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Hitzefrei sollte für Politiker Pflicht sein

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Die Industrieproduktion schrumpft, das Insolvenzrisiko steigt, die Kurzarbeit wächst. Doch die Politik schweigt dazu – und will lieber Airlines verstaatlichen.

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Vielleicht wird Markus Söder ja schnell seekrank. Anders lässt es sich nicht erklären, warum er an Bord fehlen wird, wenn Greta Thunberg demnächst emissionsfrei in die USA segelt. Denn der Ministerpräsident Bayerns lässt keine Klimaschutzparty aus. Von der Europawahl traumatisiert, zettelt Söder ein Wettrüsten an. Er möchte plötzlich grüner als die Grünen sein. Sogar im Grundgesetz will Söder den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe verankern, obwohl das seine eigene Partei noch vor einem Jahr strikt ablehnte.

Söder steht mit seinem Aktionismus nicht alleine da. In der Castingshow „Deutschland sucht den Super-Klimaschützer“ machen alle mit – mit teils absurden Darbietungen. Linken-Chef Bernd Riexinger will gar die Airlines verstaatlichen. Offenbar hat er sich noch nie näher mit der Performance der staatlichen Flugbereitschaft beschäftig und auch noch nie etwas von einer eleganten CO2-Bepreisung gehört. Mitten im Sommerloch sollte Hitzefrei für manche Politiker zur Pflicht werden.

Das kollektive Kümmern um das Klima ist zweifellos überfällig. Viel zu lange geschah viel zu wenig. Dabei darf die Politik aber nicht hysterisch in die Konzeptlosigkeit abdriften – und vor allem darf sie vor lauter Tunnelblick andere Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren.

Beinahe schon stoisch nimmt die Nation die stetigen Hiobsbotschaften von der Industriefront entgegen. Die Produktion sinkt, die Aufträge gehen zurück. Die Kurzarbeit nimmt zu, die Leiharbeit ab und die Arbeitszeitkonten schmelzen langsam ab. Die lahmende Weltkonjunktur hinterlässt Spuren. Hinzu kommen in der Autoindustrie die strukturellen Probleme aus der Transformation hin zu einer klimaschonenderen Flotte. Erste große Zulieferer gehen jetzt pleite, weitere werden folgen.

Es droht zwar keine Massenarbeitslosigkeit, weil die Babyboomer bald in Rente gehen. Und eine CO2-neutrale Wirtschaft schafft neue Jobs. Aber das reicht nicht. Statt zu schweigen, muss die Politik offensiv Standortfaktoren wie Bildung, Steuern und digitale Infrastruktur angehen, um die aufziehende Krise zu mildern. Am schnellsten lassen sich die Unternehmenssteuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau senken. Frankreich, dessen Industrie besser als die deutsche läuft, macht es vor.

Vielleicht sollte Freistaat-For-Future-Söder doch auf der Gretanic anheuern. Auf hoher See verbreitert sich der Horizont wie von selbst.

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