Der irrlichternde Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verliert sich in Kleinkriegen

Seite 3/5

Der Rentenbeschützer

Tatsächlich wurde der Nordsee-Tiefwasserhafen gebaut, machte jedoch schnell durch Baumängel, Planungsfehler und Ungereimtheiten bei der Vergabe der Gewerke von sich reden. Der Landtag zitierte Scherf und Gabriel 2007 vor einen Untersuchungsausschuss. Der inzwischen zum Bundesumweltminister aufgestiegene Gabriel habe eine Heidenangst gehabt, sagt Scherf: „Kritik macht ihm immer ganz stark zu schaffen. Sigmar hat sich zwar diesen dicken Panzer angefressen, aber der schützt ja nicht. Er ist ganz dünnhäutig, lebt richtig davon, dass die Leute ihm sagen: Du bist der richtige, Sigmar, halt durch, Sigmar, bleib an Deck.“ Sigmar bleibt an Deck, übersteht den Ausschuss. Andere würden danach vorsichtiger werden. Nicht so Gabriel. Er handelt weiter impulsiv und folgt den Instinkten des politischen Tieres in sich. Ohne Rücksicht auf Verluste. Bis heute tut er das.

In der Freihandelspolitik etwa. Am vergangenen Sonntag sitzt da der Vizekanzler in der Berliner Bundespressekonferenz vor Bürgern am Tag der offenen Tür und verkündet, bei TTIP „bewege sich nichts. Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert, weil wir uns den amerikanischen Forderungen natürlich als Europäer nicht unterwerfen dürfen.“

Tags darauf lässt die Bundeskanzlerin dementieren, man verhandle selbstverständlich weiter. Schon oft sei Entscheidendes in den letzten Verhandlungsrunden passiert. Im Übrigen halte sie nichts von Zwischenurteilen à la Gabriel. Doch der Geist ist aus der Flasche: Am Dienstag sagt der französische Außenhandels-Staatssekretär Matthias Fekl: „Es gibt keine politische Unterstützung in Frankreich mehr für diese Verhandlungen.“ Auch die USA sehen sich genötigt zu reagieren, zeigen sich irritiert. Gabriel hat mal eben so ein kleines transatlantisches Erdbeben ausgelöst.

Deals, die zum Fall für den Wirtschaftsminister wurden
Die erste jemals erteilte Ministererlaubnis nach Einführung der Fusionskontrolle betraf den Energiesektor: Die Veba AG, 1929 als Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG gegründet, wollte den Mineralölbereich der Gelsenberg AG übernehmen. Das Bundeskartellamt untersagte den Zusammenschluss der Konzerne, doch der Wirtschaftsminister gab ihn am 1. Februar 1974 mit einer Ausnahmeerlaubnis frei. Die Ministererlaubnis wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bisher erst acht Mal Realität.Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Quelle: AP
Die Erlaubnis kann nur der Bundeswirtschaftsminister erteilen. Voraussetzung dafür ist nach Paragraf 24 des Kartellgesetzes, dass „die gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ die Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ gerechtfertigt ist. Doch schon bei der dritten Entscheidung schätze der Wirtschaftsminister die Lage offenbar falsch ein: Hans Friederichs gab 1976 dem Babcock-Konzern (später Babcock Borsig) die Erlaubnis zur Übernahme des Maschinenbauers Artos. Friderichs entschied damals entgegen der Warnungen des Bundeskartellamtes und auch der Monopolkommission. Friederich gab den „Erhalt von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen“ als Grund für seine Sondererlaubnis an. Doch kaum ein Jahr später kündigte Babcock-Artos Hunderten von Mitarbeitern. Quelle: AP
Nicht nur der Erhalt von Arbeitsplätzen kann als Begründung für eine Ministererlaubnis herhalten. Auch wenn es um die Sicherung von technologischem Know-how geht, kann Berlin das Kartellamt überstimmen. Das war im Fall von Thyssen/Hüller im Jahr 1977 der Fall. Der Bundeswirtschaftsminister bejahte das Allgemeininteresse an der Erhaltung der konkursgefährdeten Hüller Hille GmbH und erteilte eine Teilerlaubnis. Thyssen durfte das Unternehmen übernehmen. Quelle: REUTERS
Der Eon-Vorgängerkonzern Veba bekam 1974 die erste Ministererlaubnis zur Übernahme von Gelsenberg. Doch nur fünf Jahre später war vom „überragenden Interesse der Allgemeinheit“ an diesem Deal offenbar nicht mehr viel übrig: Die Veba reichte die Gelsenberg-Beteiligung 1979 an BP weiter. Mit Billigung des Wirtschaftsministers, aber unter Auflagen. Quelle: AP
1981 war der Wirtschaftsminister erneut gefragt, als die IBH-Gruppe des windigen Firmenjongleurs Horst-Dieter Esch (im Bild) den Betonpumpen-Hersteller Wibau übernehmen wollte. Die Entscheidung endete in einem Fiasko. Otto Graf Lambsdorf überstimmte die Bedenken des Kartellamtes per Ministererlaubnis. Der FDP-Politiker sah in der internationalen Konkurrenzfähigkeit des Esch-Konzerns einen „gesamtwirtschaftlichen Vorteil“, der „im überragenden Interesse der Allgemeinheit“ liege. Doch siehe da: Keine zwei Jahre später war die IBH-Wibau-Gruppe pleite und Esch wurde wegen Untreue und aktienrechtlicher Verstöße verurteilt. Er saß dreieinhalb Jahre ab. Wibau-Chef Spicka wurde gar wegen Betrugs und Bilanzfälschung zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Quelle: dpa
1989 gelang es Daimler, die Fusion mit dem Luft- und Raumfahrtkonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) durchzusetzen. FDP-Wirtschaftsminister Helmut Haussmann verband die Genehmigung aber mit großen Auflagen. Das sorgte für Unmut bei der Opposition: SPD-Vertreter drohten, gegen die Entscheidung vor Gericht zu ziehen. Quelle: DAPD
Eon pokerte hoch – und gewann: Nach monatelangem Verhandlungen einigte sich der Energiekonzern 2002 außergerichtlich mit allen Gegnern der Fusion mit Ruhrgas. Der Wirtschaftsminister genehmigte mit Auflagen. Das Bundeskartellamt und die Monopolkommission hatten die Fusion zwar abgelehnt - sie hielten die Gefahr für den freien Wettbewerb für zu hoch -, doch Experten befürworteten den Deal. Eon als auch Ruhrgas würden international gestärkt, hieß es. Zehn Jahre nach der Übernahme war der Name Ruhrgas verschwunden. Quelle: dpa

Chaos auch in der Klimapolitik. Mit Amtsübernahme hatte Gabriel die Zuständigkeit für die Energiewende in sein Ministerium geholt. Schon einige Monate später kündigte er an, ältere Kohlekraftwerke mit einer Strafabgabe zu belegen. Als daraufhin aber nicht nur RWE und E.On auf die Barrikaden gingen, sondern auch Streit mit den Gewerkschaften um Arbeitsplätze drohte, kehrte Gabriel um. Aus der Abgabe wurde eine Kohlestromförderung, die den Konzernen Einnahmen garantiert, um ihre Dreckschleudern als stille Reserve am Netz zu lassen.

Oder der neue Linkskurs. Noch auf dem Parteitag im vergangenen November hatte Gabriel nach seiner Wiederwahl mit desaströsen 75 Prozent der Stimmen trotzig getönt, dass sich seine Partei nun über eines klar sein müsse: Es sei mit Dreiviertelmehrheit entschieden worden, wo es langgehe. Ein Kurs für die Leistungsträger, die arbeitende Mitte. Doch seitdem ist ein anderer Gabriel zu besichtigen: die Ein-Mann-Schutztruppe der kleinen Leute. Der Rentenbeschützer. Der Kümmerer. Mehr Lafontaine als Schröder.

Wirtschaftsminister Gabriel soll sich laut einem Bericht heimlich mit Edeka-Chef Mosa und Verdi-Chef Bsirske getroffen haben, um über die Supermarkt-Fusion zu sprechen. Das Ministerium weist die Vorwürfe zurück.

Weiß man um die eigene Schwäche, zu schnell Stimmungen nachzugeben, kann man Vorkehrungen treffen, sie einzuhegen. Gabriel aber hat sie in einem Amt institutionalisiert. Als am 17. Dezember 2013 das dritte Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel vereidigt wurde, glühte Gabriel fast vor Stolz. Wirtschaftsminister. Er. In der Tradition von Helmut Schmidt und Karl Schiller. Doch seine Partei haderte: „Vizekanzler und Wirtschaftsminister sind eben keine SPD-Themen“, hieß es von der linken Basis. SPD und Ökonomie, sollte das heißen, gehörten eben nicht zusammen. Freunde hatten ihm deshalb geraten, lieber Finanzminister zu werden. Doch Gabriel wollte unbedingt den Gegenbeweis führen: dass die SPD Wirtschaft kann.

Was hatte er nicht alles für Pläne: Er wollte einen linken Liberalismus gründen. Die soziale Marktwirtschaft neu definieren. Die Industriepolitik zum Wohle der Arbeitnehmer reformieren. Stattdessen kombinierte er zwei Ämter, die sich widersprechen und ihn in eine ständige Sowohl-als-auch-Politik zwingen. Für Freihandel und gegen Freihandel. Für Liberalismus und für Beihilfen. Für Klimaschutz und für Kohle.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%