Bürgergeld Was fehlt? „Eine deutlichere Verbesserung der Arbeitsanreize“

Zuverdienst zum Bürgergeld: Die FDP möchte da nachbessern. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Bundesrat blockiert das Bürgergeld, nun muss im Vermittlungsausschuss verhandelt werden. Die FDP hofft, auch die Zuverdienstregeln noch einmal zu ändern – Experten raten schon lange zu einer grundlegenden Reform. 

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Es steht gerade seit vier Minuten fest, dass das Bürgergeld im Bundesrat gescheitert ist, da meldet sich Jens Teutrine zu Wort. Die FDP – Teutrines Partei – gehe offen in das Vermittlungsverfahren, sichert der Bundestagsabgeordnete zu. Und fügt hinzu: Er würde es außerdem begrüßen, weitere Schritte bei den Zuverdienstregelungen zu gehen. „Wer sich Stück für Stück rausarbeiten möchte, der soll belohnt und nicht bestraft werden“, sagt Teutrine.

Mehrere Bundesländer, in denen CDU und CSU die Regierung führen oder mitregieren, blockieren – zumindest vorübergehend – die Pläne der Bundesregierung, zum Januar das Hartz-IV-System durch ein neues Bürgergeld zu ersetzen. Die Union stört sich vor allem daran, dass in den ersten sechs Monaten deutlich weniger Sanktionen möglich sein sollen, wenn Menschen die Leistung beziehen, aber nicht mit ihrer Beraterin oder ihrem Berater im Jobcenter zusammenarbeiten.
Auch hält sie die geplanten Änderungen beim Schonvermögen für zu hoch – also die Freigrenzen für das Ersparte, das zunächst nicht antasten müsste, wer Bürgergeld erhält. Insgesamt werde das bewährte Hartz-IV-Prinzip vom „Fördern und Fordern“ aufgeweicht, lautet der Vorwurf. Also, dass wer vom Sozialstaat unterstützt wird, eben auch die Pflicht hat, etwas dafür zu tun, möglichst bald wieder selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu können.

An diesem Punkt setzt auch Teutrines Hoffnung an, die Pläne in Sachen Zuverdienst nachzubessern – es ist ein Kernanliegen der Liberalen, das anzugehen, was die Ampelkoalition aber erst einmal verschoben hat. Worum es geht? Menschen, die Arbeitslosengeld II – Hartz IV – erhalten, und auch selbst etwas Geld hinzuverdienen, unterliegen strengen Regeln. Verdient man mehr als den Freibetrag von 100 Euro, schmälert sich der Hartz-IV-Satz bislang zunächst um 80 Prozent. Bei einem Betrag von 1000 bis 1200 Euro (bei Alleinerziehenden sind es 1500 Euro) werden die Leistungen um 90 Prozent gekürzt – und darüber hinaus dann ganz einbehalten. Anders ausgedrückt: Je mehr Zuverdienst, desto weniger hat die Person davon, im Vergleich dazu, dass sie weiter nicht arbeiten würde. Nicht eben das, was Politiker und Politikerinnen meinen, wenn sie sagen, dass Leistung sich lohnen soll.

„Keine Anreize, Arbeitszeit auszudehnen“

Maximilian Blömer vom Münchner Ifo-Institut nennt diese Regelung auch einen „Designfehler im System“: Gerade Beschäftigte im niedrigen Einkommensbereich reagierten stark auf Arbeitsanreize, argumentiert er. Das bestätigt auch Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Menschen, die Hartz IV beziehen, würden so in kleinsten Teilzeitbeschäftigungen verharren, kritisiert er: „Es gibt für sie keine Anreize, ihre Arbeitszeit auszudehnen.“

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Noch. Denn kleine Änderungen sieht die Bürgergeldreform in der nun blockierten Fassung durchaus vor. So würde eine weitere Stufe eingefügt: Von Januar an dürften von einem Verdienst zwischen 520 und 1000 Euro dann 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) behalten werden. 520 Euro ist auch die neue monatliche Grenze für Minijobs. Die Neuregelung soll ein Anreiz für Menschen sein, künftig mehr als auf Minijobniveau zu arbeiten – also eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen und beispielsweise Rentenansprüche zu erwerben.

Außerdem sollen Jugendliche und junge Erwachsene ihre Einkommen aus Minijobs in voller Höhe behalten können. Auch würde bei Schülerinnen und Studenten nicht mehr auf das Bürgergeld angerechnet, was sie mit Ferienjobs verdienen – sie könnten dieses Einkommen in voller Höhe behalten.

Expertinnen und Experten halten die Reform allerdings für „zu wenig ambitioniert“, so formulierten es Wissenschaftler des Ifo-Instituts, darunter Ökonom Blömer, in einer Stellungnahme. Stattdessen brauche es eine „deutlichere Verbesserung der Arbeitsanreize und entsprechend geringere Transferentzugsraten“. Für sie liegt der Schwachpunkt in der weiteren Förderung von Kleinstjobs, da sich dort erst ab 520 Euro die Grenzbelastung verändere. Simulationsstudien zeigten dagegen, „dass sich stärkere Beschäftigungseffekte erst bei Reformvarianten mit einem Entfall des 100-Euro-Freibetrages und einer darüber hinaus gehenden Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten einstellen“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Vorteile für Kleinstjobs abschaffen

Blömer und weitere Ifo-Kollegen haben ohnehin schon 2019 empfohlen, Kinderlosen bis zu einem Zuverdienst von 320 Euro ihr Einkommen zu 100 Prozent auf die Leistungen anzurechnen – eben genau um abzuschaffen, dass es Vorteile hat, nur wenige Stunden zu arbeiten und wenig Geld hinzuzuverdienen. Die Forscher gehen davon aus, dass, wer keine Kinder hat, leichter Vollzeit arbeiten kann.

Darüber hinaus und für Eltern generell sollten allerdings nur noch 60 Prozent des Einkommens angerechnet werden, so der Vorschlag. „Es gibt keine Reform, die alle Leute besserstellt“, gibt Blömer zu. Viele, die zunächst verlören, könnten das jedoch überkompensieren, indem sie ihre Tätigkeit ausweiten. Und das sollte das Ziel sein für Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit wieder in Beschäftigung kommen.

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Auch Holger Schäfer vom IW sieht in einer Stellungnahme für den Arbeitsausschuss des Bundestags den Erwerbsfreibetrag für Grundsicherungsempfänger als „zentrale Stellschraube für die Frage, inwieweit aus einer Erhöhung des Bruttoeinkommens etwa durch Ausdehnung der Arbeitszeit“ eine Erhöhung des verfügbaren Einkommens resultiert.

Mit der vorgesehenen Neufassung steige der maximale Freibetrag für Leistungsbezieher ohne Kinder in einem Einkommensbereich von 520 bis 1000 Euro von 300 auf 348 Euro – entsprechend erhöhe sich das verfügbare Einkommen. Wer aus der Arbeitslosigkeit ohne Zuverdienst oder mit einem Monatsbruttoeinkommen von 400 Euro in eine Vollzeitbeschäftigung mit einem Monatsbruttoeinkommen von 2000 Euro wechsle, für den änderte sich die Belastung aus Abgaben und Transferentzug allerdings nicht.

Sogar höhere Belastung bei Vollzeit

Und wer von einer Teilzeit- in eine Vollzeitbeschäftigung wechsle (mit einem Monatsbruttoeinkommen von dann 2000 statt 1000 Euro), für den erhöhe sich die Belastung sogar von 83 Prozent auf 88 Prozent, schreibt Schäfer: „Für die Ausweitung der Arbeitszeit hin zu einer Vollzeitbeschäftigung ergeben sich mithin keine zusätzlichen Anreize.“

Die Reformpläne schafften so einen Anreiz, das Bruttoeinkommen eben nicht über 1000 Euro auszudehnen, folgert der Ökonom – was einer Wochenarbeitszeit von gerade einmal 19 Stunden zum Mindestlohn entspricht. Verbessern ließen sich die Anreize stattdessen, „indem niedrige Bruttoeinkommen stärker mit Transferentzug belastet werden, um eine noch stärkere Entlastung in Einkommensbereichen zu ermöglichen, wie sie typischerweise in Vollzeit- oder vollzeitnahen Beschäftigungsverhältnissen entstehen“.

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Schäfer begrüßt daher, dass die Bundesregierung für 2024 „diesbezüglich eine grundlegende Reform in Aussicht stellt“. Es ist kein Geheimnis, dass Teutrine und die FDP diese gerne bereits jetzt sähen. Das Vermittlungsverfahren muss zeigen, ob ihnen das gelingt.

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