WirtschaftsWoche: Herr Grigoriadis, was sind Oligarchen?
Theocharis Grigoriadis: Oligarchen sind Menschen, die durch Korruption und politische sowie wirtschaftliche Einflussnahme ihr Vermögen aufgebaut haben. Dabei können sie auch eine gewisse politische Macht besitzen. Die russischen Oligarchen kamen nach dem Fall der Sowjetunion zu großem Reichtum. Zudem gehörten sie in der Sowjetunion zu denjenigen mit politischem Status. Genauer gesagt gehörten sie zu drei Gruppen: Universitätsprofessoren der Sowjetunion, sowjetische Manager oder politische Mitglieder der Machtelite der Sowjetunion. Bei den heutigen Oligarchen in Russland handelt es sich um eine Mischung aus Geheimdienstlern und Unternehmern. Sie liegen zwischen Unternehmertum und Mafia.
Wie sind Oligarchen zu ihrem Vermögen gekommen?
Durch ihre Machtposition in der Sowjetunion konnten sie bei korrupten Auktionen ihre Kontakte spielen lassen und dominierten diese. Dadurch haben sie auf intransparentem Weg sogenannte Assets, also Besitztümer, erlangt. Zudem erhielten sie dadurch wirtschaftliche und politische Macht.
In welchen Branchen sind Oligarchen vor allem zu finden?
Gerade in den Öl-, Metall und Technologiesektoren gelangten sie zu institutioneller Macht. Generell zählen zu den Marktsektoren, in denen Oligarchen aktiv sind, alle strategischen Sektoren außer Gas. Gazprom beispielsweise war schon immer ein Staatsunternehmen. Gerade bei der Entstehung von Offshore-Unternehmen ist es eine gängige und korrupte Praxis, keine Steuern zu zahlen.

Welchen Einfluss hatte der Zerfall der Sowjetunion 1990 auf das Dasein der Oligarchen?
Als 1990 die Sowjetunion fiel und Russland eine Marktwirtschaft entwickelte, herrschte Chaos, denn der Staat war nicht in der Lage, öffentliche Güter bereitzustellen und die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dafür sahen sich die Oligarchen zuständig. Sie bereicherten sich, indem sie an korrupten Auktionsverfahren teilnahmen.
Welche Rolle spielten Oligarchen in den 1990ern und 2000ern im politischen System Russlands?
Als Putin Anfang der 2000er Jahre Präsident wurde, mussten die „alten“ Oligarchen zum Großteil fliehen. Nach dem Machtwechsel waren viele gezwungen zu verkaufen und in die USA, nach Großbritannien oder Israel zu gehen. Einige schafften es in der „Ära Putin“ zu bestehen. Allerdings gehören die meisten Oligarchen um den russischen Präsidenten dem sogenannten Petersburger Kreis an. Das sind Freunde von Wladimir Putin, unter anderem vom KGB, die politische und ökonomische Verbindungen entwickelten.
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Welche Verbindung gibt es zwischen Putin und den Oligarchen?
Ich denke, dass die Verbindung zwischen Putin und den Oligarchen für beide Seiten vorteilhaft ist, weil sie eine gemeinsame Verbindung zum Geheimdienst haben. Zudem sind die Oligarchen abhängig von Putin und seinen Entscheidungen. Aber auch Putin ist abhängig von Allianzen und Koalitionen – allerdings weniger von denen mit westlichen Politikern als mit den Oligarchen. Die westlichen Politiker nimmt er nicht so ernst. Er hat gerade erst ein Einreiseverbot für einige Politiker ausgesprochen, wie beispielsweise für US-Präsident Joe Biden. Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nimmt er gar nicht wahr.
Wie hat sich der Einfluss der Oligarchen auf die russische Politik und auf Putin in den vergangenen Jahren verändert?
Für das politische System Russlands sind die Oligarchen wichtige Wirtschaftsakteure. Allerdings muss man zwischen den 1990ern und 2000ern differenzieren, denn das sind unterschiedliche Leute. Denn der Petersburger Kreis kam mit Putin nach Moskau. Zu dem Petersburger Kreis zählen beispielsweise Arkady Rotenberg oder Sergey Ivanov. Generell hat sich der Einfluss nicht verändert, aber das könnte er bald. Denn es kommt darauf an, was in der Zukunft noch passieren wird und welche Sanktionen gegen die russische Wirtschaft noch verhängt werden.
Könnten die Oligarchen Putin ein Ende bereiten?
Zur Zeit: Nein. Aber für die Zukunft kann ich das nicht ausschließen, wenn die Sanktionen des Westens schärfer werden sollten. Denn aktuell wurde der russische Finanzmarkt gesperrt. Es gibt zwar eine hohe Verschuldung, aber Russland ist ja auch nicht arm. Sollte es aber beispielsweise einen Importstopp für russisches Gas geben, dann geht der russische Staat bankrott.
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