Immobilienboom und Wohnungsnot „Bei manchen Regelungen frage ich mich, welcher Sinn dahintersteht“

Blick auf Altbauwohnungen in Hamburg. Quelle: dpa

In den beliebten deutschen Städten wird zu wenig gebaut. Jan Röttgers erklärt das auch mit der Menge an Vorschriften. Im Interview spricht er über die Breite von Autostellplätzen und die Grenzen von Bürgerbeteiligung.

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Jan Röttgers ist beim Immobilienverband ZIA zuständig für Planungs- und Baubeschleunigung.

WirtschaftsWoche: Herr Röttgers, Sie beklagen, dass Unternehmen heute 20.000 Bauvorschriften befolgen müssen – 1990 seien es 5.000 gewesen. Das klingt natürlich erst mal nach Überregulierung, die das Bauen behindert. Aber muss der Staat nicht auch seiner Schutzfunktion gerecht werden, gerade bei Themen wie Materialsicherheit und Brandschutz?
Jan Röttgers: Natürlich, und nach dem verheerenden Brandunglück im Flughafen Düsseldorf haben sich die Vorschriften verständlicherweise verschärft. Trotzdem frage ich mich bei manchen Regelungen, welcher Sinn dahintersteht. Verändert man ein Bestandsgebäude minimal, muss man oftmals die heute gültigen höheren Brandschutzauflagen im gesamten Gebäude erfüllen – obwohl es bereits eine Genehmigung in Sachen Brandschutz hat. Da müsste doch eine flexiblere Lösung möglich sein – natürlich ohne die geltenden, zu Recht strengen Auflagen abzuschaffen.

Als Vorbild für den Bürokratieabbau beim Bau gelten oft die Niederlande, wo die Regierung viele Regelungen gestrichen hat. Was soll die Bundesregierung in Deutschland tun, wo die Länder über das Baurecht entscheiden?
Ich bin ein großer Freund unseres Föderalismus. Aber die 16 verschiedenen Landesbauordnungen haben sich in den vergangenen Jahren leider eher voneinander weg als aufeinander zu bewegt. Die Teilnehmer der Bauministerkonferenz werden Ihnen alle sagen, „wir kennen das Problem“. Es tut sich nur leider nichts. Es gibt Unterschiede, wie breit Autostellplätze sein müssen, wie weit der Abstand zu den Nachbargebäuden sein muss oder wie sich die Vorschriften zum Dachausbau verhalten. Und ich könnte noch viele andere Beispiele nennen. Dabei haben wir eine Musterbauordnung. Die sollten die Bundesländer zum Standard erklären – und nur in begründeten Ausnahmefällen davon abweichen. Nicht umgekehrt.

Viele Bauträger beschweren sich auch darüber, Anträge würden immer langsamer bearbeitet. Ist die deutsche Verwaltung wirklich so schlecht?
Wir haben eine sehr engagierte Verwaltung, die Fälle abarbeiten und Themen lösen will. Aber die Kommunen sind da sehr unterschiedlich aufgestellt und in vielen herrscht ein eklatanter Personalmangel. Da reicht ein Großprojekt, um eine Gemeinde vollständig zu lähmen. Wir schlagen daher die Einführung eines Projektmanagers vor, der über alle Ämter hinweg der alleinige Ansprechpartner für Unternehmen wird.

Wie sollen Kommunen gerade die finden? Gemeinden haben es auch deshalb schwerer, Mitarbeiter an sich zu binden, weil Bewerber in Unternehmen schlicht deutlich besser verdienen.
Wir sehen das Problem und unterstützen es daher, wenn Kommunen die Erstellung und Begleitung von Bebauungsplänen an Externe vergeben – und den Vorhabenträgern das in Rechnung stellen. Die Zahlungsbereitschaft im privaten Bereich ist da, denn die Ersparnisse durch die Beschleunigung übersteigen die Kosten um ein Vielfaches dessen, was Unternehmen durch langes Warten verlieren. Wir könnten uns außerdem vorstellen, solche Projektmanagerstellen indirekt mitzufinanzieren – da arbeiten wir noch an einem Modell.

Die Industrie bezahlt die Menschen bei der Gemeinde, die über ihre Projekte entscheidet. Das hätte schon ein Geschmäckle, oder?
Es geht nicht darum, in die Hoheit der Kommune einzugreifen. Sondern darum, dass es nicht alle ihre Ressourcen beansprucht, Dokumente zu erstellen und Verfahren zu koordinieren. Das können auch andere machen.

Wenn in Peking nach nur vier Jahren Bauzeit ein neuer Flughafen eröffnet, ist die Begeisterung in Deutschland groß, wie schnell solche Projekte anderswo gelingen. Sollten wir nicht froh sein, dass hier alle Beteiligten angehört werden und Menschen sich beteiligen dürfen?
Natürlich. Und es ist gut, dass wir heute davon weg sind, in irgendeinen Glaskasten ein Schild zu hängen und anzukündigen, von dann bis dann können Sie in Raum XY die Pläne einsehen – und das war dann die Bürgerbeteiligung. Trotzdem könnte man die Verfahren selbst ohne Abstriche in der Qualität straffen. Indem man die Bürger so früh wie möglich beteiligt – und auch ehrlich zu ihnen ist.

Wie meinen Sie das?
Dass man von Anfang an offen sagt: Es gibt Dinge, über die können wir diskutieren – und andere, da geht das nicht, sonst haben wir kein Projekt mehr. Wenn man dann ein Ergebnis erzielt hat, muss man auch einen Haken dahinter machen. Und ehrlich sagen: Jetzt ist das Projekt schon so weit – jetzt können wir eigentlich nichts mehr ändern.

Was Sie vom Staat erwarten, wissen Sie ja genau. Was können die Unternehmen der Branche denn selbst leisten, damit Bauen schneller wird?
Bei der Digitalisierung sehe ich uns alle in der Pflicht, nicht nur die Verwaltung. Was beispielsweise das Building Information Modeling angeht, stehen wir noch ganz am Anfang. Das ist eine Planungsmethode, die in einer Art digitalem Zwilling alle Daten eines Gebäudes zu einem zentralen Modell zusammenfügt. In vielen Büros wird heute aber das meiste noch auf Papier gemacht.

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