"Einen Sack Mücken hüten ist einfacher als eine Jamaika-Koalition"
Das war fast eine Abwahl der Bundeskanzlerin. Zumindest war es eine fette Denkzettel-Wahl für Angela Merkels Union und für die andere Partei, die sich mal Volkspartei nennen konnte, die SPD. Sie haben historisch verloren. Die Union rutschte von 41,5 auf vielleicht 33 Prozent ab, so wenig wie nur einmal zur Bundestagswahl 1949. Verlassen haben sie die Konservativen und die Wirtschaftsliberalen. Die SPD ist noch nie so tief bei einer Bundestagswahl gestürzt, von 25,7 auf vielleicht etwas mehr als 20 Prozent. Das sind zwei Abstürze, die drauf hindeuten, dass Politik in Deutschland wieder härter und verletzender wird. Die beiden geschrumpften Parteien werden sich schärfer abgrenzen müssen zu den anderen unter den sechs Fraktionen im Parlament.
Gewonnen haben die weniger Etablierten und die Schmuddelkinder. Allen voran die rechtsgerichtete AfD, die mit viel Lärm Stimmen sammelte. Satt zweistellig und Platz drei – das ist ein Bruch, weil nun radikale bis rassistische Provokationen Teil der Bundespolitik sind.
Gewonnen haben auch die Aufmüpfigen von der FDP – die Rückkehrer in den Bundestag sind nun vierte Kraft. Gewonnen haben von wenigen vorhergesehen die Grünen, die strikt auf Öko-Themen setzten und sehr flexibel für fast jede Regierung zu haben waren. Auf dem sechsten Platz laufen die Sozialnostalgiker von der Linkspartei ein, die etwas zulegte.
Gewonnen hat bei diesem Beben dennoch die Demokratie, obwohl eine künftige Koalition schwierig zu verhandeln und schwer zu bändigen sein wird. Obwohl eine rechtsgerichtete Partei im Bundestag sitzt und Krawall absehbar ist. Die Wahlbeteiligung stieg von 71,5 auf etwa 75 Prozent. Die Leute gehen wieder häufiger wählen; es geht also um was.
Alles zusammen genommen heißt die Botschaft dieser Wahl: Es ist Zeit für einen Neubeginn bei den Parteien. Die große Koalition hat genau das erreicht, was immer gegen sie sprach. In ihr haben sich die beiden größten Parteien sehr weit angenähert und irgendwann mehr verwaltet als Position bezogen. Die Wähler können sie schwer unterscheiden und sich noch weniger für sie begeistern.
Für einen kleinen Neubeginn kann die Republik nun eine Jamaika-Koalition aus Union, Freidemokraten und Grünen gebrauchen. Die ist zwar kaum erprobt und muss etliche Fliehkräfte aushalten. Sie hätte im Unterschied zum Gespann CDU/CSU und SPD aber einen großen Vorteil. Sie könnte ein gemeinsames Ziel verfolgen: Deutschland wirtschaftlich zu modernisieren. Es wäre die Verbindung von Ökonomie, dem Ehrgeiz der FDP, und Ökologie, der Triebfeder der Grünen. Dann blieben von Kanzlerin Merkel nicht nur zwei grundlegende Dinge in Erinnerung: zum einen die große Gabe, Stimmungen im Volk und in den Parteien zu folgen und zum anderen die unvermittelte Entscheidung zur Aufnahme der Flüchtlinge.
Angela Merkel trat trotz der herben Verluste wohlgemut vor ihre Mitstreiter und legte das Wahlergebnis zurecht: Gegen die Union könne schließlich niemand eine Regierung bilden. Doch sie ist angreifbar geworden durch dieses Ergebnis. Einen Vorgeschmack auf kommende Kämpfe gab der Chef der Schwesterpartei CSU, Horst Seehofer, der flugs ankündigte, es brauche nun klare Kante und klare politische Positionen.
Drei konkrete Lehren ergeben sich aus dieser Wahl
Erstens - die SPD muss sich schleunigst neu sortieren und ihren Wählern wieder etwas zu sagen haben, sonst war sie Volkspartei. Im engen Kreis tüfteln jüngere Sozialdemokraten an einen Programm, das sich auf „Kapitalismuskritik und Sicherheit“ eindampfen lässt. Es wäre die Politik der bisherigen Arbeitsministerin Andrea Nahles weitergedreht: ein Kampf gegen Algorithmen als Chefs, gegen die Bedingungen der Plattform-Ökonomie, für Teilzeit-Arbeitnehmerinnen und nebenbei nah an den Ängsten vieler aus der Mittelschicht. Und es wäre das Projekt Sicherheit: beim Wohnen, im Alter und vor Kriminalität. Die SPD als Sozial-Sheriff.
Zweitens – die AfD im Bundestag bedeutet eine Zäsur. Die Rechtspopulisten und mit ihnen mancher Rechtsextreme sind nun erstmals im Bundestag. Die Partei vereint jene, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen und jene mit Wünschen, die sich nicht mehr in der modernisierten Parteienpolitik wiederfinden. Doch egal ob Wirtschaftspolitik, Rente oder Innenpolitik - diese Partei hat kein Angebot, was sie genau erreichen will.
Die übrigen Fraktionen im Bundestag sollten ihre Energie darauf verwenden, die konkrete Arbeit der AfD auseinanderzunehmen und sich nicht vor allem über deren Provokationen aufregen. In Ostdeutschland könnte eine starke „Alternative“ einmal mehr dafür sorgen, dass ausländische Investoren, Wissenschaftler oder Fachkräfte zögern. Jede Regierung sollte zudem rasch neu bestimmen, wie wir mit Flüchtlingen umgehen und wen wir als Einwanderer wollen. Anspruch und Wirklichkeit der Einwanderung klaffen zu weit auseinander.
Drittens – die beiden großen Parteien sollten rasch die nächste Generation und neue Ideen ranlassen. Bei der CDU hat nach Schließung der Wahllokale die Diskussion über die Zeit Merkel begonnen. Zum Start ihrer wohl letzten Amtszeit und mit diesem Ergebnis wird die Kanzlerin immer häufiger herausgefordert sein, ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger Platz einzuräumen. Auch die CSU wird harsch auftreten. Noch ist bei den Christdemokraten kein natürlicher Kandidat und keine Nach-Merkel-Botschaft ausgemacht.
In Unionskreisen hieß es dazu flapsig: Die Hoffnungsvollen seien entweder zu alt, zu jung oder zu unbeliebt. Zu alt: Wolfgang Schäuble oder Thomas de Maizière. Zu jung: Jens Spahn, Daniel Günther oder Julia Klöckner. Zu unbeliebt in der Partei oder bei den Anhängern: Ursula von der Leyen oder Armin Laschet. Da wäre wohl noch eine, die nicht ins Raster passt. Annegret Kramp-Karrenbauer ist aber womöglich Angela Merkel zu ähnlich.
Die Parteien sollten nun schnell neu starten, denn die Botschaft der Wähler ist klar: Nicht weiter so.