Dieser Vorschlag wird bei Union wie SPD einige umgehauen haben: Kanzleramtschef Helge Braun will wegen der Coronakrise für einige Jahre die Schuldenbremse lösen. Dafür solle sogar das Grundgesetz geändert werden, schrieb der CDU-Politiker am Dienstag in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“.
Aus den eigenen Reihen bekam Braun sofort Kontra – schließlich pocht die Union seit Jahren auf die schwarze Null, die Schuldenbremse gilt als eines ihrer liebsten Kinder. Parteichef Armin Laschet zeigte sich verstimmt, ein Regierungssprecher nannte Brauns Beitrag einen „persönlichen Meinungsbeitrag“. Vizekanzler Olaf Scholz dagegen reagierte ungläubig, fast als könne er sein Glück kaum fassen. Dann stellte Braun klar: Er habe die Schuldenbremse gar nicht in Frage stellen wollen, sondern halte sehr viel von ihr. Auf Twitter versah er sie sogar mit einem Herzchen.
Tatsächlich hatte der Kanzleramtsminister in seinem Gastbeitrag geschrieben: „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“ – zumindest nicht, wenn man trotz Coronakrise die Sozialabgaben bis Ende 2023 stabilisieren und auf Steuererhöhungen verzichten wolle.
Mein Vorschlag, wie man den Weg zur „schwarzen Null“ nach der Pandemie gesetzlich vorzeichnet, zielt darauf ab, verbindlicher als fortgesetzt mit der Notklausel zu handeln und nicht die Schuldenregel in Frage zu stellen. Ich ❤️ Schuldenbremse. https://t.co/TgWzhCrRy1
— Helge Braun (@HBraun) January 26, 2021
Derzeit gilt, dass der Bund nur in ganz geringem Maße neue Kredite aufnehmen darf, nämlich maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese Schuldenbremse ist seit 2009 im Grundgesetz verankert und kann nur in Notsituationen vorübergehend aufgehoben werden. Das nutzte der Bundestag 2020, um hohe Kredite zur Bewältigung der Coronakrise zu ermöglichen. Auch 2021 soll sie noch einmal ausgesetzt werden. Danach will Scholz eigentlich wieder im Rahmen bleiben – auch wenn weiter geringe Schulden nötig sein könnten.
Braun dagegen hält nichts davon, jedes Jahr neu über einen Einzelfall zu entscheiden. Es sei völlig unklar, wie lange die Pandemie als Grund dafür durchgehe. Deshalb sei es sinnvoll, das Grundgesetz so zu ändern, dass begrenzt für ein paar Jahre Neuverschuldung möglich sei. Nötig sei aber auch ein klares Datum für eine Rückkehr zur normalen Schuldenregel.
Scholz zeigte sich offen dafür: Auch die Wirtschaftsweisen hätten bereits vorgeschlagen, die Schuldenbremse quasi neu zu starten und dadurch erst einmal schrittweise wieder wirken zu lassen, sagte der Finanzminister. Zwischen den Zeilen blitzte seine Sympathie für den Vorschlag durch, den Braun nun in einem „interessanten Gastbeitrag“ aufgegriffen habe. Doch der Vizekanzler gab zugleich zu bedenken: Wegen der nötigen Grundgesetzänderung müsse dieser Plan parteiübergreifend getragen werden. Und das kann schwierig werden.
Denn in der eigenen Partei sorgte Brauns Vorschlag für Aufregung. Generalsekretär Paul Ziemiak machte sofort klar: „Die CDU bekennt sich klar zur Schuldenbremse.“ In der Fraktionssitzung betonte der neue Parteichef Laschet nach Teilnehmerangaben, die Schuldenbremse stehe nicht zur Debatte. Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung zu ändern, sollten sie dies vorher mit Partei und Fraktion abstimmen. Das könne man nicht mal so eben machen.
Der Chefhaushälter der Fraktion, Eckhardt Rehberg, betonte: „Solide Staatsfinanzen sind für die Unionsfraktion nicht verhandelbar.“ Der Vorschlag von Braun sei lediglich seine „persönliche Meinung“. Hessens Finanzminister Michael Boddenberg mahnte: „Die Schuldenbremse steht für die finanzpolitische Solidität Deutschlands. Wir sind klug beraten, daran nicht zu rütteln.“
Auch CSU-Chef Markus Söder sieht in Brauns Vorschlag ein falsches Signal. „Wir können die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nicht auf Dauer mit höheren Schulden oder hohen Steuern lösen“, sagte der bayerische Ministerpräsident. „Wir sehen ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse sehr skeptisch.“ Ähnlich reagierte FDP-Chef Christian Lindner: „Die Position des Kanzleramtschefs hat den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation“, sagte er dem „Handelsblatt“. Die CDU nähere sich bei der Haushalts- und Finanzpolitik „ganz gezielt der von den Grünen geforderten Schuldenpolitik“ an.
Zustimmung für Brauns Vorschlag dagegen gab es bei Grünen und Linken. Die Schuldenbremse lähme den Staat nicht nur bei der Bewältigung der Coronakrise, sondern auch bei der sozial-ökologischen Transformation und der Bekämpfung von Armut, sagte Linken-Chef Bernd Riexinger. „In Zeiten, wo der deutsche Staat für Kredite nicht einmal Zinsen zahlen muss, sondern im Gegenteil Geld dazu bekommt, ist sie finanzpolitisch vollkommen irrsinnig.“ Allerdings müsse es trotzdem höhere Steuern für Reiche geben. Grünen-Chef Robert Habeck plädierte für Regeln für die Schuldenaufnahme. „Statt Kreditaufnahme einfach generell zu erlauben, sollten wir sie auf Nettoinvestitionen beschränken, die das öffentliche Vermögen und unseren Wohlstand erhöhen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützte Braun. Die Schuldenbremse dürfe aber nicht nur für einige Jahre ausgesetzt werden. „Sie darf künftig nie wieder öffentliche Investitionen ausbremsen“, sagte Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Er wertete Brauns Beitrag zudem nicht nur als persönliche Meinung: „Endlich erkennt auch das Kanzleramt die schädliche Wirkung der Schuldenbremse“, betonte er.
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