Freytags-Frage
Jörg Meuthen (r.), Parteivorsitzender der AfD, und Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag Quelle: dpa

Ist die AfD liberal?

Jörg Meuthen und Alice Weidel bezeichnen ihre Partei gern als „freiheitlich“. Dabei scheint das Gros der Mitglieder eher mit der Autokratie zu liebäugeln.

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Am Wahlabend in Hessen (28. Oktober) verwunderte der Vorsitzende der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) die Zuhörer mit der Bemerkung, die Partei sei ordoliberal. Er nutzte dieses Adjektiv im Zusammenhang mit seiner – berechtigten – Abneigung gegen die Mietpreisbremse. Diese Aussage ist gleich doppelt eine Überraschung. Zum ersten ist das Konzept des Ordoliberalismus seit Jahren in der öffentlichen Diskussion nicht mehr präsent; es jetzt im ersten Statement nach der Hessenwahl zu verwenden, ist zumindest ungewöhnlich.

Zweitens – und dies wiegt schwerer – ist es überraschend, dass die AfD für sich das Etikett liberal beansprucht. Denn obwohl viele Menschen Liberalismus fälschlicherweise mit sozialer Kälte und Eigennutzstreben assoziieren, käme kaum jemand auf die Idee, den Liberalismus mit der AfD in Verbindung zu bringen.
Haben die Skeptiker Recht?

Zur Beantwortung dieser Frage muss man sich erst einmal vor Augen führen, was der Ordoliberalismus eigentlich ist und wofür Ordoliberale stehen. Der Ordoliberalismus entstand in Zeiten des Chaos in der späten Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Die Gründerväter Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Franz Böhm sowie deren Schüler und Kollegen wollten sowohl dem Faschismus als auch dem Kommunismus, also den prominesten Formen des Totalitarismus, eine auf klaren Prinzipien, individuellen Freiheiten, Machteinschränkungen für einzelne und sozialem Ausgleich basierende Ordnung entgegensetzen.

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Diese Prinzipien sind eine freiheitliche Wettbewerbsordnung mit Vertragsfreiheit, private Eigentumsrechte, offene Märkte, Stabilität der Währung, Kompetenz und Haftung, das heißt jeder haftet für sein Handeln selber, sowie Konstanz der Wirtschaftspolitik. Dazu kommen eine Wettbewerbsaufsicht, Maßnahmen zum sozialen Ausgleich sowie die Regulierung von Marktversagen. Die Soziale Marktwirtschaft unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und seinem Staatssekretär Alfred Müller-Armack basierte in großen Teilen auf diesem Konzept und wurde vom Eucken-Schüler Leonard Miksch wesentlich mitgestaltet.

Die Genannten waren – wie leicht zu erkennen ist – keine Libertären oder Turbokapitalisten; sie schrieben dem Staat klare Aufgaben zu. Der Staat hatte sozusagen stark und schlank, aber nicht fett zu sein – er wirkte wie ein Schiedsrichter. Und hier beginnt das Problem für die AfD. Denn der Wirtschaftsliberalismus der Ordoliberalen war und ist auch heute eng mit politischem Liberalismus verknüpft. Wenn auch das Thema Migration und der Umgang mit dem Islam (um zwei wichtige Themen der AfD zu nennen) nicht auf der Agenda der Nachkriegszeit stand und sich die ersten Ordoliberalen deswegen dazu meines Wissens nicht ausführlich geäußert haben, stehen sie doch für eine klare Haltung: Diskriminierung hatte keinen Platz in ihrem Weltbild. Der Ordoliberalismus ist kein Liberalismus á la carte. Er ist tolerant und umfassend. Walter Eucken hat sich in Freiburg auch nach 1933 für eine zivilisierte Gesellschaft und eine weltoffene Universität stark gemacht und Schriften für Dietrich Bonhöffer angefertigt.

Es hätte ihm sicherlich nichts ausgemacht, neben einem dunkelhäutigen Fußballer zu wohnen, er hätte auch keine türkischstämmigen Politikerinnen „nach Anatolien entsorgen“ wollen. Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow wurden ihrerseits unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nazis aus der Universität beziehungsweise dem öffentlichen Dienst entlassen, also quasi entsorgt (übrigens in die damals weltoffene Türkei), ein Schicksal, das die AfD zwar noch keinem Wissenschaftler, aber indirekt schon etlichen Journalisten (noch ohne namentliche Nennung) angedroht hat.

Die Behauptung, die AfD sei ordoliberal, ist also grundfalsch. Sie mag einzelne wirtschaftsliberale Elemente aus der Gründungsphase durch die ehemaligen Mitglieder Bernd Lucke, Joachim Starbatty und anderen übernommen haben, aber ihr Grundtenor ist nicht liberal. Die Partei scheint eher zu Autokratie zu neigen.

Die Behauptung von Herrn Meuthen ist noch aus einem anderen Grunde gefährlich für den Liberalismus. Denn sie könnte dazu führen, dass Kritiker des Liberalismus jetzt erst recht dagegen halten, weil sie aus Prinzip gegen die AfD sind. Die wahren Liberalen dürfen Herrn Meuthen diese Landnahme nicht durchgehen lassen. Ordoliberale haben in der AfD nichts verloren; das müssen sie auch deutlich kommunizieren!

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