Fliegen in Coronazeiten „Wir bitten die Passagiere, sich die Kugelschreiber gegenseitig zu leihen“

Eine Flugbegleiterin mit Mundschutz gibt Sicherheitseinweisungen in einem Flugzeug der Austrian Airlines. Quelle: dpa

Wie ein Wirtschaftsfunktionär seinen Flug von Köln/Bonn nach Berlin erlebte – und wie Deutschland sich gegen Corona jetzt endlich rüsten muss, um noch größere Schäden abzuwenden. Ein Gastbeitrag.

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Dr. Ludwig Veltmann ist Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbundes ZGV e.V., der die Interessen von ca. 230.000 mittelständischen Unternehmen aus 45 Branchen vertritt.

Mein erster Köln-Berlin-Flug seit Monaten: Um nicht in zeitliche Bedrängnis aufgrund neuer Sicherheitserfordernisse zu geraten, reiste ich frühzeitig an. Kaum Fahrzeuge auf den riesigen Parkflächen, Maskenpflicht beim Betreten des Gebäudes. Restaurants und nahezu alle Geschäfte am Flughafen hatten nicht nur geschlossen, sondern hohe Stellwände versperrten den Blick. Auf der Anzeigetafel für die Abflüge standen ganze fünf Flüge einer einzigen Fluggesellschaft. Großer Abstand mit Markierungen am Sicherheitscheck, im Wartebereich deutliche Markierungen an den Sitzbänken, wo man sitzen durfte und wo nicht.

Jedoch dann: Dichtestes Gedränge nach der Flugabfertigung auf dem Weg in das bis auf den letzten Platz ausgebuchte Flugzeug. Die Passagiere quetschten sich wie vor Corona – freilich jetzt mit Maske – in die vollbesetzten Reihen eines überhitzten Flugzeuginneren, bei dem die Klimaanlage ausgeschaltet blieb, und das auch noch fast 25 Minuten lang, in denen der Flieger aus unerfindlichen Gründen die geplante Abflugzeit überschritt und am Boden blieb. Auf entsprechende Hinweise der inzwischen schwitzenden Passagiere reagierte das Bordpersonal nicht.

Als der Flieger endlich abgehoben hatte, wurde ein umfangreicher Fragebogen ausgeteilt mit dem Hinweis, dass dieser von jedem Passagier „aufgrund von Vorschriften der Berliner Gesundheitsbehörde“ auszufüllen und dann an den Bordservice abzugeben sei. „Ein Schreibgerät haben wir dazu leider nicht, wir bitten die Passagiere, sich die Kugelschreiber gegenseitig zu leihen“, so die in Corona-Zeiten befremdliche Borddurchsage zu diesem Akt.

Pumpenbügel für alle

Angekommen auf einem ebenso gespenstigen Flughafen Tegel in Berlin wurde der Abstand zu den Mitreisenden zwar gleich wieder eingenommen und es gab sogar eine Hände-Desinfektionsstation, die jeder benutzen musste. Jedoch war dazu ein Pumpenbügel von einem Jeden in rascher Folge per – verschwitzter – Hand zu bedienen. Dahinter standen zwei Polizisten, die ein Papier mit besonderen Verhaltensregeln zur weiteren Gefahrenabwehr austeilten. Dann wurde – immer noch abstandswahrend – der Taxistand aufgesucht und mit fortdauerndem Maskentragen das Taxi mit dem ebenfalls maskentragenden Taxifahrer bestiegen.

Doch nun – oh Wunder – ging die Fahrt zum Büro durch eine Stadt vorbei an Tausenden Menschen, die ohne Masken in Kaffees saßen, in Parks, auf den Straßen unterwegs waren, sich fröhlich gegenüberstanden und den Anschein erweckten, als wäre Corona schon vorüber. Im Büro angekommen, traf ich im Aufzug in den 8. Stock zwei Kolleginnen aus dem Haus, die mir von regelmäßig verletzter Maskenpflicht in den U- und S-Bahnen, die sie deshalb nur widerwillig benutzt hätten, berichteten.

Zu viel Inkonsequenz

Das alles verspricht letztlich keinen Bekämpfungserfolg der Pandemie. Auch die freiwillige Testung der aus Corona-Krisengebieten zurückkehrenden Urlauber ist bestenfalls ein zaghafter Anfang einer zielführenden Strategie. Was es jetzt dringend braucht, sind entschlossene Schritte, die wirklich eine Perspektive auf eine Rückkehr eines normalen Lebens bieten, bei dem sich Menschen wieder ungezwungen begegnen können, sei es in Verkehrsknotenpunkten, bei kulturellen Veranstaltungen, beim Sport, auf Messen oder Kongressen oder schlicht in der Freizeit.

Die Sehnsucht nach der schnellen Verfügbarkeit eines Impfstoffes – noch dazu in genügender Menge für eine weltweite Versorgung – hat wenig Aussicht auf Erfüllung. Aktuell deckt das Virus dagegen weiter schonungslos politische, wirtschaftliche und gesundheitssystematische Fehler und Versäumnisse, die es schon in der Zeit zuvor gab, wie unter einem Brennglas weiter auf. Zwar hat die Bundesregierung für ihre Bazooka- Politik zu Recht viel Lob erhalten, aber sie war letztlich auf die Bekämpfung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Symptome ausgerichtet. Der Wurzel des Übels, nämlich dem allgegenwärtigen Präsenzpotential des Virus, wurde mitnichten konsequent zu Leibe gerückt.

Im Gegenteil: Bei der Durchführung von Tests wurde seit Beginn höchst restriktiv vorgegangen. Viele, die sich freiwillig testen lassen wollten, durften mit gebetsmühlenartigen Hinweisen auf fehlende Testkapazitäten schlicht nicht. Wochenlang wurde das Wort Testen nicht in den Mund genommen, und wenn, wurden die Kosten oder die Kapazitätsengpässe stets als vermeintliche K.O.-Kriterien ins Feld geführt.

Warum erst auf Ausbrüche warten?

Dem kritischen Betrachter drängt sich bei dieser Test-Zurückhaltung unmittelbar die Frage auf, warum erst Ausbrüche in Fleischfabriken, Seniorenheimen, Wohnblöcken oder Kirchen dazu führen, dass über eine Ausweitung der Tests ernsthaft nachgedacht wird.

Gerade der Mittelstand hat massiv unter dem Lockdown gelitten, hinsichtlich seines Eigenkapitals ist er in weiten Bereichen ausgeblutet und leidet weiterhin unter den fortbestehenden großen Restriktionen und dem Fernbleiben seiner verunsicherten Kunden. Dabei gilt der Mittelstand zu Recht als das Rückgrat der Wirtschaft, das Garant für eine stabile und zukunftsfähige Gesellschaft ist. Umso wichtiger ist es deshalb, dass nun schnellstens Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer Normalisierung des Lebens führen.

Hilfsmaßnahmen gegen die Auswirkungen unterlassener Vorsorge sind aktuell freilich unverzichtbar, aber widersprechen auf mittlere und erst recht längere Sicht grundlegend dem Ethos einer freien Wirtschaft, die in unternehmerischen Fragen den eigenen Kräften und in der Gesundheitsvorsorge dem Staat und den durch ihn gesetzten Rahmenbedingen vertrauen kann. Außerdem schmälern sie die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten massiv.

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