Südamerika Brasilien taumelt in die Krise

Seite 3/3

Was plant Lula?

Dabei wäre jetzt dringend genau das Gegenteil notwendig, um Vertrauen zu schaffen: Der Haushalt muss ausgeglichen werden, denn er rutscht immer tiefer in die roten Zahlen, weil die Regierung mehr ausgibt, als sie einnimmt. Die Investoren leihen Brasilien nur noch gegen Hochzinsen Geld. Die Gefahr einer Verschuldungskrise innerhalb Brasiliens wächst. Brasiliens Wirtschaft liegt bereits jetzt am Boden, weil niemand mehr investiert oder konsumiert. Die Shoppingcenter sind gähnend leer, private Schulen klagen jetzt zu Beginn des Schuljahres über Abmeldungen, auch gut geführte Unternehmen entlassen Mitarbeiter. Besonders schlecht geht es den Branchen, die von der Regierung durch Protektion und Kreditsubventionen künstlich gehätschelt wurden. Beispiel Automobilbranche. Bis vor Kurzem war Brasilien noch der viertgrößte Automarkt der Welt. Jetzt nähert sich die Produktion wieder dem Stand von vor einer Dekade. 2015 sind die Fertigungszahlen um ein Viertel eingebrochen. Im ersten Quartal dieses Jahres sind sie erneut um ein Drittel geschrumpft. Die Kapazitäten etwa der Lkw-Bauer sind nur noch zu 20 Prozent ausgelastet.

Das große Inkognito ist jetzt Lula. Wie zu seinen Hochzeiten geriert er sich wieder als der politische Underdog, der das Establishment herausfordert. Der von den Reichen gehasst und kleingehalten wird. Die ihm nicht verzeihen würden, dass er den Armen einen Platz an der Sonne verschaffen wollte. Lula preist sich als der Präsident, der Brasilien so gut regiert habe wie kein anderer. „Besser als alle die Herren Doktoren vor mir.“ Der aber jetzt kampfbereit sei. „Wie eine Giftschlange, der man den Schwanz abgeschlagen hat, aber nicht den Kopf.“

Lula hofft, dass seinen Unterstützern nicht aufstößt, dass unter ihm die Banken so gut verdient haben wie nie zuvor, dass die Baukonzerne Brasiliens ihm Millionen für seine Reden im Ausland bezahlt haben, die nie jemand gehört hat.

Ermittlungen gegen Hunderte Verdächtige

Und der eigentliche Skandal? Zu wenig berechenbar sind die Ermittlungen in der Korruptionsaffäre. Richter Sergio Moro aus Südbrasilien hatte vor genau zwei Jahren den Skandal durch seine hartnäckigen Ermittlungen ins Rollen gebracht. Gegen Hunderte von Verdächtigten wird ermittelt. 67 Personen wurden bisher zu insgesamt fast 1000 Jahren Gefängnis verurteilt. Darunter zwei Dutzend Manager und Eigentümer der größten Unternehmen Brasiliens. Mindestens genauso viele Verdächtigte schmoren seit Monaten in Untersuchungshaft. Das hat es noch nie gegeben in Brasilien, wo die Elite immer darauf zählen konnte, straffrei auszugehen.

120 Millionen Dollar haben die Verurteilten bereits von ihren Konten aus der Schweiz abgezogen und nach Brasilien zurückschicken lassen, im Tausch gegen Strafminderung. Jetzt hat die Schweizer Bundesanwaltschaft angekündigt, dass sie weitere 1000 verdächtige Konten mit insgesamt 900 Millionen Dollar gesperrt habe. Brasilien rechnet jeden Tag mit neuen spektakulären Enthüllungen der Ermittler. Das betrifft nicht nur die Arbeiterpartei und ihre Koalitionspartner. Auch in der Opposition fürchten einige, durch Aussagen von geständigen Kronzeugen noch in die Affäre verwickelt zu werden.

Wie versumpft das ganze Establishment Brasilias ist, zeigt sich etwa in der Figur Eduardo Cunha, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses. Der Evangelist und Radioprediger treibt das Amtsenthebungsverfahren maßgeblich voran. Doch auch gegen ihn wird ermittelt. Von Cunha sind Kopien von Konten mit Millionen in der Schweiz aufgetaucht – mit Passfoto und seiner Unterschrift. Die Medien rechnen damit, dass der Oberste Gerichtshof Cunha jeden Augenblick festnehmen lassen könnte. Doch Cunha wäre nach der Verfassung hinter dem bisher unbescholtenen Vizepräsidenten Michel Temer der dritte potenzielle Nachfolgekandidat Rousseffs.

Unternehmer Pih ist trotz des Korruptionssumpfes weiterhin hoffnungsvoll für Brasilien – „mittelfristig“ sagt er, wie die meisten Unternehmer derzeit, wenn sie Prognosen zu Brasilien wagen sollen. Er hat gerade sein Mühlenimperium an den US-Händler Bunge verkauft. Was er denn nun mache mit dem Geld, will man wissen. „In Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur investieren“, sagt Pih. Die Brasilianer würden älter werden, und auch in der Infrastruktur gebe es dringenden Nachholbedarf. Doch er habe keine Eile mit den Investitionen, sagt er. „Die brasilianischen Aktiva sind billig“, sagt Pih. „Doch sie werden sich in der nächsten Zeit noch deutlich mehr entwerten.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%