Elitenforscher „Es gibt kaum etwas Stabileres als Großvermögen“

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„Neun von zehn Bundestagsabgeordneten haben studiert“

Woran machen Sie das fest?
Am deutlichsten zeigt sich dieser Wandel in der SPD, die sich von einer Arbeiterpartei zu einer Partei der öffentlich Bediensteten entwickelt hat. Fast die Hälfte der Mitglieder ist im öffentlichen Dienst tätig. Außerdem hat sich der Anteil der Akademiker deutlich auf inzwischen fast 40 Prozent erhöht. Das verändert die Diskussionskultur innerhalb der Partei und wirkt ausschließend auf die frühere Klientel, die Arbeiter. Auch in anderen Parteien haben die Arbeiter an Bedeutung verloren, entsprechend haben heute neun von zehn Bundestagsabgeordneten studiert. Das hat gravierende Folgen: In den Parteien sind die einfachen Menschen nicht mehr vertreten, sie nehmen also auch keinen Einfluss auf das Parteiprogramm. Da keine Partei sie mehr angemessen repräsentiert, gehen viele nicht mehr wählen. Das macht sie wiederum uninteressant für die Parteien. Ein Teufelskreis.

„Die Abgehoben – Wie die Eliten die Demokratie gefährden“ ist am 16. August im Campus-Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro. Quelle: Presse

Sie schreiben, dass sich seit 2010 die Zahl der Milliardäre in Deutschland verdoppelt hat – ebenso die Zahl der Obdachlosen. Sehen Sie da wirklich einen Zusammenhang?
Da besteht natürlich kein direkter Zusammenhang, aber diese Entwicklung illustriert, dass große Vermögen in den vergangenen Jahren steuerlich extrem begünstigt worden sind. Die dadurch entfallenden Steuereinnahmen haben wiederum dazu geführt, dass die öffentlichen Haushalte an vielen Ecken und Enden sparen mussten, daraus resultiert auch Obdachlosigkeit. Denn die Kommunen und Länder haben sich massiv aus dem öffentlichen Wohnungsbereich zurückgezogen und flächendeckend Wohnungsbestände verkauft. Deswegen befindet sich Vonovia jetzt im Dax – vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Wohnungsunternehmen mal im Dax landet.

Sie schreiben, zwei Drittel der 100 reichsten Deutschen haben ihre Vermögen geerbt. Zudem stellen Sie fest, dass die meisten Familien über Generationen reich bleiben. Ein Blick in Rudolf Martins Millionärsbuch von 1913 zeigt, dass jede zwölfte der 500 reichsten Familien von heute schon damals dort zu finden waren.
In der Regel werden aus Großvermögen höchstens mittlere Vermögen, wie etwa bei der Fugger-Dynastie geschehen. Dass Vermögen vollständig verschwinden, kommt höchstens vor, wenn Geschlechter enteignet werden. Es gibt kaum etwas Stabileres als Großvermögen. Frappierend ist, wie sehr die Konzentration der Vermögen an der Spitze zugenommen hat. Ich bin auf eine Studie des Bundesfinanzministeriums aus den Siebzigern gestoßen. Gegenüber damals hat sich die Konzentration der Vermögen an der Spitze fast verdoppelt. Heute besitzt das oberste Prozent der Bevölkerung ein Drittel des Vermögens. Damals waren es noch 1,7 Prozent der Bevölkerung.

Eine globale Finanzelite hat sich ihre eigene Parallelgesellschaft erschaffen. Die Bewohner dieser entgrenzten Welt sind höchstbezahlt, kosmopolitisch, gesellschaftlich entkoppelt und über die Maße privilegiert.

Was sollte Ihrer Meinung nach dagegen getan werden?
Wir brauchen eine Erbschaftssteuer von 15 bis 20 Prozent auf größere Erbschaften. Und die Vermögenssteuer müsste wiedereingeführt werden. Ein dritter Punkt wäre eine Anhebung des Spitzensteuersatzes.

Allerdings tragen die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher heute schon gut die Hälfte der Einkommenssteuer.
Das stimmt, aber sie vereinen auf sich auch 40 Prozent der Markteinkommen, die überhaupt zu versteuern sind. Außerdem wird bei diesem Argument nur auf die direkten Steuern geschielt. Die machen aber nur die Hälfte des deutschen Steueraufkommens auf. Die andere Hälfte besteht aus indirekten Steuern – und hier ist die Verteilung genau umgekehrt. Die indirekte Besteuerung belastet niedrigere Einkommen stärker als die großen. Laut DIW ist die Gesamtsteuerbelastung zwischen 1998 und 2015 am oberen Ende deutlich gesunken und am unteren deutlich gestiegen.

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