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Auf der Titanic gibt’s für alle Freichampagner

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Mitten in der Energiekrise wirken die Ampelstrategen wie im Wahlkampf statt im Krisenmodus. Sie handeln verschwenderisch und fahrlässig.

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Heinrich von Pierer ist kein armer älterer Herr. Trotzdem macht der Staat dem Ex-Siemens-Chef ein Geschenk im Wert von 300 Euro brutto – so wie allen 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Rund 85 Prozent brauchen das Geld laut Armutsstatistik allerdings nicht.

Ja, ist denn schon wieder Bundestags-Wahlkampf? Nein, ist es nicht. Und genau hier liegt das Problem. Deutschland schlittert in eine der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte, und die Regierung verteilt meist wirkungslose Aufmerksamkeiten für ihre Klientel. Die 95 Milliarden Euro schwere Entlastungsorgie funktioniert über weite Strecken wie das klassische Wahlgeschenk – Verschwendung per Gießkannenprinzip. Unter der Einfrierung des CO2-Preises und der Anfettung der Pendlerpauschale leidet zusätzlich das Klima – begründet mit eigennützigen Warnungen vor dem Volksaufstand. Kleine Mittelständler und Handwerker gehen dabei übrigens leer aus. Auch das ähnelt der Wahlkampfsituation, in der Maßnahmen für Unternehmer als unpopulär gelten.

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Die Ampelstrategen versuchen sich im großen Stil Wählerstimmen zu erkaufen, statt Sicherheit für die wirklich Bedürftigen zu schaffen und die Energieversorgung auf den Worst Case vorzubereiten. Das wäre ungefähr so, als hätte die Reederei der Titanic für die Kundenbindung jedem Passagier einen Champagner geschenkt und sich dafür noch mehr Rettungsboote gespart. Wer an die Unsinkbarkeit glaubt, macht das so. Oder in den Worten von Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Es ist weiterhin sehr unwahrscheinlich, dass es zu Krisensituationen und Extremszenarien kommen wird.“

So lässt er nur zwei der drei Atomkraftwerke als Notreserve vorhalten – und macht vielleicht nach dem Gasumlage-Flop den nächsten handwerklichen Fehler. Die Experten ignoriert er, vor den Grünen in Hannover knickt er ein. Dort sind im Oktober Landtagswahlen, weshalb das Atomkraftwerk Emsland definitiv vom Netz muss. In einem angebotsgestörten Energiemarkt kappt der Wirtschaftsminister einen Teil des Angebots, statt es befristet weiter zur Verfügung zu stellen, wie es die Wirtschaftsweise Veronika Grimm fordert. Diese fahrlässige Wette verurteilen selbst viele Befürworter des Atomausstiegs, der mittelfristig durchaus sinnvoll ist.

Wenigstens macht es Luxusrentner von Pierer richtig. Er spendet 600 Euro an die Jugendsparte seines Tennisvereins, hat er einem „Handelsblatt“-Kollegen erzählt. Aus einem beliebigen Wahlgeschenk wird eine treffsichere Maßnahme.

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