Freytags-Frage
Quelle: REUTERS

Welche Wirtschaftspolitik hilft nach Beendigung der Krise?

Die Bundesregierung sollte die Chance nutzen und die Coronakrise auch als Anlass sehen, dringende marktwirtschaftliche Reformen durchzuführen. Sechs Punkte bieten sich für Verbesserungspotenzial an.

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Es ist eine Binsenweisheit, dass Krisen eine Chance bieten, sich zu ändern, Perspektiven zu wechseln und eingefahrene Wege zu verlassen. Dennoch ist es notwendig, sich regelmäßig daran zu erinnern. Es wäre vor allem für die Bundesregierung wichtig, sich dieser Weisheit zu bedienen. Denn in der Krise wird der Widerstand von Partikularinteressen gegen gesamtwirtschaftlich vorteilhafte Reformen geringer sein als in guten Zeiten. Insgesamt steigt die Bereitschaft zu Veränderungen in der Bevölkerung.
Wo stehen wir? In den letzten Jahrzehnten hat sich die deutsche Wirtschaftspolitik in einer gewissen Bräsigkeit eingerichtet. Es läuft insgesamt gut, die Beschäftigung war vor der Corona-Krise annähernd auf Rekordhoch, die Steuereinnahmen sprudelten, das Wachstum war auf relativ stabilem und im europäischen Vergleich hohen Niveau. Zuletzt sanken sogar die CO2-Emissionen. Alles schien auf gutem Wege zu sein.

In dieser Situation hat es aber viele Versäumnisse gegeben. Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerin haben es schlichtweg unterlassen, die Weichen für eine ebenso erfreuliche Zukunft zu stellen. In der Rentenpolitik wurden erstens die demographischen Risiken systematisch ausgeblendet. Stattdessen wurden heutige Rentnergenerationen mit immer neuen Geschenken zugeschüttet.

Zweitens wurde die Infrastruktur sträflich vernachlässigt. Dies betrifft unter anderem Straßen, die Bahn, Kanäle, aber auch digitale Infrastruktur. Immer neue Regulierungen erschweren drittens den Unternehmen ihre Tätigkeit; in Deutschland ein Unternehmen zu gründen, scheint ein mittleres Abenteuer zu sein. Das Handwerk wird in Zukunft wieder stärker reguliert, das heißt, mit dem Zwang zum Meisterbrief in fast allen Gewerken wieder vor Wettbewerb geschützt.

Die Steuerpolitik ist viertens extrem komplex und vielfach ungerecht. Gleichzeitig sind staatliche Subventionen in Deutschland auf knapp 200 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen. Zuletzt hat der Wirtschaftsminister schließlich fünftens noch darüber philosophiert, Wertschöpfungsketten bitte nur noch europäisch zu gestalten – Protektionismus durch die Hintertür?

In der Wohnungs- und Klimapolitik kommen sechstens vermehrt planwirtschaftliche Instrumente zur Anwendung. Gut gemeinte Politik verdrängt gute Politik; Gesinnungsethik schlägt Verantwortungsethik. Dies alles hat mit Sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Die wesentlichen Gründe für diese ständigen Eingriffe liegen vermutlich im hohen und scheinbar immer noch steigenden Einfluss von organisierten Interessen. Genau diese Einflussnahme war es jedoch, die Walter Eucken und seine ordoliberalen Kolleginnen und Kollegen noch während des Zweiten Weltkrieges an einer Wirtschaftsordnung arbeiten ließ, die dem Staat die Rolle des neutralen Regelsetzers zuwies, der mit Ausnahme einer strengen Wettbewerbspolitik und einer zielgenauen Sozialpolitik nicht oder möglichst wenig in die Abläufe eingreift.

Lange hat diese Arbeitsteilung gut geklappt; ganz aufgegeben ist sie ja auch heute nicht. Dennoch besteht Reformbedarf, ohne dass das Wirtschaftsmodell der 1950er Jahre exakt wiederaufleben sollte.

In der gegenwärtigen Krise hat die Bundesregierung sich zu einer angemessen starken Reaktion entschlossen, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) helfen soll. Normalerweise haben KMU keine starke Vertretung in der Politik, wenigstens im Vergleich zu Großunternehmen. Vor diesem Hintergrund ist das Vorgehen der Bundesregierung zu begrüßen. Gleichzeitig steigen die Zustimmungsraten zur sogenannten Großen Koalition in den Umfragen.

Somit macht es Sinn, sich bereits jetzt mit der Frage zu beschäftigen, wie es nach Beendigung der Krise weitergehen soll. Es ist davon auszugehen, dass der gesamtstaatliche Schuldenstand in Deutschland nach der Krise mindestens so hoch ist wie nach der europäischen Staatsschuldenkrise 2009/2010. Um von diesem Schuldenstand schnell herunterzukommen (zumindest relativ zum Bruttoinlandsprodukt), ist eine nachhaltige Wachstumsstrategie nötig. Eine solche Strategie muss auf eine starke private Wirtschaft bauen.

von Benedikt Becker, Sven Böll, Cordula Tutt, Lukas Zdrzalek, Max Haerder

Deshalb sind marktwirtschaftliche Reformen und ein schnelles Ende der protektionistischen Maßnahmen, die die Regierungen auf der ganzen Welt seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ergriffen haben, nötig. In Deutschland heißt dies ganz konkret, dass erstens die Schieflage in der Alterssicherung – vermutlich durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit – beseitigt werden muss.

Zweitens müssen die Anstrengungen zur Sanierung beziehungsweise zum Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben werden.
Drittens ist der Bürokratieabbau voranzutreiben, den die Bundesregierung seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten gebetsmühlenartig verspricht, während gleichzeitig überall die bürokratischen Hürden wachsen. Eine Orientierungshilfe könnte die Erfahrung der kurzfristigen Hilfen für KMU in dieser Krise bieten.

Viertens ist eine Steuerreform unbedingt vonnöten; die Steuern sind gerade für Unternehmen im internationalen Vergleich, aber auch für Bezieher mittlere Einkommen deutlich zu hoch, und die Komplexität des gesamten Steuersystems ist zu reduzieren.

Fünftens muss die Bundesregierung ein Anwalt offener Märkte bleiben und ihr ganzes Gewicht einsetzen, um die Krise der Welthandelsordnung zu überwinden.

Und sechstens sollte der Klimaschutz endlich ernst genommen werden. Die Krise wird sicherlich einige positive Beispiele für recht kurzfristige Produktionsumstellungen wegen geänderter Nachfragemuster hervorbringen. Diese Fälle sollten der Regierung Mut machen, die Preise für die CO2-Emissionen angemessen hoch anzusetzen und es den Unternehmen zu überlassen, sich daran anzupassen; gleichzeitig sollten alle technologischen Vorgaben, Subventionen für bestimmte Technologien sowie Abschaltverpflichtungen verworfen werden.

Es ist keine Frage, dass die Krise die Wirtschaft kräftig durchschüttelt. Bislang sind die Unternehmen der Bundesregierung in der Bewältigungsstrategie gefolgt und zeigen sich kooperativ, genau wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nach der Krise haben es die Unternehmen und ihre Beschäftigten verdient, von den wesentlichen Hemmnissen für ihre Arbeit befreit zu werden. Die Bundesregierung sollte unbedingt schon jetzt damit beginnen, die Reformpakete zu schnüren.

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