Olaf Scholz zählt nicht zu den Politikern, die haltlose Versprechen in die Welt hinausposaunen – findet vor allem: Olaf Scholz. Aber warum verheißt der Kanzler den Deutschen dann neuerdings ein „Wirtschaftswunder“? Und weshalb hat er als Kanzlerkandidat 2021 für einen Industriestrompreis geworben? Wusste er damals etwa noch nicht, dass den Staat das teuer zu stehen kommt? Dass es Mitnahmeeffekte provoziert? Dass der unsubventionierte Mittelstand rebellieren würde?
Jetzt plötzlich bremst Scholz. Mal wieder. Eher keinen Sonderpreis für die Industrie – so hat er es erst Anfang dieser Woche formuliert. Allerdings blieb der Kanzler damit eine Antwort schuldig, wie er die sogenannte „Todeszone“ überbrücken will: die Jahre, in denen der Strom noch teuer ist und die Transformation heikel, bis endlich ausreichend Erneuerbare zur Verfügung stehen werden.
Robert Habeck, der Wirtschaftsminister, gibt nun seine eigene lang erwartete Antwort. Der Grüne hat 2023 zum Jahr der Industrie auserkoren; er wollte und er musste liefern. Bis 2030 also will Habeck der energieintensiven und im globalen Wettbewerb stehenden Industrie einen Preis von sechs Cent garantieren. Bis zu 30 Milliarden Euro soll das alles in allem kosten, um Deindustrialisierung, Abwanderung und Insolvenzen zu verhindern.
„Wir müssen noch ein paar Jahre überbrücken, bis genug preiswerte Energie verfügbar ist“, so hatte Habeck seinen Plan jüngst bereits im WirtschaftsWoche-Interview skizziert. „Als Wirtschaftsminister halte ich das für richtig, aber über das nötige Geld entscheide ich nicht allein, sondern die Regierung gemeinsam.“
Womit wir beim Kern angekommen sind. Bei Christian Lindner. Und beim Kanzler. Denn der Standort Deutschland ist nicht mehr in bester Verfassung, so viel ist klar. Was aber wäre jetzt zu tun? Mehr Plan? Mehr Markt?
Der global konkurrierenden Industrie billigen Strom zu organisieren – das wäre eine, Habecks Möglichkeit, die Todeszone zu begrünen. Investitionsanreize oder gar Strukturreformen wären eine andere. In den Worten des Finanzministers, ebenfalls in der WirtschaftsWoche: „Mich überzeugt das Konzept des Industriestrompreises in der aktuellen Form nicht. Auf der einen Seite treiben wir die Energiepreise durch politische Entscheidungen nach oben, und auf der anderen Seite sollen sie dann für einen Teil der Wirtschaft mit Steuergeld subventioniert werden. Wo ist die Grenze?“
Hier haben wir sie also, die entscheidende wirtschaftspolitische Frage dieser Tage. Olaf Scholz muss sie jetzt beantworten, denn niemand anderes als er kann es, damit sich der heraufziehende grün-gelbe Streit um den Industrie-, Transformations- und nun Brückenstrompreis nicht wieder quälende Wochen hinzieht, so wie beim Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Die Industrie sollte wissen dürfen, woran sie ist. Womit sie rechnen kann. Und womit nicht. So oder so: Auf den Kanzler käme es jetzt an. Auf einen, der nicht verspricht. Sondern handelt.
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