Die Stickoxid-Grenzwerte in Städten einhalten, trotzdem Fahrverbote verhindern und dann auch noch die Verunsicherung unter Dieselbesitzern beenden – das sind die Ziele der Bundesregierung mit ihrem Diesel-Paket. Die Kritik ist breit und massiv. Von einer „Mogelpackung“ ist die Rede, von einem „Schuss in den Auspuff“ und einem „Kniefall“ vor der Autobranche. Sicher scheint derzeit nur eins: Es ist höchst unsicher, wie es weitergeht. Denn viele zentrale Fragen sind offen. Unklar ist nicht nur, wie die Regierung selbst einräumt, inwieweit sich die Hersteller an einer Nachrüstung mit Katalysatoren beteiligen.
Was sieht das Konzept im Kern vor?
Es geht um zwei zentrale Punkte: Umtausch und Nachrüstung. Wer seinen alten Wagen mit der Abgasnorm Euro 4 oder 5 abgibt und dafür ein moderneres Fahrzeug – ob neu oder gebraucht – kauft oder least, soll von Herstellern eine Prämie bekommen. Das soll den Wertverlust der alten Diesel ausgleichen und die Flotte erneuern. Daneben geht es um die technische Nachrüstung von Euro-5-Dieseln. Die will die Regierung grundsätzlich ermöglichen und den Konzernen in Rechnung stellen.
Wer soll von dem Paket profitieren und wer nicht?
Schon hier wird es unübersichtlich. Die Hersteller halten sich mit Zahlen zurück, wie viele ihrer Fahrzeuge betroffen sein könnten. Es sollen diejenigen sein, die in einer der 14 besonders mit Luftschadstoffen belasteten Städte oder deren Umkreis wohnen. Auch wer dort arbeitet und dorthin pendelt oder zum Beispiel darauf angewiesen ist, dorthin zum Arzt zu fahren, soll Kaufanreize oder Nachrüstungen in Anspruch nehmen können. „Umtauschprämien“ für die übrigen Regionen gibt es – sie fallen aber in der Regel niedriger aus oder sind auf bestimmte Schadstoffklassen oder Hersteller begrenzt. Das stößt schon jetzt auf Kritik: „Als Dieselbesitzer wird man praktisch diskriminiert, nur, weil man nicht in Stuttgart oder München wohnt“, kritisierte zum Beispiel Michael Hummel von der Verbraucherzentrale Sachsen im MDR-Fernsehen. München und Stuttgart sind die am stärksten mit Stickoxiden belasteten Städte. Schwer absehbar ist, ob und wie die Autobranche selbst von dem Programm, das Milliarden kosten wird, profitiert. Schon jetzt kann sie die Nachfrage wegen der Engpässe durch die Umstellung auf den neuen Abgasteststandard WLTP nicht erfüllen. Und dann würde einem kurzfristigen, von Prämien befeuerten Nachfrageschub wohl auch eine Nachfragedelle folgen.
Wie hoch sind die Umtauschprämien?
Einige Automobilkonzerne sind schon bereit, Umtauschprämien für ältere Diesel-Fahrzeuge anzubieten. Details, für welche Modelle welche Summen gezahlt werden, sind aber noch kaum bekannt. Daimler will beim Kauf eines neuen Mercedes-Benz-Fahrzeugs bis zu 10.000 Euro zahlen. Wer einen gebrauchten Mercedes kauft, soll bis zu 5000 Euro Prämie erhalten. BMW will Dieselfahrern sofort bis zu 6000 Euro Prämie beim Neuwagenkauf und 4500 Euro beim Kauf eines neueren Gebrauchtwagens zu. Die vom Volkswagen-Konzern geplanten Umstiegsprämien sollen im Schnitt bei etwa 4000 Euro für Diesel der Abgasnormen Euro 1 bis 4 und bei 5000 Euro für Euro-5-Norm-Wagen liegen. VW hat auch angekündigt, seine Prämie auf den jeweiligen Listenpreis anzurechnen. Das heißt also, dass die ohnehin üblichen Rabatte beim Neukauf von der Diesel-Prämie abgezogen werden sollen. Als erster ausländischer Hersteller kündigte Renault eine Prämie von bis zu 10.000 Euro an.
Was bedeutet die 270-Milligramm-Grenze?
Die Bundesregierung will gesetzlich regeln, dass Fahrzeuge mit einem Stickoxid(NOx)-Ausstoß von bis zu 270 Milligramm auch bei Fahrverboten in Städte fahren können. „Der Wert muss im Realbetrieb eingehalten werden“, erklärt das Verkehrsministerium. Nachgerüstete Diesel müssen diesen Wert also ebenso erreichen wie alle anderen Fahrzeuge. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) werde eine Liste vorlegen, welche Fahrzeuge den Wert einhalten, heißt es aus dem Ministerium. Dies gelte, „sobald das Nachweisverfahren festgelegt ist“. Der ADAC vermutet, dass hier der neue RDE (Real-Driving-Emissions)-Standard ins Spiel kommen könnte. „Es scheinen dazu RDE-Messungen für nachgerüstete Fahrzeuge und junge Gebrauchte der Euro-5-Norm nötig“, sagt Gerwens. „Allerdings trifft dies auf eine Phase, wo die Prüfstandkapazitäten ohnehin eng sind.“
Stickoxide und CO2
Gesundheitsschädliche Stickoxide wie etwa Stickstoffmonoxid und -dioxid kommen in der Natur nur in winzigen Mengen vor. Sie stammen vor allem aus Autos, aber auch aus Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken. Dieselmotoren stoßen viel mehr NOx aus als Benziner. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen und so zu Husten, Atembeschwerden und Augenreizungen führen. Sie können auch Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter, und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei. Technisch lassen sie sich mit einem Drei-Wege-Katalysator von Benzinern in unschädlichen Stickstoff (N2) und Sauerstoff (O2) umwandeln. Es bleiben jedoch immer NOx-Reste übrig. Bei Dieselmotoren ist der Abbau von NOx bedeutend schwieriger – er gelingt etwa durch Einspritzung einer zusätzlichen Harnstoff-Lösung in den Abgasstrom.
Der Grenzwert in Pkw-Abgasen für alle Stickoxide zusammen liegt in der EU bei 80 Milligramm pro gefahrenen Kilometer (mg/km) für Diesel- und bei 60 mg/km für Benzinmotoren. Der von der US-Umweltbehörde EPA geforderte Wert liegt im Schnitt bei umgerechnet 43,5 mg/km. Allerdings sind die US-Kontrollsysteme nicht einheitlich, und die Vorschriften können je nach US-Bundesstaat abweichen.
Es ist in nicht allzu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Treibhausgas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht nach Angaben des Umweltbundesamts rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland - hier spielt CO2 die bei weitem größte Rolle. Es gibt zwar immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos mit mehr PS und mehr Lkw-Transporte. So ist der Treibhausgas-Ausstoß des Verkehrs von 1990 bis 2014 sogar um 0,6 Prozent gestiegen. Die Konferenz von Paris (30. November bis 11. Dezember) soll die Emissionen so verringern, dass sich die Erdatmosphäre um nicht mehr als zwei Grad aufheizt.
In diesem Jahr müssen die Autohersteller in der EU bei ihrer Pkw-Flotte im Durchschnitt einen Grenzwert von 130 Gramm CO2 pro Kilometer erreichen. 2021 sind dann nur noch 95 g/km erlaubt. In den USA liegen diese Schwellen geringfügig höher: Die Vorgabe der Umweltbehörde EPA sieht für die im Jahr 2016 zugelassenen Fahrzeuge einen Grenzwert für Personenwagen von umgerechnet etwa 140 g/km vor. Bis 2025 sinkt der Durchschnittsgrenzwert auf rund 89 g/km.
Wer haftet für die Nachrüstung?
Abgesehen von der Frage der Kostenübernahme der um die 3000 Euro teuren Nachrüstung für Euro-5-Autos wird auch über die Haftung diskutiert. Laut Verkehrsministerium haften die Nachrüst-Firmen auch für eventuelle Folgeschäden am Auto. „Wie bei Reparaturen üblich, übernimmt derjenige die Haftung, dessen Teil für Folgeschäden verantwortlich ist“, sagt zwar auch Nachrüster Hubert Mangold von Oberland Mangold aus Oberbayern. Für den Diesel-Fahrer kann sich aber das Problem stellen, einen Nachweis über den Verursacher des Schadens führen zu müssen. Autokonzerne wie VW warnen: „Es gibt kein System, das langfristig getestet und auch zugelassen ist“, sagt ein VW-Sprecher. „Das ist ein massiver Eingriff in Motor und Motorsteuerung.“ Der ADAC zeigt sich verwundert, da es solche Debatten bei der Nachrüstung von Lieferwagen oder Lkw nicht gegeben haben: „Es trägt zur Verunsicherung bei“, sagt ADAC-Experte Stefan Gerwens.
Wie werden die Fahrverbotszonen kontrolliert?
Regierung lehnt eine gesonderte Kennzeichnung („Blaue Plakette“) für sauberere Fahrzeuge ab. Die Behörden sollen in Fahrverbotszonen stattdessen über das Kennzeichen und eine Abfrage im Fahrzeugregister den NOx-Ausstoß ablesen können. Dafür muss aber zunächst das Straßenverkehrsgesetz geändert werden. Wie schnell dies geschehen kann, ist offen.
Wie verändert die Nachrüstung das Auto?
Das Verkehrsministerium geht von einem Leistungsverlust und einem Mehrverbrauch von bis zu zehn Prozent aus. Der ADAC spricht von bis zu sechs Prozent. Obwohl damit auch der CO2-Ausstoß steigt, soll die Kfz-Steuer sich nicht ändern. Dazu muss regelmäßig Harnstoff (AdBlue) nachgefüllt werden. Wie oft und in welchen Abständen das passieren muss, ist erst dann klar, wenn erste Systeme auf dem Markt und zugelassen sind. Dafür muss der Bund zunächst die Zulassungsordnung für die technischen Details erlassen.
Wer darf oder soll umtauschen oder nachrüsten?
Der Bund sieht dafür 14 besonders belastete Städte sowie die angrenzenden Landkreise vor. Dazu kommen Fernpendler in die Städte sowie Selbstständige mit Firmensitz dort. Außerdem können Härtefälle festgelegt werden. Der ADAC hat festgestellt, dass dies als nicht klar wahrgenommen wird: „Die Abgrenzung sorgt für Unruhe bei Verbrauchern: Wer kommt in den Genuss von Prämien und Nachrüstung, wer nicht“, sagt Gerwens.
Was bringt das Ganze?
Höchst umstritten ist, was das Paket wirklich bewirkt. Zum einen ist unklar, wie viele Kunden sich an Aktionen beteiligen und wie viel die Prämien bringen – wenn sie mit sonst üblichen Rabatten verrechnet werden. Nicht nur Umweltverbände bezweifeln, ob mit dem Paket die Luft in den Städten wirklich entscheidend besser wird und Fahrverbote verhindert werden. Denn selbst Autos mit der neuen Abgasnorm 6 seien nicht sauber genug. Und Fahrzeuge mit der neuesten Norm 6d-Temp seien noch gar nicht ausreichend auf dem Markt. „Kein Richter in diesem Land wird sich von den Maßnahmen beeindrucken lassen und deswegen auf die Verhängung von Fahrverboten verzichten“, kritisierte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Beim Städtetag hieß es: „Grundlegend gelöst wird das Problem zu hoher Stickoxid-Werte in zahlreichen Städten mit dem Paket der Koalition nicht.“