




Das Kaspische Meer birgt gewaltige Öl- und Gasvorkommen, bis zu 100 Milliarden Barrel Erdöl könnten unter der Wasseroberfläche schlummern. Doch seine Anrainerstaaten kämpfen darum bislang nicht, sie haben sich sogar zur Kooperationsgemeinschaft Kaspischer Staaten zusammengeschlossen.
Das hat Russlands Präsident Wladimir Putin nicht davon abgehalten, 31 Kriegsschiffe auf dem größten Binnensee der Welt zu stationieren. Militärisch macht das angesichts des tiefen Friedens ringsum keinen Sinn, selbst wenn Moskau jetzt ausgerechnet diese Flotille in den Syrienkonflikt eingreifen lässt: Aus fast 1500 Kilometer Entfernung feuern die kaspischen Schiffe auf Feinde des vom Kreml gestützten Diktators Baschar al-Assad. Das könnten russische Kampfjets von ihrem eigenen Stützpunkt in der syrischen Küstenstadt Latakia viel effektiver und billiger erledigen.
Putin spricht...
„Russland hat keine Absicht, Krieg gegen das ukrainische Volk zu führen.“
am 4.3. in einer Pressekonferenz
„Wenn ich will, kann ich in zwei Wochen Kiew einnehmen.“
in einem am 01.09. bekanntgewordenen Telefonat mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
„Die Militarisierung des Weltraums und die US-Stützpunkte in Europa und Alaska, direkt an unserer Grenze, nötigen uns zu einer Reaktion.“
am 10.09. in einer Pressekonferenz
„Russland behält sich das Recht vor, alle vorhandenen Mittel zu nutzen, sollte es in östlichen Regionen der Ukraine zu Willkür kommen.“
am 4. 3. in einer Pressekonferenz
„Diese Gebiete (im Süden und Osten der Ukraine) waren als Neurussland historisch ein Teil des Russischen Reiches. Erst in den 1920er Jahren wurden die Territorien von den Bolschewiken der Ukraine gegeben. Gott weiß warum.“
am 17. 4. im russischen Staatsfernsehen
„Es müssen umgehend substanzielle inhaltliche Verhandlungen anfangen - nicht zu technischen Fragen, sondern zu Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der Staatlichkeit im Südosten der Ukraine.“
am 31. 8. vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe
„In der Ukraine gibt es bislang keine legitime Macht, mehrere Staatsorgane werden von radikalen Elementen kontrolliert.“
am 18. 3. in der Rede an die Nation
„Sind sie da jetzt völlig verrückt geworden? Panzer, Schützenpanzerwagen und Kanonen! (...) Sind sie total bekloppt? Mehrfachraketenwerfer, Kampfjets im Tiefflug! (...) Sind sie dort jetzt völlig bescheuert geworden, oder was?
am 17. 4. im russischen Staatsfernsehen
„In der Ukraine überschritten die westlichen Partner die rote Linie, verhielten sich grob, verantwortungslos und unprofessionell.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Die Vereinigten Staaten dürfen in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen agieren, aber Russland soll es verwehrt sein, seine Interessen zu verteidigen.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Russen zu einem der größten geteilten Völker der Welt. Millionen von Menschen gingen in einem Land ins Bett und erwachten in einem ganz anderen und wurden zur nationalen Minderheit.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Ich glaube daran, dass die Europäer, vor allem aber die Deutschen, mich verstehen werden (...). Unser Land hatte das starke Bestreben der Deutschen nach Wiedervereinigung unterstützt. Ich bin sicher, dass sie das nicht vergessen haben und rechne damit, dass Bürger Deutschlands das Bestreben der russischen Welt, ihre Einheit wiederherzustellen, (...) ebenfalls unterstützen werden.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
Putin schert sich nicht um Sinn oder Kosten. Dem Kreml-Herrscher, der sich gern in martialischen Posen und mit nacktem Oberkörper inszeniert, geht es um die Demonstration der russischen Stärke. Putin will der Welt und seinen Landsleuten vor Augen führen, dass seine Truppen so weit schießen und so präzise treffen können wie die Amerikaner – und auch bereit sind, das zu tun.
Für ihn macht derlei Großmachtpolitik Sinn. Seine aggressive Außenpolitik beschert ihm hohe Zustimmungsraten, weil er damit die lädierte russische Seele streichelt. Viele Russen haben bis heute nicht verwunden, mit dem Kollaps der Sowjetunion ihren Supermachtstatus verloren zu haben. Dass die Nato sich bis an Russlands Grenzen ausdehnte, weckt zudem alte Ängste vor der Umzingelung durch den Westen. Nach Umfragen des unabhängigen Lewada-Zentrums in Moskau betrachten immerhin drei Viertel der Russen diesen als „feindlich“.



Putins Kalkül ist denkbar einfach: Demonstriert er die Stärke seines Landes in der Welt, verzeihen ihm die Bürger die wirtschaftlichen Probleme daheim. Russland ist derzeit wirtschaftlich doppelt geschwächt, durch harte westliche Sanktionen seit dem Ukrainekonflikt und zugleich durch den Preisverfall von Erdöl und Erdgas. Aber das hat die außenpolitische Aggressivität des Kreml nur angeheizt. Nach dem hybriden und schwer zu klassifizierenden Krieg gegen die Ukraine führt Russland in Syrien erstmals einen regulären Krieg außerhalb des Gebietes der früheren Sowjetunion.
Aus ökonomischer Sicht sind die Kollateralschäden jedoch gewaltig – und weder Putin noch Russland können sich solche Abenteuer dauerhaft leisten. Das Militär des Landes – ohnehin seit Jahren mit einem gigantisch aufgeblähten Budget verwöhnt – verbrennt Mittel, die an anderer Stelle im Land dringend fehlen – etwa als Anschubmittel für Investitionen, als Sozialleistung für die verarmende Bevölkerung oder Hilfen für marode Sowjetfabriken, damit sie Entlassungen abwenden können.
Zudem trifft jede russische Rakete, die auf fremdem Boden einschlägt, auch das Vertrauen internationaler Investoren und Anleger: Nachdem Ukrainekrieg und Krimannexion die Märkte erschüttert hatten, blieb der Schock zu Beginn des syrischen Abenteuers zwar aus. In den Konzernzentralen der Welt weiß aber niemand, in welche weiteren Konflikte Putin sein Land führen will, also stellt man Investitionen zurück.