Halbleiterkrise „Es ist nachvollziehbar, dass Intel nur mit Subventionen kommt“

Blick in die Zukunft: Im irischen Leixlip besuchte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff kürzlich eine Baustelle des US-Konzerns Intel. Der Chiphersteller will 2023 auch in Magdeburg Werke zur Halbleiter-Produktion bauen. Quelle: dpa

Intel will in Magdeburg Mikrochips produzieren. 17 Milliarden Euro investiert der US-Konzern, der mit Milliarden-Subventionen rechnen darf. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff findet diese Strategie richtig.

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Reiner Haseloff ist seit 2011 Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der CDU-Politiker war zuvor Wirtschafts- und Arbeitsminister in Sachsen-Anhalt. Er hat in Dresden und Berlin Physik studiert und anschließend in dem Fach promoviert.   

WirtschaftsWoche: Herr Haseloff, in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg soll künftig der neue Rohstoff fürs digitale Zeitalter entstehen: Computerchips. Auf 450 Hektar Ackerland will das US-Unternehmen Intel zwei Fabriken bauen. Hat sich Ihre Amtskollegin Manuela Schwesig schon bei Ihnen beschwert, weil sie mit Schwerin im Standortwettbewerb gegen Magdeburg verloren hat?
Reiner Haseloff: Nein, darüber haben wir noch nicht gesprochen. Wo ein Unternehmen investiert, entscheidet es auch selbst. Wir können nur die Rahmenbedingungen bieten – und hier hat unsere Landeshauptstadt Intel offensichtlich am meisten überzeugt, worüber ich sehr froh bin.

Intel hat europaweit nach einem Standort gesucht. Was hatten Sie im Wettbewerb zu bieten?
Viele Faktoren haben eine Rolle gespielt. Einerseits bieten wir eine hervorragende Infrastruktur mit der Nähe zu Berlin, dem Automobilstandort Wolfsburg und dem Flughafen Halle/Leipzig, neben dem künftigen Standort führen die wichtigen Autobahnen A14 und A2 vorbei, was für die Logistik wichtig ist. Wir haben einen Binnenhafen und eine freie Fläche, die der Größe von 650 Fußballfeldern entspricht. Das gibt es nicht so oft in Deutschland. Hinzu kommt die Anbindung an Forschungseinrichtungen. Und die Region ist hungrig auf Wachstum.

Überzeugt haben dürften Intel vor allem auch die Milliardensubventionen, ohne die sich das Unternehmen nicht in Deutschland angesiedelt hätte. Rund 17 Milliarden Euro will die Bundesregierung bis 2028 für Projekte im Bereich Mikroelektronik ausgeben, ein beträchtlicher Teil dürfte an Intel gehen. Wie nachhaltig ist die Industriepolitik, wenn solche Ansiedlungen quasi erkauft werden müssen? 
Es ist nachvollziehbar, dass ein Unternehmen wie Intel nur mit Subventionen kommt. Denn auf anderen Kontinenten wie in Asien sind die Kosten für Lohn und Produktion deutlich geringer. Deswegen ist es legitim, dass sich Intel die Mehrkosten kompensieren lässt. Aber am Anfang stand ja nicht das Unternehmen, das die Hand aufgehalten hat, sondern die EU selbst, die sich Schlüsseltechnologien wie die Chipproduktion quasi in einer Rückholaktion wieder sichern muss. Insofern sind die Subventionen wichtige und richtige Industriepolitik, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nachhaltig sichern.

Wie wichtig solche Schlüsseltechnologien sind, wissen Sie als promovierter Physiker selbst. Sie haben sich früher mit Lasern und Molekülgasmessung beschäftigt. Wie sehr schmerzt es Sie, dass Deutschland sich solche Fähigkeiten teuer wieder zurückholen muss?
Obwohl wir viele digitale Technologien in universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland mitentwickelt haben, spielen wir in der Produktion und Verteilung heute leider eine untergeordnete Rolle. Das liegt auch daran, dass wir uns lange auf die Automobilindustrie mit ihren Verbrennern als Leitindustrie konzentriert haben. Heute fährt kein Auto ohne Chips, die ebenso in vielen anderen Produkten stecken. Aber der Gedanke der internationalen Arbeitsteilung und Globalisierung funktioniert in Zeiten von Krieg und unterbrochenen Lieferketten eben nicht mehr. Deshalb ist es wichtig, die Schlüsselindustrie wieder in Europa zu haben.

Haben Sie mit Intel Abnahme- oder Liefergarantien vereinbart für die deutsche Industrie?
Nein, aber das ist auch nicht notwendig angesichts des hohen Bedarfs, den es im Markt gibt. Fest steht, dass wir einen Grundstock an strategisch unverzichtbaren Technologien brauchen. Deshalb ist wichtig, dass sich Deutschland und die Europäische Union diese Zugriffsmöglichkeiten sichern, denn es darf nie wieder diese Abhängigkeit bis hin zur politischen Erpressbarkeit geben, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben. Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs ist man davon ausgegangen, dass sich alles in Richtung Demokratie entwickeln wird.

Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. 
Es ist eine Idealvorstellung gewesen, die nicht den Realitäten entspricht, wie wir heute sehen. Aber nicht nur Krieg und Corona, sondern auch die Klimaveränderungen erfordern entsprechende politische und strategische Entscheidungen. Wir können nicht mehr so weiterwirtschaften wie bisher.

Unternehmen wie Intel, Tesla und Northvolt begründen ihre Ansiedlungen im Norden und Osten Deutschlands auch mit der besseren Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien. Gehört der industrielle Süden Deutschlands, in dem Ökostrom nicht in dem Maße verfügbar ist, zu den Verlierern?
Ich würde nicht vom Verlieren sprechen. Aber die Zukunft im 21. Jahrhundert wird enorm davon geprägt sein, in wie weit man als Standort Nachhaltigkeit bieten kann. Es geht nicht nur um erneuerbare Energien, sondern auch um Kreislaufwirtschaft insgesamt. Wir haben den Ausbau in Sachsen-Anhalt konsequent vorangetrieben, können heute sogar mehr als 61 Prozent des gesamtes Strombedarfs aus Erneuerbaren decken und grünen Strom exportieren. Für Intel sind die Möglichkeiten einer CO2-freien Produktion ein wichtiges Standortortkriterium gewesen. Auch im Chemiepark in Leuna gibt es erfolgsversprechende Forschungs- und Produktionsvorhaben zur Erzeugung von sogenanntem grünem Wasserstoff.  

Reichen aber die Ansiedlungen der Amerikaner, aber auch von Northvolt aus Schweden und CATL aus Asien, um von einem Aufschwung Nord-Ost zu sprechen?
Durch die Ansiedlungen wird Ostdeutschland weltweit ganz neu wahrgenommen. Für viele internationale Unternehmen und die internationale Öffentlichkeit waren die neuen Bundesländer unbekannte, weiße Flecken auf dem Globus. Nach der Anfangseuphorie über die Wiedervereinigung ist quasi nur Berlin auf der Landkarte gewesen. Aber dass sich Magdeburg nun in einem europaweiten Wettbewerb durchsetzen konnte, zeigt ganz objektiv, dass sich 30 Jahren Infrastrukturentwicklung nun bezahlt machen. Die ersten zehn Jahre waren ganz harte Umstrukturierungsprozesse, die zweite Dekade Konsolidierung, im dritten Jahrzehnt haben wir Schwung geholt und jetzt sind wir mitten drin im Sprung in ein ganz neues Kapitel.

Aber wie verlässlich sind diese Partnerschaften mit internationalen Unternehmen, die auch jederzeit zum nächsten, besseren Standort ziehen könnten?
Ich selbst habe im Osten erlebt, dass wir ohne die Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten nicht in der Freiheit leben würden, wie wir sie heute haben. Ein Fundament, auf dem auch die wirtschaftlichen Verflechtungen weiterwachsen können. Ein Unternehmen wie Intel will langfristig in seine Standorte investieren, Steuern zahlen und Fachkräfte ausbilden.

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Moment, das klingt ja fast, als ob Sie im Nebenjob der neue PR-Chef von Intel sind. Sie haben die finalen Vertragsverhandlungen im Festsaal der Staatskanzlei geführt, eine Taskforce aus Stadt und Land kümmert sich um die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Deutsche Mittelständler träumen von so einem roten Teppich.
Keine Sorge, die werden bei uns nicht vernachlässigt. Aber Intel ist die größte industrielle Ansiedlung in der Geschichte Sachsen-Anhalts, da bin ich selbstverständlich stolz auf unseren Standort.

Auf einen Besuch von Intel-Chef Pat Gelsinger müssen Sie allerdings noch warten. Haben Sie schon ein Besuchsprogramm für ihn parat?
Pat Gelsinger musste seinen geplanten Besuch nach Berlin und Magdeburg wegen des Kriegs in der Ukraine kurzfristig verschieben. Aber wenn er kommt, werde ich ihm selbstverständlich das Denkmal des Generals von Friedrich Wilhelm von Steuben zeigen, dazu würde ich mit ihm in den Dom gehen, wo Otto der Große begraben ist, dessen Krönung zum Kaiser quasi als Geburtsstunde unserer Nation gilt, und wenn es die Zeit erlaubt, würde ich gerne noch mit ihm in meine Heimatstadt Wittenberg fahren und das Grab von Martin Luther in der Schlosskirche besuchen.

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