Abzocke mit Covid-19-Vakzin 50 Euro in bar: Wie Betriebsärzte an Impfungen verdienen

Gut ein Viertel der Deutschen ist nun vollständig geimpft. Einige davon haben Geld für ihre Impfung bezahlt. Das ist eigentlich ausgeschlossen. Quelle: dpa

Die Corona-Impfung ist für jeden Patienten kostenlos. Doch Fälle aus Köln und Berlin zeigen: Dienstleister im Auftrag von Firmen und ein Betriebsarzt lassen nichts unversucht, um mit der Impfung Geschäft zu machen.

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Der Journalist Frank Unterholz* freute sich, als er am vergangenen Donnerstag spontan ein Angebot bekam. Der Betriebsarzt seines Arbeitgebers hatte kurzfristig 40 Dosen des Astra-Zeneca-Impfstoffs zugeteilt bekommen. Unterholz meldete sich für den Pieks am Tag darauf an, früher als gedacht wäre er durchgeimpft. Doch als es so weit war, verlangte der Prof. Dr. Dr. med. plötzlich 50 Euro von Unterholz, der privat versichert ist. „Er meinte, die Impfung sei nur für gesetzlich Versicherte kostenlos“, sagt der Geimpfte.

Unterholz zahlte, „damit ich dann den Impfschutz habe“, äußerte dem Betriebsrat anschließend aber sein Befremden. Der hörte nach eigenen Angaben zum ersten Mal von der 50-Euro-Taxe. Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) hat für das Verhalten des Arztes keine Erklärung. Die Impfungen seien für alle Bürger gratis, egal, ob privat oder gesetzlich versichert.

Den Schutz der Bürger gegen das Covid-19-Virus bezahlt normalerweise der deutsche Staat. Abgesehen von der inzwischen aufgehobenen Impfpriorisierung für systemrelevante Berufe ist die Grundidee: Vor dem Corona-Vakzin sind zumindest finanziell alle gleich. Niemand soll benachteiligt werden, weil er weniger Geld zur Verfügung hat als andere. Oder anders versichert ist. Die Bundesregierung zahlt. Doch wenn nicht nur zentral über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) abgerechnet wird, sondern zusätzlich Geld vom Impfling genommen wird, wirft das die Frage auf: Rechnen Ärzte und Dienstleister, die Impfungen für Firmen organisieren, doppelt ab?

Gut ein Viertel der Deutschen ist so wie Unterholz nun vollständig geimpft. Doch wie er haben auch andere Geld für einen schützenden Schuss bezahlt. Hartmut Klien* hat sich ganz bewusst dafür entschieden. Ende Mai hörte er von einem Bekannten, der bei der Toyota Kreditbank in Köln arbeitet, dass eine Impfaktion anstehe. 75 Freunde und Verwandte könnten sich für 49 Euro in einer Klinik am Mediapark impfen lassen.

Der WirtschaftsWoche liegt eine Mail mit einer Einwilligungserklärung vor, dass der Arbeitgeber die Kosten für den Dienstleister vom Gehalt des jeweiligen Mitarbeiters abzieht. Das Geld sei eine Servicegebühr, heißt es in der Mail, „eine reine Prozessgebühr, die Kosten für den Impfstoff werden vom Bund getragen“. Nur bezahlt der eben nicht nur den Impfstoff, sondern über die KV auch die Arztleistungen.

Doppelt verdient: Ohne Test vor Ort keine Impfung

Klien machte mit. Die Impfung mit dem Stoff von Johnson & Johnson versprach sofortigen Schutz, weil von diesem nur eine statt zwei Dosen verabreicht werden. Er schätzt, dass an dem Sonntagabend, an dem die Impfung stattfand, rund 250 Menschen von verschiedenen Unternehmen in der Klinik gewesen seien. Vorher hätten alle einen Schnelltest machen müssen, unabhängig davon, ob sie ein aktuelles negatives Ergebnis dabei gehabt hätten oder nicht.

Für den Dienstleister eine weitere Einnahmequelle: Durch die nicht notwendigen Tests, die er zur Bedingung machte, verdiente er quasi doppelt. Angenommen, der Dienstleister rechnete bei der KV für 250 Tests jeweils zwölf Euro ab, macht das in wenigen Stunden 3000 Euro Umsatz. Wie die Firma heißt, erfuhr Klien nach eigenen Angaben weder aus der Kommunikation mit der Toyota Kreditbank noch vor Ort. Die Tochterfirma von Toyota Deutschland beantwortete die Fragen der WirtschaftsWoche bis Redaktionsschluss nicht.

Das Modell hinter der Dienstleistung mit der Impfleistung erklärt dafür Carlo Knöpfel. Er ist COO und „Koordinator Impfen“ von Siberati. Die im März gegründete Firma bietet neben Corona-Testungen auf seiner Homepage an: „Wir impfen Ihre Belegschaft.“ Vom Konzept über das notwendige Personal bis zu den tatsächlichen Impfungen übernimmt Siberati offenbar alles. Im Erstgespräch, erklärt Knöpfel, frage Siberati die Zahl der Mitarbeiter, den Standort und den Wunschzeitraum ab, dann folge „im Normalfall ein Gespräch mit der zuständigen betriebsärztlichen Betreuung“, um die Details zu klären. Ärzte, medizinisches Fach- und Verwaltungspersonal stelle Siberati auf Wunsch selbst, und das deutschlandweit.

Die Impfdosen würden „auf Rezept in der Apotheke bestellt und beschafft“. Welcher Arzt das für die Firma macht, sagt Knöpfel nicht. Für wie viele Unternehmen Siberati bereits Impfungen durchgeführt hat und was die Dienstleistung kostet, bleibt ebenfalls offen.

Die Münchener Firma Medisinn, die schon seit mehreren Jahren verschiedene Angebote zu Gesundheitsfragen macht und Konzerne wie DHL und Eon zu ihren Kunden zählt, bietet ebenfalls „einen umfassenden betriebsmedizinischen Covid-19-Impfservice an“. Was der kostet, steht nicht auf der Internetseite. Auf Anfragen der WirtschaftsWoche reagierte Medisinn nicht.

Verboten ist der Service nicht. Er ist sogar gängige Praxis. Unternehmen in Deutschland können ihre arbeitsmedizinische Betreuung an überbetriebliche Dienste auslagern. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte, vergleicht das mit dem Outsourcing von Bereichen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, etwa Buchhaltung und Finanzen. Als Beispiele nennt er die Deutsche Bahn und die Deutsche Telekom.

Die Telekom arbeitet mit der Bonner Firma BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik zusammen, die nach eigenen Angaben 148 Standorte hat und neben der Telekom auch Stadtverwaltungen und Ministerien betreut. Auch die Handelsblatt Media Group, in der die WirtschaftsWoche erscheint, nutzt für die arbeitsmedizinische Betreuung einen externen Dienstleister.

Für die Impfleistung bekommen Haus- und Betriebsärzte 20 Euro pro Patient. Muss eine Hausärztin zu einer Patientin hinfahren, bekommt sie 35 Euro zusätzlich. Panter fordert, dass diese Zulage auch für Betriebsärzte gelten müsse. Allerdings hätten viele Unternehmen eine individuelle Vereinbarung mit einem Betriebsarzt oder einem außerbetrieblichen Dienst. Das lasse die Impfverordnung ausdrücklich zu.

„Verstoß gegen das Berufsrecht“

Den Vergütungsanspruch eines Betriebsarztes über die KV schließt die Verordnung aus, wenn dieser „Leistungen (…) im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses in einem Betrieb oder im Rahmen einer Tätigkeit für einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten erbringt“ oder „ihm Leistungen (…) bereits anderweitig im Wege seiner Beauftragung durch ein Unternehmen vergütet werden“. Bezahlt die Firma oder ein Dienstleister die Ärztin also, dürfte diese die Impfleistungen nicht über die KV abrechnen.

Gänzlich verboten ist es, „über die in der Coronavirus-Impfverordnung geregelte Vergütung hinaus Zahlungen für die Durchführung einer Corona-Schutzimpfung“ anzunehmen oder zu verlangen, betont das Bundesgesundheitsministerium. Das stelle „einen Verstoß gegen das Berufsrecht dar“ und sei unter Umständen strafrechtlich relevant.

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Das Verhalten von Frank Unterholz‘ Betriebsarzt ist demnach mindestens höchst fragwürdig. Noch hat Unterholz keine Erklärung für die überraschenden Impfkosten bekommen. Genauso wenig wie die versprochene Quittung für den 50-Euro-Schein, den er auf den Tisch legen musste. Und ob er das Geld, von wem auch immer, noch zurückerstattet bekommt, weiß er nicht.

*Name geändert

Mehr zum Thema: Die Impfrate steigt, aber es ergeben sich neue Fragen: Wie gefährlich ist die Delta-Variante? Brauchen wir neue Impfstoffe? Und warum wurden die Virusvarianten umbenannt?

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