Der Arbeitsmarkt 2023 „Arbeitslose sind nicht auf Knopfdruck aktivierbar“

Quelle: dpa

Was erwartet uns 2023 am Arbeitsmarkt? Der Ökonom Bernd Fitzenberger erwartet trotz der drohenden Rezession keinen Einbruch – sieht aber dringenden Handlungsbedarf bei manchen Problemgruppen.  

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Fitzenberger, die deutsche Wirtschaft schwächelt, Ökonomen erwarten im ersten Halbjahr 2023 eine Rezession. Wie stark wird das den Arbeitsmarkt belasten?
Bernd Fitzenberger: Auch wenn sich die wirtschaftlichen Aussichten im vergangenen halben Jahr verschlechtert haben, ist der Arbeitsmarkt bisher robust. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat mit 34,9 Millionen im dritten Quartal einen neuen Rekordwert erreicht, das sind 580.000 mehr als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2021. Im dritten Quartal lag die Zahl der offenen Stellen nach IAB-Erhebungen bei 1,82 Millionen. Das sind zwar fünf Prozent weniger als im Vorquartal, aber deutlich mehr als 2021. Der Arbeitsmarkt wird auch weiter stabil sein, aber ich glaube nicht, dass er sich komplett von der leichten zu erwartenden Rezession abkoppeln kann - dazu kommen für die Unternehmen gerade zu viele Risikofaktoren zusammen. Auch der Konsum spielt eine Rolle: Derartige Reallohneinbußen wie in diesem Jahr gab es ja seit Jahrzehnten nicht mehr.

Und das bedeutet?
Die Zahl der Kurzarbeitenden dürfte in den kommenden Monaten zunehmen, auch werden die Betriebe bei Neueinstellungen vorsichtiger. Vor allem in energieintensiven Branchen sind auch betriebsbedingte Kündigungen denkbar. Eine große Entlassungswelle ist in Deutschland aber nicht zu erwarten, dafür ist die Arbeitskräfteknappheit zu hoch. Die hohe Inflation könnte diese Knappheit sogar verschärfen: Sinkende Reallöhne reduzieren den Anreiz einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Gerade ältere Beschäftigte könnten nun versucht sein, früher aus dem Arbeitsleben auszusteigen, wenn sie sich fürs Alter gut abgesichert sehen. Andererseits könnten jedoch auch Beschäftigte mit geringen Verdiensten ihre Arbeitszeit ausweiten, um die realen Einkommensrückgänge wettzumachen.

Während der Pandemie ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen gestiegen. Erwarten Sie im aktuellen Abschwung einen ähnlichen Negativeffekt?
Das ist möglich. Im Frühjahr 2021 gab es über eine Million Langzeitarbeitslose, also Menschen, die länger als ein Jahr ohne Job sind. Seitdem geht die Zahl leicht zurück, aktuell sind es rund 880.000. Aber das sind immer noch knapp 200.000 mehr als in Vor-Corona-Zeiten.

Zur Person

Erhöht das von der Ampelkoalition beschlossene Bürgergeld die Jobchancen dieser Problemgruppe – oder fördert es eher Unselbständigkeit und Arbeitsverweigerung, wie Kritiker befürchten?
Ich halte das Bürgergeld im Großen und Ganzen für richtig. Der Begriff Hartz IV hatte eine stark negative Konnotation, er führte zu einer Stigmatisierung. Die Reform stellt das System nicht auf den Kopf, sondern versucht, einen vertrauensvolleren und effizienteren Umgang in den Jobcentern zu ermöglichen.

Lesen Sie auch: Das macht den Arbeitsmarkt in Neuseeland besser

Und was ist mit denen, die nicht arbeiten wollen?
Wir dürfen das Fordern nicht vergessen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2019 mussten zu Recht die Sanktionen in der Grundsicherung reduziert werden, aber eine Abschaffung der Sanktionen halte ich für falsch. Die Jobcenter müssen weiterhin Sanktionsmöglichkeiten haben – und das ist in den jetzt beschlossenen Regelungen auch gewährleistet. Eine Verengung auf Sanktionen wäre jedoch falsch, denn man darf man nicht vergessen, dass viele Menschen in der Grundsicherung nicht ohne weiteres in Jobs vermittelt werden können. Rund zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keinen Berufsabschluss. Viele haben gesundheitliche Probleme oder können sich in den Strukturen des Arbeitsalltags einfach nicht mehr zurechtfinden. Da helfen keine Sanktionen, sondern hier ist mehr Unterstützung gefragt, um eine nachhaltige Beschäftigung erst zu ermöglichen.

Aber gesucht werden nicht nur Ingenieure. Sondern auch massenweise Hilfskräfte, etwa in der Gastronomie oder an Flughäfen.
Ja, aber viele Erwerbslose sind nicht auf Knopfdruck aktivierbar. Manche können schlicht nicht von einem Tag auf den anderen arbeiten, selbst wenn die Aufgabe nicht besonders anspruchsvoll ist. Sie brauchen eine intensive Begleitung und müssen Grundregeln der Arbeitswelt erst wieder erlernen. Der Glaube, dass in der persönlichen Biografie eines Langzeitarbeitslosen eine Positivspirale in Gang kommt, wenn er nur irgendeinen Job annimmt, hat sich in der Vergangenheit in vielen Fällen als Illusion herausgestellt. Im Übrigen können Sanktionen auch nach hinten losgehen. Die Ämter können beispielsweise den Kontakt zu den Betroffenen dadurch komplett verlieren. Und es besteht unter Umständen die Gefahr eines Abgleitens in die Kriminalität.

Mitten in der Energiekrise zeigt sich die deutsche Konjunktur widerstandsfähiger als erwartet. Auch die Inflation scheint auf dem Rückzug zu sein. Wird alles doch nicht so schlimm wie zunächst befürchtet?
von Malte Fischer

Für besonders arbeitsmarktferne Leistungsbezieher hat die Regierung 2019 das so genannte Teilhabechancengesetz verabschiedet, das unter anderem hohe Lohnsubventionen für Arbeitgeber vorsieht. Hat das funktioniert?
Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh, das Programm ist ja auf fünf Jahre ausgelegt. Aber die ersten Resultate sind positiv. In den ersten beiden Jahren haben 50.000 bis 60.000 arbeitslose Menschen das Programm genutzt. Parallel zum Job erfolgt ein psychologisches und inhaltliches Coaching durch die Jobcenter oder externe Träger. Hier nimmt der Staat sehr viel Geld für eine klar identifizierbare Personengruppe in die Hand. Wir müssen abwarten, wie viele Betroffene während der Förderzeit in Beschäftigung durchhalten – und wie viele danach von ihrem Arbeitgeber tatsächlich übernommen werden. Im Hinblick auf die erreichte Teilhabe in Arbeit und Gesellschaft kann das Programm jedoch schon jetzt als erfolgreich eingeschätzt werden.

Lesen Sie auch: Die Beitragsbombe: Wird der Sozialstaat unbezahlbar?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%