Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft erneut jegliche Einflussnahme auf das Steuerverfahren der in den Cum-ex-Skandal verwickelten Warburg-Bank zurückgewiesen. „Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg keinen Einfluss genommen“, sagte der frühere Hamburger Bürgermeister am Freitag bei seiner zweiten Zeugenvernehmung vor dem Ausschuss. Im Kern geht es in dem Ausschuss um die Frage, ob führende SPD-Politiker Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Bank genommen haben.
Scholz wurde bereits im April 2021 vom Ausschuss befragt. Beim zweiten Auftritt am Freitag stand er den Abgeordneten dreieinhalb Stunden lang Rede und Antwort. Zunächst geißelte er Cum-ex-Geschäfte allgemein als Steuerbetrug und betonte, dass er sich schon sein gesamtes politisches Leben für ein gerechtes Steuersystem einsetze.
Hintergrund der Anschuldigungen der Opposition sind drei Treffen von Scholz mit den Gesellschaftern der Warburg Bank, Christian Olearius und Max Warburg, in den Jahren 2016 und 2017. Nach den ersten Treffen hatte die Hamburger Finanzverwaltung trotz ursprünglich anderer Pläne Rückforderungen von zu Unrecht erstatteter Kapitalertragssteuer in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Bank verjähren lassen. Weitere 43 Millionen Euro wurden ein Jahr später erst kurz vor der Verjährung und auf Weisung des Bundesfinanzministeriums zurückgefordert.
Scholz hatte die Treffen bei seiner ersten Vernehmung im April vergangenen Jahres zwar eingeräumt, aber angegeben, sich an Gesprächsinhalte nicht mehr erinnern zu können. Das sei nach wie vor so, sagte er am Freitag. Gleichzeitig betonte er, dass er Treffen zwischen dem Bürgermeister und Bankern für angemessen halte. Außerdem hätten die Ausschussuntersuchungen seither exakt das bestätigt, was er schon damals gesagt habe: „Es hat keinerlei politische Einflussnahme gegeben.“ Es habe auch keine Vorzugsbehandlung der Herren Warburg oder Olearius gegeben.
Die Treffen von Scholz und Olearius sollen unter anderem vom damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und dem früheren SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk angebahnt worden sein. Aus Ermittlungsakten geht nach Angaben von Mitgliedern des Untersuchungsausschusses hervor, dass in einem Schließfach von Kahrs mehr als 200 000 Euro Bargeld gefunden wurden. Scholz sagte, er wisse weder von dem Schließfach noch von dem Inhalt noch von der Herkunft des Geldes. Kahrs, gegen den wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt wird, schweigt bislang zur Herkunft des Geldes.
Nach der Befragung sah sich Scholz in seiner Haltung bestätigt. Der CDU-Abgeordnete Götz Wiese kritisierte dagegen: „Er hatte wieder Erinnerungslücke auf Erinnerungslücke auf Erinnerungslücke.“ Das sei enttäuschend. „Heute hat Olaf Scholz nicht zur Aufklärung in diesem Fall beigetragen.“ Auch Linken-Obmann Norbert Hackbusch befand: „Ich finde, der Bundeskanzler hat sich nicht als fähig erwiesen (...) zu helfen.“
Ursprünglich war der zweite Auftritt des Kanzlers als Abschluss des Untersuchungsausschusses geplant. Durch das Bekanntwerden von Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Köln, die wegen der „Cum-Ex“-Geschäfte der Warburg Bank ermittelt, und Presseberichten über bislang geheimgehaltene Protokolle einer Aussage von Scholz 2020 vor dem Finanzausschuss des Bundestages haben sich viele neue Fragen ergeben.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
CDU und Linke wollen Scholz noch ein drittes Mal vernehmen und den Untersuchungsauftrag des Ausschusses auch auf Cum-ex-Geschäfte der ehemaligen Landesbank HSH Nordbank ausweiten. Dann soll auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt vorgeladen werden.
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