Tatsächlich wurde der Nordsee-Tiefwasserhafen gebaut, machte jedoch schnell durch Baumängel, Planungsfehler und Ungereimtheiten bei der Vergabe der Gewerke von sich reden. Der Landtag zitierte Scherf und Gabriel 2007 vor einen Untersuchungsausschuss. Der inzwischen zum Bundesumweltminister aufgestiegene Gabriel habe eine Heidenangst gehabt, sagt Scherf: „Kritik macht ihm immer ganz stark zu schaffen. Sigmar hat sich zwar diesen dicken Panzer angefressen, aber der schützt ja nicht. Er ist ganz dünnhäutig, lebt richtig davon, dass die Leute ihm sagen: Du bist der richtige, Sigmar, halt durch, Sigmar, bleib an Deck.“ Sigmar bleibt an Deck, übersteht den Ausschuss. Andere würden danach vorsichtiger werden. Nicht so Gabriel. Er handelt weiter impulsiv und folgt den Instinkten des politischen Tieres in sich. Ohne Rücksicht auf Verluste. Bis heute tut er das.
In der Freihandelspolitik etwa. Am vergangenen Sonntag sitzt da der Vizekanzler in der Berliner Bundespressekonferenz vor Bürgern am Tag der offenen Tür und verkündet, bei TTIP „bewege sich nichts. Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert, weil wir uns den amerikanischen Forderungen natürlich als Europäer nicht unterwerfen dürfen.“
Tags darauf lässt die Bundeskanzlerin dementieren, man verhandle selbstverständlich weiter. Schon oft sei Entscheidendes in den letzten Verhandlungsrunden passiert. Im Übrigen halte sie nichts von Zwischenurteilen à la Gabriel. Doch der Geist ist aus der Flasche: Am Dienstag sagt der französische Außenhandels-Staatssekretär Matthias Fekl: „Es gibt keine politische Unterstützung in Frankreich mehr für diese Verhandlungen.“ Auch die USA sehen sich genötigt zu reagieren, zeigen sich irritiert. Gabriel hat mal eben so ein kleines transatlantisches Erdbeben ausgelöst.
Chaos auch in der Klimapolitik. Mit Amtsübernahme hatte Gabriel die Zuständigkeit für die Energiewende in sein Ministerium geholt. Schon einige Monate später kündigte er an, ältere Kohlekraftwerke mit einer Strafabgabe zu belegen. Als daraufhin aber nicht nur RWE und E.On auf die Barrikaden gingen, sondern auch Streit mit den Gewerkschaften um Arbeitsplätze drohte, kehrte Gabriel um. Aus der Abgabe wurde eine Kohlestromförderung, die den Konzernen Einnahmen garantiert, um ihre Dreckschleudern als stille Reserve am Netz zu lassen.
Oder der neue Linkskurs. Noch auf dem Parteitag im vergangenen November hatte Gabriel nach seiner Wiederwahl mit desaströsen 75 Prozent der Stimmen trotzig getönt, dass sich seine Partei nun über eines klar sein müsse: Es sei mit Dreiviertelmehrheit entschieden worden, wo es langgehe. Ein Kurs für die Leistungsträger, die arbeitende Mitte. Doch seitdem ist ein anderer Gabriel zu besichtigen: die Ein-Mann-Schutztruppe der kleinen Leute. Der Rentenbeschützer. Der Kümmerer. Mehr Lafontaine als Schröder.
Weiß man um die eigene Schwäche, zu schnell Stimmungen nachzugeben, kann man Vorkehrungen treffen, sie einzuhegen. Gabriel aber hat sie in einem Amt institutionalisiert. Als am 17. Dezember 2013 das dritte Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel vereidigt wurde, glühte Gabriel fast vor Stolz. Wirtschaftsminister. Er. In der Tradition von Helmut Schmidt und Karl Schiller. Doch seine Partei haderte: „Vizekanzler und Wirtschaftsminister sind eben keine SPD-Themen“, hieß es von der linken Basis. SPD und Ökonomie, sollte das heißen, gehörten eben nicht zusammen. Freunde hatten ihm deshalb geraten, lieber Finanzminister zu werden. Doch Gabriel wollte unbedingt den Gegenbeweis führen: dass die SPD Wirtschaft kann.
Was hatte er nicht alles für Pläne: Er wollte einen linken Liberalismus gründen. Die soziale Marktwirtschaft neu definieren. Die Industriepolitik zum Wohle der Arbeitnehmer reformieren. Stattdessen kombinierte er zwei Ämter, die sich widersprechen und ihn in eine ständige Sowohl-als-auch-Politik zwingen. Für Freihandel und gegen Freihandel. Für Liberalismus und für Beihilfen. Für Klimaschutz und für Kohle.