
Ein Wort kann die Hoffnungen eines ganzen Zeitalters in sich tragen. „Integration“ ist so eines. Kein Tag vergeht mehr ohne Fernseh-Debatte oder neue Studie zur Integration der Einwanderer. Es besteht ein weitgehender Konsens: Wenn die Integration scheitert, dann sieht die Zukunft unseres Landes dunkel aus.
Nun sollen wir also nach dem Willen der Bundesregierung bald ein Integrationsgesetz erhalten. Da kann natürlich schwerlich jemand etwas dagegen sagen. Darum eignet sich dieses Vorhaben auch so gut, um trotz allen Streits über die Einwanderung endlich mal wieder Arbeitsfähigkeit zu demonstrieren. Die Frage, welchen Sinn jenseits des Koalitionsfriedens so ein Gesetz haben kann, vergisst man da leicht.
Vergessen scheint auch bei manchem Regierungspolitiker, dass es nun wahrlich schon bisher nicht an integrationspolitischem Eifer mangelte. Und zwar auf allen Ebenen. Schon seit 2007 gibt es einen „nationalen Integrationsplan“, der auf einem „Integrationsgipfel“ beschlossen wurde. Darin legte die Bundesregierung die Leitlinien ihrer Integrationspolitik fest. Neben Floskeln wie: „Erfolgreiche Integrationspolitik weckt und nutzt Potenziale“ und „muss zielgerichtet erfolgen“, forderte sie auch, Integration als „Querschnittsaufgabe auf allen Ebenen“ zu betrachten.
Die wichtigsten Antworten zum neuen Integrationsgesetz
Um Fördern und Fordern. Es sollen 100 000 neue „Arbeitsgelegenheiten“ - darunter vermutlich Ein-Euro-Jobs - aus Bundesmitteln geschaffen werden. Ziel ist eine Heranführung an den Arbeitsmarkt und sinnvolle Betätigung während des Asylverfahrens. Integrationskurse sollen verpflichtend sein. Wer die Mitwirkung daran ablehnt oder abbricht, dem werden Leistungen gekürzt. Bei Straffälligkeit wird das Aufenthaltsrecht widerrufen. Zur Vermeidung sozialer Brennpunkte sollen Schutzberechtigte gleichmäßiger verteilt werden. Wer den zugewiesenen Wohnsitz verlässt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Den Sicherheitsbehörden sollen mehr Befugnisse, Geld und Personal geben. Telekommunikationsanbieter müssen sich auf neue Verpflichtungen einstellen. Die Geheimdienste sollen künftig enger mit wichtigen ausländischen Partnerdiensten zusammenarbeiten. Die Internet-Branche ist aufgefordert, in einer freiwilligen Selbstverpflichtung aktiv gegen Terror-Propaganda in ihren Netzwerken vorzugehen.
Es sieht danach aus. Am Donnerstagmittag bei der großen Pressekonferenz im Kanzleramt soll auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihren Auftritt haben. Sie hat längst ein Gesetz fertig, um den Missbrauch von Werkverträgen und Leih- oder Zeitarbeit einzudämmen. Dann legte aber die CSU den Kompromiss auf Eis. Mit Werkverträgen vergeben Unternehmen etwa IT-Dienstleistungen, Catering- und Reinigungsdienste an andere Firmen.
Ungewiss. Klar ist, dass die Koalition den miesen Absatz von Elektroautos mit verschiedenen Maßnahmen ankurbeln will. So soll das spärliche Netz von Ladestationen ausgebaut werden. Höhe und Ausgestaltung einer möglichen Prämie für E-Auto-Käufer waren zuletzt immer noch offen. Wirtschaftsminister Gabriel hatte einmal 5000 Euro ins Spiel gebracht. Die Kosten würden sich Staat und Industrie teilen. In Koalitionskreisen war auch die Rede von einer Selbstverpflichtung der Autobranche, in heimische Batterietechnologie zu investieren. Schwarz-Rot muss etwas tun, weil die Bundesregierung vom Ziel, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen, bereits jetzt meilenweit entfernt ist.
Zuletzt hieß es in Parteikreisen, es sei keine Einigung in Sicht. Die Konfliktlinie verläuft hier eher zwischen der CSU auf der einen und CDU/SPD auf der anderen Seite. Zum 1. Juli muss die Reform der Erbschaftsteuer in Kraft sein. Das Bundesverfassungsgericht hatte gerügt, dass Erben großer Familienunternehmen mit Steuerbefreiungen zu gut wegkommen. Union und SPD hatten sich schon mehrfach geeinigt, die CSU hatte jedoch immer wieder Korrekturen zugunsten der Firmenerben verlangt. Dies war dann wiederum der SPD zu weitgehend, aber auch in der CDU sowie von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurden die Forderungen der CSU kritisch gesehen. Ohne Neureglung bis Ende Juni droht Firmenerben, dass sie die Privilegien ganz verlieren.
Die Entscheidung der Bundesregierung ist in jedem Fall heikel. Sie wird aber noch in dieser Woche erwartet und möglicherweise bei der Pressekonferenz gleich mit bekanntgegeben. Merkel dürfte auf größtmögliche Geschlossenheit setzen. Die Regierung hat die Wahl zwischen einer Ermächtigung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung Böhmermanns wegen dessen vulgären Gedichts über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem Nein zu einem entsprechenden Wunsch der Türkei. So oder so wird es Kritik hageln: entweder aus Ankara, wo das Gedicht als Beleidigung Erdogans gewertet wird, oder in Deutschland, wo viele eine Beschränkung der Meinungsfreiheit fürchten.
Darauf vertrauen viele Koalitionspolitiker nicht. Dem Vernehmen nach hatten sich die drei Parteichefs bereits in der vorigen Woche im kleinsten Kreis darauf verständigt, nach den Zerwürfnissen vor allem zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik Ruhe walten zu lassen. Aber schon kurze Zeit später brachen CSU und SPD eine Rentendebatte vom Zaun. Alle drei Partner - und besonders die Sozialdemokraten - stehen angesichts sinkender Umfragewerte enorm unter Druck. Sie dürften versuchen, sich frühzeitig in Position zu bringen. Was die Union und SPD noch am ehesten eint: die Sorge vor einem weiteren Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD).
Solch eine Aufforderung lassen Verwaltungsbeamte sich nicht zweimal sagen. Integration ist zum Anlass eines munteren Regierungs-Aktionismus auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene geworden. Da gibt es zunächst Staatsministerin Aydan Özuguz, die „Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration“. Ihre Vorgängerin ließ sich auch von einer „Arbeitsgruppe Medien und Integration“ zuarbeiten. Dazu kommen entsprechende Beauftragte für die Bundesländer. In Baden-Württemberg gibt es sogar ein eigenes „Ministerium für Integration“. Neben diesen staatlichen gibt es noch eine unübersehbare Anzahl privater, oft staatlich geförderter Einrichtungen wie den „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ oder das „Zentrum für Bildungsintegration“.
Man kann also wirklich schon lange nicht mehr sagen, dass die deutsche Politik oder die deutsche Gesellschaft sich nicht viel Mühe geben mit der Integration. Und trotzdem muss man immer wieder feststellen, dass selbst beim besten Willen und mit vereinten Kräften öffentlicher Behörden und privater Arbeitgeber oft nicht das erreicht wird, was man als gelungene Integration ansieht. Selbst wenn man bescheidener Weise nur die Integration in das deutsche Arbeitsleben betrachtet.
Ein Beispiel sind die Erfahrungen der Asklepios-Kliniken in Hamburg. In der Euphorie nach dem arabischen Frühling und mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Instituts begann 2013 ein Projekt, bei dem junge Tunesier in Hamburg zu Pflegern ausgebildet werden sollten. Doch von 50 Tunesiern, die kamen, werden wohl nur rund die Hälfte ihre Ausbildung erfolgreich abschließen, wie es bei Asklepios heißt.
Es gab „gewisse kulturelle Probleme“: Einige Tunesier, die meisten hatten einen Schulabschluss auf Abitur-Niveau, ,,wollten auf Station nicht die kurzärmlige Kleidung tragen, die aber aus Gründen der Hygiene und Patientensicherheit wichtig ist. Andere kamen des Öfteren nicht pünktlich zu Arbeitsschichten oder zum Unterricht, so dass bald klar war, dass sie ihre Prüfungen nicht bestehen würden. Fazit von Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz: „Einige Tunesier haben bei uns sehr erfolgreich die Ausbildung bestanden und sind wertvolle Mitarbeiter. Aber insgesamt war das Projekt nicht so erfolgreich, wie viele gehofft hatten.“ Es wird nicht fortgeführt.
Wäre die Geschichte der tunesischen Pflege-Azubis von Hamburg anders gelaufen, wenn es 2013 schon ein Integrationsgesetz gegeben hätte? Waren die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, des Goethe-Instituts oder des Klinik-Konzerns nicht integrativ genug? Waren sie möglicherweise voreingenommen gegenüber den jungen Tunesiern, diskriminierten sie diese gar?
Möglich, aber doch wenig wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Integration der jungen Tunesier ins deutsche Arbeitsleben an Gründen scheiterte, auf die weder die Arbeitgeber noch die Hamburger Behörden und schon gar nicht die Bundesregierung irgendeinen Einfluss haben. An individuellen Voraussetzungen vielleicht, wie übertriebenen Hoffnungen, die schnell enttäuscht werden. Eher aber an kulturellen Prägungen, die man aus allzu menschlichen Gründen nicht so leicht ablegt. In Tunesien ist es vielleicht kein Kündigungsgrund, eine Stunde zu spät zum Dienst zu erscheinen, in Deutschland ist die Toleranz eines Arbeitgebers in dieser Hinsicht sehr begrenzt, gerade bei Auszubildenden.