Gewerkschaften Die unheimliche Macht der IG Metall

Berthold Huber hat seine Organisation in einen straff organisierten Arbeitnehmer-Konzern verwandelt – mit prall gefüllten Streikkassen und einer enormen Machtfülle. Wie arbeitet die IG Metall? Und was bedeutet ihr wachsender Einfluss für die Wirtschaft? Ein Bericht aus dem Innenleben der weltgrößten Gewerkschaft.

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IG-Metall-Chef Berthold Huber Quelle: REUTERS

Der Terminplan für Berthold Huber steht. Am kommenden Dienstag wird der IG-Metall-Vorsitzende um elf Uhr vom Hamburger Spielbudenplatz mit einem Demonstrationszug zum Fischmarkt der Hansestadt wandern, dort gegen zwölf ein Podium erklimmen und routiniert gegen Leiharbeit, Sozialabbau und die Auswüchse des Kapitalismus wettern. Doch mit seinen Gedanken ist der 62-Jährige dann womöglich ganz woanders. Nur 24 Stunden nach der Kundgebung zum 1. Mai will die IG Metall mit Warnstreiks in Deutschlands wichtigster Industriebranche die härteste Tarifauseinandersetzung seit Jahren eröffnen – und selten zuvor sind die Spitzenfunktionäre mit derart breiter Brust in eine Lohnrunde gezogen wie 2012.

„Die Sozialpartnerschaft hat in der Krise gehalten. Jetzt geht es um eine Verteilungsauseinandersetzung“, sagt Huber, und er kann sich diese kämpferischen Töne durchaus leisten. Der gelernte Werkzeugmacher aus Ulm gilt mittlerweile als einflussreichster Gewerkschaftsmanager der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach Jahren des politischen und organisatorischen Niedergangs hat er seine Gewerkschaft nicht nur wieder zu einem starken Kampfverband gemacht, sondern zu einem zentralen Machtfaktor in der deutschen Wirtschaft – auch jenseits des tarifpolitischen Tagesgeschäfts. Der Arbeitnehmer-Konzern IG Metall gestaltet nicht nur die Lohn- und Arbeitsbedingungen von 3,6 Millionen Beschäftigten, sondern ist auch gefragter Ratgeber der Politik; er sitzt auf dicken Aktienpaketen, bezieht Profit aus einem umfangreichen Immobilienbesitz – und regiert über seine Aufsichts- und Betriebsräte mehr denn je in der Beletage der deutschen Industrie mit.

Die IG Metall in Zahlen

Keine andere Branche ist heute gewerkschaftlich so durchdrungen wie die Metall-und Elektroindustrie. Während in der Wirtschaft insgesamt nur rund 20 Prozent der Arbeitnehmer ein Gewerkschaftsbuch haben, sind es im wichtigsten Industriezweig des Landes nach internen Zahlen der IG Metall immerhin 31 Prozent. In den großen Automobilkonzernen und in der Stahlindustrie liegt der Organisationsgrad bei weit über 90 Prozent.

Aufpasser in Aufsichtsräten

Würde die IG Metall in ihrem Jahresbericht wie eine Bank verfahren und alle Unternehmen nennen, bei denen sie mehr oder weniger starken Einfluss hat, ergäbe sich eine lange Liste, von Siemens mit seinen in Deutschland 116.000 Beschäftigten über die großen Automobilkonzerne bis hin zu vielen Mittelständlern. In den Mitbestimmungsgremien der Unternehmen geht vielfach nichts gegen die Gewerkschaft. Von den über 70.000 Betriebsratsmitgliedern der Branche gehören über 70 Prozent der IG Metall an. Hinzu kommen knapp 80.000 gewerkschaftliche „Vertrauensleute“, also Arbeitnehmer, die ihre Gewerkschaft mit Informationen aus dem Betrieb versorgen.

In die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen entsendet die Gewerkschaft rund 1700 Aufpasser. Gewerkschaftsboss Huber hat gleich vier Kontrollmandate: Er ist stellvertretender Aufsichtsratschef bei Siemens, Audi und VW und einfaches Mitglied bei Porsche. Das macht ihn zu einem der Chefkontrolleure der deutschen Wirtschaft. Die vier Konzerne bringen es auf eine Marktkapitalisierung von 158 Milliarden Euro, das entspricht fast einem Viertel des Wertes aller Dax-30-Unternehmen. Zum Vergleich: Manfred Schneider, der König der Aufsichtsratschefs (Bayer, Linde, RWE) beaufsichtigt nur Konzerne mit einer Marktkapitalisierung von 85,8 Milliarden Euro. Hubers Vize Detlef Wetzel sitzt in den Kontrollgremien von SMS und ThyssenKrupp Steel. Finanzvorstand Bertin Eichler hat Sitz und Stimme im Aufsichtsrat von BMW und bei ThyssenKrupp.

Längst sehen sich die Gewerkschaftsbosse weniger als Klassenkämpfer denn als Co-Manager. Und sie wollen mehr: Huber hat mehrfach das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratschefs infrage gestellt. Seit Längerem kursieren in der IG Metall zudem Gedankenspiele, die zunehmende Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmen strategisch zu nutzen. Die Idee lautet, Mitarbeiteranteile branchenübergreifend zu bündeln und mit einer einheitlichen Beteiligungsgesellschaft auf Hauptversammlungen aufzutreten.

Schon als Chef des IG-Metall-Bezirks Baden-Württemberg (1998–2003) fiel Huber mit für Gewerkschaftsverhältnisse unbotmäßigen Gedanken auf, etwa zur Flexibilisierung von Tarifverträgen. Im Gegensatz zu anderen Gewerkschaftsfürsten hatte er über Jahre einen guten Draht zu Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. In seinem Büro im 15. Stock der Frankfurter IG-Metall-Zentrale musste die Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler um Hilfe für ihren angeschlagenen Konzern nachfragen. In Russland wurde Huber von Wladimir Putin empfangen. Jüngst kam Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zum Antrittsbesuch.

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