Vermögensstudie Global Wealth Report Warum die Wissenschaft kaum etwas über Reichtum weiß

Armuts-, Reichtums- und Verteilungsberichte haben derzeit Hochkonjunktur. Viele der Studien sind aber mit Vorsicht zu genießen. Vor allem Reichtumsberichte haben einen entscheidenden Makel: Die Vermögen der Superreichen müssen geschätzt werden – weil es keine belastbaren Daten gibt.

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Eine Hand voller Goldmünzen Quelle: AP

Seit Jahren gibt es eine ganze Reihe von Studien zur Vermögensentwicklung in der Welt. Allein unter dem Titel „Global Wealth Report“ erscheinen gleich drei Berichte im Jahr: Boston Consulting veröffentlicht im Juni, die Allianz präsentiert ihren Vermögensbericht im September und die grauen Novembertage nutzt die Schweizer Bank Credit Suisse, um ihren Report publik zu machen.

Natürlich hat jede dieser Studien andere Schwerpunkte und Berechnungs- beziehungsweise Schätzmethoden. Beispielsweise nennt die Allianz nur das Vermögen ohne Immobilien, die Credit Suisse hingegen kalkuliert Immobilienbesitz mit ein – und kommt entsprechend auf viel höhere Werte. So liegt bei den Bankern aus der Schweiz das globale private Vermögen bei 240 Milliarden Euro, bei der Allianz betrug es hingegen 170 Milliarden Euro.

Interessanter als das Gesamtvermögen ist jedoch das Vermögen pro Kopf in den jeweiligen Ländern. Und da wird die Analyse allmählich undeutlich: Laut Global Wealth Report der Credit Suisse hat beispielsweise die eine Hälfte der Deutschen ein Vermögen von weniger als 40.000 Euro, ergo die andere Hälfte mehr als 40.000 Euro pro Kopf. Das durchschnittliche Vermögen pro Kopf beträgt jedoch 174.000 Euro pro Kopf – mehr als das Vierfache.

Der Grund für die große Abweichung von Median- zu Durchschnittswert geht auf das Konto der Superreichen. Sie erhöhen den Durchschnittswert massiv – und verzerren so die Realität. Das Problem: So genau kennen wir die Vermögensverhältnisse der Reichsten nicht.

Markus Grabka zählt zu den renommiertesten Armuts- und Reichtumsforschern der Republik. Der Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zählt zum Team des Sozioökonomischen Panels, der größten Haushaltsbefragung in Deutschland; der gelernte Soziologe und Informatiker ist in den Tiefen der Einkommensstatistik quasi zu Hause. Umso mehr fuchst ihn ein großer weißer Flecken im Datenbestand: Es fehlen belastbare Zahlen über die Superreichen im Land.

„In den gängigen Surveys sind sehr wohlhabende Haushalte kaum vertreten. Die Zahl der befragten Haushalte mit einem Nettovermögen ab drei Millionen Euro liegt bei weniger als 50. Damit sind schwerlich belastbare empirische Aussagen zu dieser Gruppe zu treffen“, berichtet Grabka. Die Folge: Wenn sich Wissenschaftler hierzulande mit Reichtum beschäftigten, müssen sie hochrechnen, ökonometrische Schätzverfahren einsetzen und mit Simulationen arbeiten – eine Vorgehensweise, die laut Grabka „mit hoher Unsicherheit behaftet“ ist. Ökonomen können aus den Daten folglich auch keine belastbaren Trendaussagen machen, also sagen, ob die Vermögen der Superreichen zu- oder abnehmen. Wenn es um Reichtumsforschung geht, ist in Ökonomenkreisen daher von „Voodoo-Ökonomie“ die Rede.

Im Ausland ist das ähnlich. Bisweilen greifen Wissenschaftler für Verteilungsanalysen sogar auf die Liste des US-Wirtschaftsmagazins "Forbes" zurück, das seit 1987 jährlich alle Personen aufführt, deren (geschätztes) persönliches Vermögen eine Milliarde Dollar übersteigt. Aktuell sind darunter auch 114 Deutsche. Zu übermäßigem Erkenntnisgewinn führt das nicht. Wie Grabka von am "Forbes"-Ranking beteiligten Journalisten erfuhr, greifen diese auf allgemein zugängliche Quellen zurück und wissen so gut wie nichts über die Schulden der Reichen.

Eine US-Studie, die über einen längeren Zeitraum die biologischen Abgänge der "Forbes"-Liste mit der Erbschaftsteuerstatistik abglich, kam zu dem Ergebnis, dass die Nettovermögen der verstorbenen Milliardäre deutlich überschätzt worden waren.

Das Problem fängt schon damit an, dass jeder unter Reichtum etwas anderes versteht. „Beim Armutsbegriff gibt es in der Wissenschaft weitgehend einen common sense, da haben sich Definitionen und Begrifflichkeiten etabliert. Beim Thema Reichtum ist das  anders. Hier gibt es keine klare Definition“, berichtet  Grabka. Umfragen zeigen, dass in der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung  Reichtum etwa ab 750.000 Euro beginnt. Grabka hingegen sieht „die untere Schwelle eher bei 1,3 Millionen Euro, wenn man von seinem Vermögen einen durchschnittlichen Lebensunterhalt bestreiten möchte“.

Immerhin: Um zumindest etwas mehr über die „Reichen“ im Land zu erfahren, versuchen die Forscher am DIW derzeit, ein eigenes Panel für Wohlhabende aufzubauen.

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