Hoffnungsträger Wie die Ämter durch Corona ins Rampenlicht rücken

Das Lagerzentrum in Düsseldorf mit drei Mitarbeitern Quelle: Laif

Täglich kommen neue Städte auf die endlos lange Liste der Risikogebiete in Deutschland hinzu. Mit den Infektionszahlen wächst auch die Arbeit der Ämter – mit neuen Schwerpunkten.

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Eine Normalisierung des Wirtschaftslebens? Fehlanzeige. Die Zahl der Corona-Hotspots in Deutschland erhöht sich täglich. Der kritische Wert ist erreicht, wenn Städte 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen verzeichnen. Die Kommunen stehen vor einer weiteren Belastungsprobe. Unter ihnen: Düsseldorf, die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, die seit vergangener Woche offiziell ein Risikogebiet darstellt. Mit 100.247 ist NRW das Bundesland mit den höchsten Infektionszahlen. Zum Vergleich: Mecklenburg-Vorpommern hat 1.946 – und ist damit das Bundesland mit den wenigsten Coronafällen. Die Ämter agieren wie ein Fallschirm: Sie können den Sturz zwar nicht verhindern – aber abfedern. Doch wie sieht der Arbeitsalltag der Ämter eigentlich in dieser Sondersituation aus? Die WirtschaftsWoche hat in Düsseldorf nachgefragt. 

Finanzspritze vom Bund für Gesundheitsämter reicht nicht aus

Die Front im Kampf gegen Corona verläuft mitten durch die 400 deutschen Gesundheitsämter

Es herrscht Ausnahmezustand. Auch von Düsseldorf ist eine stetige Anpassung an das aktuell bestehende Infektionsgeschehen und an die neu verabschiedeten Regelungen von Bund und Land gefordert. „Mit steigenden Fallzahlen, nimmt natürlich auch die Arbeit im Gesundheitsamt zu“, sagt Stadtsprecher Michael Buch.

Das Gesundheitsamt geht einer Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben in verschiedenen Bereichen nach, darunter Aufgaben des Infektionsschutzes, des Sozialpsychiatrischen Dienstes und der Sozialpädiatrie, also der Wissenschaft von äußeren Einflüssen auf Gesundheit und Entwicklung von Kindern, sowie des Kinderärztlichen Bereiches wie  Schuleingangsuntersuchungen. Der Aufgabenschwerpunkt veränderte sich jedoch durch die Corona-Pandemie: Infektionshygiene hat besonders an Bedeutung gewonnen, wie das Düsseldorfer Gesundheitsamt bestätigt. Darunter fallen die Befundmitteilungen, das Nachvollziehen der Infektionsketten sowie die Aussprache von Ordnungsverfügungen.

Um das Amt für die Bereiche personell aufzustocken, stellt der Bund vier Milliarden Euro bis 2026 zur Verfügung. Bundesweit sind 5000 neue Stellen für die 400 Gesundheitsämter bis Ende 2021 geplant. Das Maßnahmenpaket kann nach Angaben des Gesundheitsamtes allerdings nur ein erster Schritt sein. Denn: Neben dem Infektionsschutz seien weitere bevölkerungsbezogene Themen wie Prävention und Gesundheitsförderung, die gemeindepsychiatrische Versorgung der Bevölkerung und gesundheitliche Chancengleichheit gleichwertig. Auch die Bereiche sollte der Bund personell, digital und finanziell fördern.

Bislang musste in dem Düsseldorfer Gesundheitsamt keine Bundeswehr aushelfen. In anderen Städten sieht das anders aus: Vielerorts unterstützen Bundeswehrsoldaten die Ämter wie in Berlin, Frankfurt, Stuttgart und Dortmund. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach ihrer Konferenz mit den Bürgermeistern der deutschen Großstädte: "Die Bundeswehr hat Reserven und kann noch weiteres Personal entsenden." Selbst Schwerin hat nun einen Antrag zur Unterstützung der Bundeswehr gestellt, bestätigt der Bürgermeister Rico Badenschier. Er geht davon aus, in den nächsten Wochen Hilfe zu bekommen.

Nach eigenen Angaben hat das Düsseldorfer Gesundheitsamt aufgrund der gesetzlichen und städtischen Vorgaben Personal zur Unterstützung in stark beanspruchte Bereiche wie der Infektionshygiene in den speziell eingerichteten Lagezentrum verlagert. Andere Tätigkeiten des Amtes mussten reduziert oder umgestellt werden. Lageabhängig können rund 68 Vollzeitstellen im Bereich der Infektionshygiene eingesetzt werden, wie das Gesundheitsamt mitteilt. Die einzelnen Mitarbeiter übernehmen – neben der Nachverfolgung von Kontaktpersonen – auch weitere Aufgaben, wie zum Beispiel: Übermittlung von positiven Testergebnissen, Ermittlung von personen- und krankheitsspezifischen Details, Einpflegen der Ergebnisse in Datenbanken sowie das Ausstellen von Ordnungsverfügungen. Durch die Kontaktverbote konnte das Amt im Lockdown die Tätigkeitsbereiche Sozialpsychiatrie und -pädiatrie sowie die Schuleingangsuntersuchungen nur eingeschränkt ausführen. Während die Beratung zu den Bürgern auf das telefonische Gespräch beschränkt war, wurden andere Tätigkeiten wie die Logopädie und Kariesprophylaxe eingestellt. Damit sind Mitarbeiter in den Bereich der Bewältigung des Infektionsgeschehen gewechselt. „Mit dem Verlauf der Corona-Krise hat das Gesundheitsamt immer mehr dazugelernt“, bestätigt Stadtsprecher Buch. Das Rezept lautet Digitalisierung. Prozesse wurden digital ausgestattet. Dadurch konnten weitere Personalressourcen an anderer Stelle kurzfristig eingesetzt werden.

Schulverwaltungssamt rechnet mit keinem Lockdown mehr

Auch im Düsseldorfer Schulverwaltungsamt spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Mobile und digitale Arbeit wird nach eigenen Angaben zunehmend in Anspruch genommen. Um die Entwicklung voranzutreiben, stellt der Bund insgesamt 500 Millionen Euro für digitale Mittel in den Schulen bereit. In Düsseldorf wurden bereits 15.000 Tablets für die Schüler im Distanzunterricht organisiert. Trotzdem herrscht Krisenstimmung: Das Amt muss flexibel auf die sich häufig ändernde Verordnungslage reagieren. Eine Belastungsprobe - finanziell und personell. Da die Förderung für die Digitalisierung gedacht ist, hat das Schulamt keine zusätzlichen Mitarbeiter eingestellt. Die Koordination der Bereitstellung von begrenzten Kontingenten wie Desinfektionsmittel und Masken, der Distanzunterricht sowie die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, deren Eltern im Bereich der kritischen Infrastruktur arbeiten, haben dem Amt einige Nerven gekostet.

von Sonja Álvarez, Benedikt Becker, Varinia Bernau, Daniel Goffart, Karin Finkenzeller, Bert Losse, Lukas Zdrzalek

Doch die Ergebnisse lassen sich zeigen: Alle Schulen in Düsseldorf haben laut dem Amt Hygienekonzepte erstellt. So gibt es unter anderem veränderte Pausen- und Unterrichtszeiten, Absperrbänder markieren den Weg - um den Kontakt so gut es geht zu meiden - und vor den Sekretariaten verringern Plexiglas-Schutzscheiben das Infektionsrisiko. Außerdem sind laut dem Schulförderungsamt einzelne Schulen auf die Lüftungsmöglichkeiten untersucht - und gegebenenfalls baulich angepasst - worden. Um das Risiko auch nach und vor dem Unterrichtsbeginn zu verringern, sei zusätzlich die Schulbus-Kapazität gestiegen.

Durch die Maßnahmen sind Schulen heute viel besser auf eine größere räumliche Distanzierung und Einhaltung von Hygienevorschriften vorbereitet. Deshalb ist sich der Stadtsprecher Falk Velten sicher: : "Der Schulbetrieb muss nicht zwangsläufig eingestellt werden". Stattdessen kann er flexibler gestaltet werden. Stichwort: digitaler Unterricht.

Wirtschaftsförderungsamt hat eine Nummer gegen Kummer eingerichtet

Allen voran hat das Wirtschaftsförderungsamt durch die Pandemie eine Reform durchgeführt – zum Kummerkasten für Unternehmer. Dafür richtete das Amt sogar eine eigene Telefonhotline ein, wie die Leiterin Theresa Winkels bestätigt. Zu Beginn der Krise waren die Unsicherheiten der Unternehmen besonders groß. Teilweise erreichten das Amt – so Winkels – mehr als 100 Anrufe pro Tag. Aktuell klingelt das Telefon nur noch maximal halb so viel. Für die telefonischen Beratungen hat sich das Amt zeitweise umstrukturiert, einen Rückrufservice aus dem Home-Office eingerichtet und zusätzliche Unterstützung durch eine Mitarbeiterin aus einem anderen Fachbereich erhalten. Heute ist die Hotline insofern in das Tagesgeschäft integriert, dass bei Bedarf neben einer ständigen Mitarbeiterin weitere Kollegen des 35-köpfigen Teams bei der Beantwortung telefonischer Fragen einspringen - unter anderem aus dem Home-Office.

Aktuell sorgten im Amt unter anderem die neuen Schutzmaßnahmen nach der Überschreitung der sieben Tages Inzidenz von 50 für Diskussionen. Bund und Länder haben neue Regelungen über Pressekonferenzen kommuniziert. Für die Akteure vor Ort ist entscheidend, ab wann welche konkreten Regelungen für Düsseldorf gelten. „Die Formulierungen sind in den Verordnungen oft speziell – unsere Aufgabe ist es, sie zu übersetzen“, sagt Winkels. Zum Beispiel dürfen sich jetzt nur noch fünf Personen aus unterschiedlichen Haushalten im öffentlichen Raum wie auch in der Gastronomie treffen. Zuletzt waren zehn erlaubt. Wenn sich jedoch zwei Familien mit jeweils vier Personen treffen, ist das trotz Überschreiten der Fünf-Personen-Grenze in Ordnung, da sie nur aus zwei Haushalten stammen.

Das Wirtschaftsförderungsamt ist grundsätzlich für die Beratung und Begleitung von Unternehmen am jeweiligen Standort zuständig, für die Schaffung von Rahmenbedingungen und es wirbt für einen Standort. Zusätzlich zu diesem Serviceangebot hat die Stadt Düsseldorf zu Beginn der Pandemie eine Finanzhilfe für kleine Unternehmen aufgelegt, die unmittelbar in ihrer Existenz bedroht waren. Diese war als Überbrückung angesetzt, bis die Hilfen von Bund und Land geflossen sind – es galt etwa zwei Wochen Zeit zu überbrücken. So haben 109 von der Krise besonders stark betroffenen Unternehmen, die eine drohende Insolvenz nachweisen konnten, die städtische Finanzhilfe in Höhe von 5000 Euro erhalten. Unter ihnen: Inhabergeführte Gastronomen und Einzelhändler, aber auch Dienstleistungen, wie Frisöre, die aufgrund des Lockdowns keine Option hatten, Umsätze zu machen.


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Die reguläre Arbeit im Wirtschaftsförderamt hat sich durch Corona stark verändert. Normalerweise sei der Arbeitsalltag mit vielen Veranstaltungen sowie dem Reisen und dem Empfang von Unternehmensdelegationen verbunden. „Unsere Arbeit ist es, Unternehmen auf der ganzen Welt davon zu überzeugen, dass Düsseldorf für sie ein idealer Wirtschaftsstandort ist“, so Winkels. „Dafür müssen wir mit der Welt kommunizieren.“ Da man aktuell nicht mehr physisch zusammentreffen kann, mussten nun viele Formate umorganisiert werden. Das Amt hat ein Studio eingerichtet, um digitale Informations- und Diskussionsformate anzubieten Alle Angebote wurden entweder neu unter den geltenden Hygienevorschriften konzipiert, in digitaler Form oder auch in hybrider Form ausgerichtet. „Das ist schon ein gewaltiger Transformationsprozess – wie wir ihn aktuell in ganz vielen Lebensbereichen erleben“, sagt Winkels. Aber: Das setze auch Innovationspotential frei, durch welches die Zukunft gestaltet werde. Die technische Ausstattung der Mitarbeiter für mobile Arbeit ist im Handumdrehen erfolgt, Videokonferenzen und digitale Abstimmungsprozesse sind Alltag geworden – und werden auch in Zukunft Teil der Arbeitskultur sein. Da ist sich die Leiterin sicher.

Mehr zum Thema: FDP-Fraktionsvize Michael Theurer wirft Bund und Ländern vor, nach dem Quasi-Lockdown im Frühjahr nicht genug getan zu haben, um auf steigende Infektionszahlung vorbereitet zu sein.

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