Freytags-Frage
Brauchen Politiker eine formale Ausbildung? Quelle: dpa

Sollten Politiker eine formale Prüfung ablegen?

Angesichts seiner irren Vorschläge wird Kevin Kühnert sein abgebrochenes Studium vorgeworfen. Aber dass ein formaler Abschluss bessere Politiker hervorbringt, ist zweifelhaft. Auf beständiges Lernen kommt es an.

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Jede Woche hat ihren Aufreger, dafür sorgt schon die Presse. In dieser Woche hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert mit seiner Forderung (besser: Vorschlag, Phantasie, irre Idee?), Großkonzerne zu kollektivieren und privates Wohneigentum auf selbstgenutzten Wohnraum zu reduzieren, für Aufregung gesorgt. Abgesehen davon, dass man sich fragt, warum er nicht so weit ging, privates Eigentum als solches komplett abschaffen zu wollen, zeigte er mit seinen Thesen einen unglaublichen Mangel an Geschichtswissen und logischem Denken.

Das hat bei vielen Politikern (insbesondere und nicht ganz zu Unrecht bei den Sozialdemokraten) und vielen Beobachtern Wut und Aufregung hervorgerufen. In einigen Kommentaren wurde dabei zum wiederholten Male auf den Umstand hingewiesen, dass Herr Kühnert seine Studien der Politikwissenschaft (bisher) nicht abgeschlossen hat. „Er soll erst einmal etwas Ordentliches lernen!“ heißt es dann schnell, zumal er nicht der einzige Politiker ist, der mitten im Studium ein Karriereangebot in der Politik nutzte oder aus anderen Gründen das Studium abbrach.

Muss man deswegen gleich an seinen Fähigkeiten und denen anderer Politikerinnen verzweifeln? Muss man gar fordern, dass Kandidaten für politische Ämter eine Prüfung ablegen müssen, wenigstens diejenigen, die für den Bundestag und Landesparlamente sowie Ministerposten kandidieren? Das klingt attraktiv, vor allem vor dem Hintergrund, dass niemand gegen Entgelt eine Fliese verlegen oder einen Gartenzaun streichen darf, ohne eine Prüfung absolviert zu haben. Wer sogar unternehmerisch als Malerin oder Maler arbeiten will, muss sogar eine Meisterprüfung absolviert haben. Der immer wieder genannte Grund dafür ist die Qualitätssicherung; der wahre Grund ist vermutlich die Behinderung des Markzutritts.

Ob Herr Kühnert weniger Unsinn sagen würde, hätte er eine Diplom- oder Masterprüfung hingelegt, ist schwer zu sagen. Es ist auch schwer zu bestimmen, ob eine Dissertation in Physik (Angela Merkel) oder Geschichte (Helmut Kohl) oder ein Diplom in Volkswirtschaftslehre (Helmut Schmidt) eine ausreichende Qualifikation für das Amt der Bundeskanzlerin/des Bundeskanzlers darstellt. Müssen Politiker gar eine spezifische Prüfung für Berufspolitiker ablegen? Wie sieht der Stoff der Ausbildung aus? Machiavelli, Marx, Adenauers gesammelte Reden, Bundestagsdrucksachen auswendig lernen? Wer wäre dann der Prüfer? Zur Erinnerung: Die Meisterprüfung wird von etablierten Meistern abgenommen; ob das immer zur Objektivität beiträgt, sei dahingestellt.

Man sieht schon, die Idee, nur Politiker mit einer abgeschlossenen Ausbildung zu akzeptieren, trägt nicht weit. Trotzdem hinterlässt der Berufsweg zahlreicher Politiker etwas Unbehagen, wenn er klischeehaft wie folgt beschrieben werden kann: mit 15 in die Jugendorganisation, viele Sitzungen organisiert und Plakate geklebt, Mitarbeiterin eines Berufspolitikers, erste Parteiämter, Vorarbeiten auf der Landesliste, Hinterbänklerin, dann zufällig Ministerin, weil evangelische Fränkin und weiblich (dies ist konstruierter Fall!).

Da wäre es doch wünschenswert, wenn möglichst viele Berufspolitiker auch einmal ein wenig länger in einem anderen Beruf gearbeitet hätten und darüber hinaus in Fragen des Staatsrechts und der Staatsphilosophie belesen wären. Vielleicht sollte Herr Kühne sich mal eine Woche mit einigen Klassikern zurückziehen und zum Beispiel Hayeks „Weg in die Knechtschaft“, Euckens „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ oder Schumpeters „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ lesen – und sei es nur, um seine eigenen Positionen kritisch zu testen. Dabei ist angenommen, dass er Marx und Lenin bereits gelesen hat.

Appelle nützen aber wenig – wenn Politiker ihr geschlossenes Weltbild nicht öffnen wollen, ist es so. Dann hilft nur Kritik und Wettbewerb. Was die Kritik angeht, so gibt es die Medien, politische Konkurrenz und wissenschaftliche Beiträge. Bei Herrn Kühnert funktioniert es, die Kritik ist so scharf, dass alle Interessierten zumindest anfangen sollten, über seine Thesen kritisch nachzudenken. Vermutlich hat er sie aber nur so steil formuliert, um dieses Ausmaß an Aufregung zu erzeugen. Auch das ist eine politisch relevante Fähigkeit: im richtigen Moment Aufmerksamkeit zu erzeugen und den Bekanntheitsgrad hochzuhalten.

Was den Wettbewerb angeht, so können wir ebenfalls einigermaßen optimistisch sein. Immerhin hat der Aufstieg der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) deutlich gemacht, dass das Parteiensystem offen für Wettbewerb ist, und dass Neueinsteiger eine Chance haben, wenn die etablierten Anbieter (in diesem Fall: Parteien) erstarren. Dieser Wettbewerb trägt dann hoffentlich dazu bei, die Erstarrung zu lösen. Denn so heilsam der Wettbewerb sein kann, um Bewegung in das System zu bringen, so wenig braucht das Land die rückwärtsgewandten und menschenverachtenden Positionen der AfD. Hier ist vorsichtiger Optimismus angebracht, denn die ersten Jahre der AfD in den Parlamenten zeigen bereits sehr deutlich deren Inkompetenz und Mangel an sachorientierter Politik. Wenn die anderen Parteien sich diesem Angriff ehrlich stellen und ihre Politik wieder dichter an den Problemen der Menschen ausrichten, dürfte sich der Erfolg der AfD irgendwann wieder erledigt haben. Dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt.

Insofern muss man ob der Thesen des Herrn Kühnert nicht verzweifeln. Die Demokratie hält politischen Unsinn aus, und Menschen brauchen nicht zwingend einen formalen Abschluss, um sich für eine Aufgabe zu qualifizieren. Sie müssen nur beständig gezwungen werden zu lernen. Dies geschieht am besten im Wettbewerb der Ideen. Da ist Herr Kühnert gerade ein Stück zurückgefallen – mit Hayek, Eucken und Schumpeter kann er zur Aufholjagd ansetzen.

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