene Verfassungsreform zu werben. Rutte legte am Sonntag gleich nach, bezeichnete das Verhalten der türkischen Regierung erneut als Erpressung bezeichnet. Ankara habe mit Sanktionen gedroht, sollte ihnen nicht gestattet werden, vor Landsleuten für das Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April zu werben, sagte Rutte am Sonntag. „Wir können niemals unter dieser Art Erpressung miteinander arbeiten“, fügte er hinzu. „Wir haben eine rote Linie gezogen.“ Dennoch will er alles in seiner Macht stehende unternehmen, um den Konflikt mit der Türkei zu entschärfen.

Manch einer reibt sich die Augen: Die Niederländer - sind das nicht die, die bei Problemen immer so lange reden wollen, bis ein Kompromiss erreicht wurde? Das habe man ja versucht, erklärt Rutte. Doch Ankara habe mit der massiven Androhung wirtschaftlicher und politischer Konsequenzen reagiert und obendrein mit Beleidigungen. „Die Suche nach einer angemessenen Lösung erwies sich als unmöglich. Die verbalen Angriffe von den türkischen Behörden, die daraufhin erfolgten, sind nicht akzeptabel.“


Wilders versucht, die Lage zu nutzen

Weithin hat besonders dieser Satz Erdogans bei Niederländern für Empörung gesorgt: „Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten.“ Deutsche Bomber hatten Rotterdam im Mai 1940 in Schutt und Asche gelegt. Erst danach hatten die Niederlande sich der übermächtigen Kriegsmaschinerie der Nazis ergeben - während die Türkei 1941 mit Nazi-Deutschland einen Freundschaftsvertrag und Nichtangriffspakt unterzeichnete.

Auf den Bildern von damals hängen die Fahnen mit dem Hakenkreuz und dem Halbmond nebeneinander. „Sie haben vergessen, dass ich Bürgermeister einer Stadt bin, die von den Nazis bombardiert wurde“, sagt Rotterdams muslimisches Stadtoberhaupt Ahmed Aboutaleb zu Erdogans Schimpftiraden.

Dennoch fragen sich viele Niederländer nun, ob eine derartige Eskalation eines politischen Streits nicht vermeidbar gewesen wäre. Allerdings: Die Niederlande sind voll im Wahlkampfmodus. Am kommenden Mittwoch wird ein neues Parlament gewählt, was zugleich die Weichenstellung für die Bildung der nächsten Regierung ist. Rutte spürt den Atem des Rechtspopulisten Geert Wilders im Nacken. Dessen Partei für die Freiheit (PVV) liegt laut Umfragen nur knapp hinter Ruttes rechtsliberaler Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VDD).

Mit seinem harten Kurs gegen türkische Ministerauftritte - so kritisiert die Migrantenpartei Denk, eine Abspaltung der Sozialdemokraten - versuche Rutte, Wilders den Wind aus den Segeln zu nehmen. Kein Wunder, dass der Rechtspopulist die üblen Szenen vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam zu eingängigen Twitter-Botschaften verarbeitet.

Rutte habe nur deshalb Mumm bewiesen, weil die PVV ihn vor sich hertreibe, tönt der Rechtspopulist mit der markanten wasserstoffblonden Haartolle. „Ich sage allen Türken in den Niederlanden, die mit Erdogan übereinstimmen: Geht in die Türkei und kommt nie mehr wieder!“ Und nach den Krawallen in Rotterdam twittert er über die Demonstranten: „Die Niederlande sehen nun, dass das Türken sind und keine Niederländer. Sie haben unseren Pass, aber gehören nicht zu uns. Sie haben hier nichts zu suchen.“ Im Wahlkampf bleibt Fingerspitzengefühl, so scheint es, allerorten auf der Strecke.

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