Knauß kontert
Der fürsorgliche Staat. Quelle: Getty Images

Die GroKo und Mutter Staat

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Was eint die neue große Koalition? Der beharrliche Wille, den fürsorglichen Staat auf Kosten der mündigen Bürger zu mästen. Das ist fatal gerade für ein Einwanderungsland.

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Vielleicht ist es vermessen, von dieser vermutlich bevorstehenden (nicht mehr ganz so) großen Koalition Großes zu erwarten: So etwas wie ein Reformprogramm aus einem Guss oder so etwas wie eine Idee vom künftigen Deutschland. Also Politik, die getragen ist von einem Gestaltungswillen, wie ihn die Regierungen zu Zeiten Adenauers, Erhards und Brandts noch umsetzten und zu Zeiten Kohls immerhin noch behaupteten („geistig-moralische Wende“). Für so etwas stehen Merkel, Schulz, Seehofer und Co. offensichtlich nicht zur Verfügung.

Die zunehmende Hysterie der von Untergangsängsten geplagten einstigen Volksparteien (die CDU gibt sich selbst dank ihres Geschlossenheitsdogmas noch eine etwas längere Überlebensperspektive als die waidwunde SPD) ist unübersehbar geworden. Sie äußert sich in zunehmend verzweifelten Versuchen, die kakophonischen Deals der Koalitionsverhandlungen ihrer schwindenden Wählerschaft als glorreiche Siege zu verkaufen.

Hinter der wettbewerblichen Fassade der Marathonverhandlungen liegt jedoch ein großes Einverständnis zwischen den Regierenden in Union und SPD: eine geteilte Abneigung gegen Kurswechsel, gegen grundsätzliche Fragen nach der Ordnung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, also gegen alles, was eigentlich die Bezeichnung „Politik“ verdient. Diejenigen, die da verhandeln und weiter koalieren werden, eint das gemeinsame Festhalten an der Expansion der Besitzstände von „Vater Staat“. Die Großkoalitionäre haben sich, so war schon aus den Sondierungen zu hören, vor allem zunächst über eines verständigt: den Umfang der zusätzlichen Finanzmittel, über deren Verteilung die künftige Regierung verfügen werde.

Eigentlich sollte man passender – Gender-TheoretikerInnen mögen mir verzeihen – von „Mutter Staat“ sprechen. Denn der Staat, den die GroKo mit Steuergeld mästet, ist kein patriarchaler, kein starker und vor Feinden schützender, kein strenger und strafender Staat. Seine Attribute sind diejenigen, die man in den Jahrhunderten vor der Gender-Theorie mit Müttern verband: fürsorgend, tröstend, nährend, um nicht zu sagen: säugend.

Für die „Kinder“ (also uns alle) ist dabei eine Rolle vorgesehen, die der des jungen Parzival entspricht: Seine überängstliche Mutter Herzeloyde versucht, ihn, den „Lieben, Guten, Schönen“ vor jeglicher Unbill des Lebens zu bewahren. Sie hätschelt ihn und hält ihn im Wald von Soltane fern von allem, was ihn dazu bringen könnte, sein vorbestimmtes Leben als Sinnsuchender anzunehmen. Wenn nur ein anderer Ritter in seine Nähe zu kommen droht, versteckt sie ihn, damit er nicht auf die gefährliche Idee komme, auszubüchsen und selbst ein Ritter zu werden.

von Christian Ramthun, Marc Etzold, Max Haerder, Christian Schlesiger, Cordula Tutt

Ob Mutter oder Vater, gute Eltern zeichnen sich bekanntlich nicht nur durch Liebe zu ihren Kindern aus, sondern auch dadurch, dass sie ihre Kinder nicht in Abhängigkeit halten und für sich selbst vereinnahmen. Gute Eltern wollen, dass ihre Kinder erwachsen werden. Erwachsen heißt frei, selbstständig, selbstverantwortlich sein. Oder, um aus dem Bild in die historisch-politische Wirklichkeit zu wechseln: vom schutzbefohlenen Untertan zum freien Bürger zu werden.

Vielleicht ist hier auch einer der wichtigsten Gründe dafür zu finden, dass in den künftig regierenden Parteien, aber vor allem in der SPD, die Entschlossenheit zur Eindämmung der Armutsmigration nach Deutschland bescheiden bis negativ ist. Es wandern schließlich hundertausendfach neue Mündel ein. Empfänger mütterlich-staatlicher Zuwendung. Die kümmervollen Institutionen einer dem kalten Markt durch Staats- also Steuergeld enthobenen Sozialindustrie freuen sich über sie, wie Herzeloyde sich freuen würde, wenn ihr „lieber, guter, schöner“ Parzival zurückkäme. Sie heißen ihre neuen abgekämpften Schützlinge also in der warmen, weltabgewandten Bleibe im Wald von Soltane, alias Wohlfahrtsstaat Deutschland, willkommen.

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