Görlachs Gedanken

Amerika muss Angela Merkels Türkei-Plan retten

Letzte Hoffnung Erdogan: Der umstrittene türkische Präsident soll Europas Flüchtlingskrise lösen helfen. Aber das kann nur klappen, wenn die Amerikaner ihm die Leviten lesen.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Quelle: dpa

Die Türkei ist für den Westen verloren, ihr demokratisches Projekt zumindest vorerst gescheitert. Der großen Modernisierung von Staatsgründer Kemal Atatürk droht die Rückabwicklung. Freie Presse ist in der Türkei Geschichte, die Freiheit der Kultur auch, die Annäherung an die Kurden ebenfalls und der Laizismus des Landes existiert nur noch auf dem Papier.

Das macht das Land zu einem unangenehmen Zeitgenossen – und leider auch zu einem sehr unangenehmen Partner für jenen sagenumwobenen „Türkei-Deal“, mit dem Kanzlerin Angela Merkel spätestens bei einem EU-Sondergipfel am 6. März eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage finden will.

Das Problem ist nämlich: Europa ist kein Vorbild mehr für die Türkei; die politische Führung des Landes orientiert sich eher an Russland. Gemeinsam mit Russlands Präsident Wladimir Putin spielt Erdogan Imperialist: In Sachen Krim, die ja immerhin eine Schenkung seiner osmanischen Vorfahren an den Zaren war, gab er sich gönnerhaft. In Syrien, das er als so etwas wie osmanisches Protektorat zu sehen scheint und an dessen zerfallenden Staatsgebiet er gerne einen Anteil hätte, verhält er sich kühl und machtversessen.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Als Erdogan im Jahr 2004 gewählt wurde, war die Lesart im Westen, dass ein geläuterter Islamist nunmehr die Geschicke seines Landes führe. Und Erdogan verkaufte seine AKP den Europäern als eine Art "muslimische CDU". In der christlichen Parteien-Familie ließ man ihn daher lange gewähren.

Mehr als zehn Jahre später weiß die Welt, dass Erdogan größenwahnsinnig geworden ist und sich für den neuen Sultan des Landes hält. Das macht sich in den türkischen Wirtschaftsdaten bemerkbar: Devisen werden abgezogen, Investitionen nicht mehr getätigt, der Kurs der türkischen Lira sinkt. Diese Entwicklung erinnert stark an die in Russland.

Dass die Europäer nun trotzdem bei Erdogan vorstellig werden müssen, sehen unsere amerikanischen Verbündeten mit Kopfschütteln. Tatsächlich haben die Amerikaner beinahe im Alleingang viele Jahre lang für eine entschiedenere Annäherung des Westens an den NATO-Partner Türkei geworben – um einem Herrscher wie Erdogan nicht die Gelegenheit zu geben, durch Ressentiments gegen angebliche westliche Zurückweisung seine Macht zu festigen.



Für Amerika ist an der aktuellen Entwicklung auch die Tatsache schuld, dass die Europäische Union die Türkei über Jahre wie ein Stiefkind behandelt und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit dem Land auf die lange Bank geschoben habe. Für die Amerikaner war der Beitritt eines mehrheitlich muslimischen Landes zur europäischen Union nie ein Problem von einer generellen Tragweite, wie sie in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern gesehen wurde.

Europa hätte früher versuchen müssen, den Weg der Türkei in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit institutionell abzufedern. Viele Europäer hielten aber den Weg, den die Türkei eingeschlagen hatte, prinzipiell für unumkehrbar - ähnlich übrigens wie im Falle Russlands. Diese Einschätzung war aber falsch, und – wenn wir ehrlich sind – haben unsere amerikanischen Partner vor so viel Naivität immer gewarnt.

Was nun? Auch wenn die Türkei abgedriftet und nicht mehr auf freiheitlichem Kurs ist, muss Deutschland, muss Europa Wege finden, mit dem Land die anstehenden Fragen zu diskutieren und Lösungen zu finden, gerade in der Flüchtlingskrise. Deutschland ist im Moment vom guten Willen von Staatspräsident Erdogan abhängig. Die Deutschen müssen sich an diese harte, neue Realität gewöhnen.

Zu dieser Realität gehört auch die Einsicht, dass Merkels „Türkei-Plan“ nur mit Hilfe der Amerikaner gelingen kann. Die USA ist die einzige Macht, die beispielsweise durchsetzen kann, dass es eine auch von der deutschen Regierung gewünschte, Nichtflug-Zone über Teilen Syriens geben kann – und auch die einzige Macht, die Staatspräsident Erdogan davon überzeugen kann, dass eine Anbindung seines Landes an den Westen besser für die Türkei ist als eine an Wladimir Putin.

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