Türkei Erdoğans groteskes Wirtschaftsdenken

Das Istanbuler Finanzviertel Levent. Quelle: dpa

Die Inflationsrate in der Türkei lag 2018 bei 15 Prozent. Trotzdem wettert Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch immer gegen höhere Leitzinsen. Was steckt hinter seinen Attacken?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Worin der Unterschied zwischen einer westlichen und einer islamischen Bank besteht? Das erklärt Finanzexperte Yakup Kocaman am Beispiel eines Autos für 100 000 Lira: „Bei einer westlichen Bank nehmen Sie einen Kredit auf und zahlen die Summe verzinst zurück“, sagt er. „Eine islamische Bank begutachtet das Auto, kauft es für Sie und leiht es Ihnen, bis Sie das Geld zurückgezahlt haben.“

Der Berater für islamisches Wirtschaften sitzt – ziemlich westlich-kapitalistisch – in der Starbucks-Filiale einer großen Shopping Mall. Einziger Hinweis auf seine islamisch-konservative Herkunft ist das Stadtviertel, in dem das Treffen stattfindet. Üsküdar auf der asiatischen Seite der Stadt gilt als Hochburg ultraislamischer Orden, denen Erdoğans Wirtschaftspolitik oft noch viel zu westlich ist. 

Zinsen tauchen in dem von Kocaman geschilderten Geschäft nicht auf. Und damit auch nicht das lästige Thema Inflation.

Die lag in der Türkei im Dezember 2018 bei mehr als 20 Prozent (siehe Grafik), im Jahresschnitt bei mehr als 15 Prozent. Die Geldentwertung schritt in dem G20-Land rascher voran als in Haiti und fast so schnell wie in Sierra Leone. Es sind nicht die besten Referenzen für das auf seine Entwicklung so stolze Land.

Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verweist zwar darauf, dass die Spitzenwerte vom Herbst, als die Geldentwertung 25 Prozent erreichte, der Vergangenheit angehörten. Viele Experten vermuten, dass das Schlimmste der türkischen Wirtschaft noch bevorsteht, dies aber bis zu den Kommunalwahlen im kommenden März möglichst verdeckt werden soll. Auch die Währung fällt nach den jüngsten Verstimmungen mit den USA in der Syrien-Frage gerade wieder.

Firmen leiden unter Euro-Krediten

Bald dürfte der Währungsverfall auch auf die Unternehmen durchschlagen. Weil viele türkische Firmen mit Fremdwährungskrediten verschuldet sind, können sie ihre Schulden häufig nicht mehr bedienen. Dass es vermehrt zu Insolvenzen kommt, ist daher nur eine Frage der Zeit. Zumal sich auch Kredite in Lira verteuert haben: Die Notenbank erhöhte die Zinsen auf bis zu 24 Prozent.

Trotzdem wettert der Präsident immer wieder gegen die Zinserhöhungen der Zentralbank, stellt gern ihre Unabhängigkeit infrage und ihre schärfere Kontrolle in Aussicht. Bei seinen konservativen Wählern macht er Stimmung gegen eine „internationale Zinslobby“ – eine vermeintliche globale Allianz von Spekulanten, die der Notenbank hohe Zinsen aufzwingt, um der türkischen Wirtschaft zu schaden. 

Hohe Zinsen, so Erdoğan, würden die Inflation nicht bekämpfen, sondern verursachen. Aus westlicher Sicht ist das eine groteske Verdrehung von Ursache und Wirkung – als würde man behaupten, eine Chemotherapie würde Krebs überhaupt erst entstehen lassen.

Doch die Argumentation ist populär. Auch Kocaman, der Berater für islamisches Wirtschaften, zählt zu ihren Anhängern.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%