Schon der Name lässt ahnen, wie kompliziert die Lage ist: Nationaler Normenkontrollrat (NKR), so heißt das Gremium, das den Bürokratieabbau in Deutschland überwachen soll – und selten gute Nachrichten zu verkünden hat: zu analog, zu langsam, zu teuer, so lautet seit Jahren die Bilanz des Rates. Und ausgerechnet in Zeiten der Zeitwende wird die Lage noch schlimmer.
Zwischen Juli 2021 und Juni 2022 ist der so genannte Erfüllungsaufwand – das sind die Kosten und der Zeitaufwand, den neue Gesetze für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung verursachen – erneut gestiegen: um rund 6,7 Milliarden Euro auf insgesamt rund 17,4 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als in den vergangenen Jahren, erklärte der Rat unter dem Vorsitz von Lutz Goebel, als er am Dienstag sein Jahresgutachten veröffentlichte. Und das liegt vor allem an einem Treiber: dem Mindestlohn.
100 Millionen Euro Kosten allein für Dokumentationspflichten
Von den 6,7 Milliarden Euro Zusatzkosten gehen demnach allein 5,6 Milliarden Euro auf die Erhöhung des Mindestlohns zurück, der im Oktober per Gesetz auf 12 Euro pro Stunde angehoben worden ist. Allein die Dokumentationspflichten belasten die Arbeitgeber mit 100 Millionen Euro, erklärt der NKR. Hinzu kommen die Kosten für die Lohndifferenz.
Die Bundesregierung hat diese Kosten allerdings nicht als Erfüllungsaufwand deklariert, sondern lediglich als „Weitere Kosten“ ausgewiesen – vom NKR gab es dafür eine Ermahnung ans federführend zuständige Arbeits- und Sozialministerium unter Hubertus Heil (SPD).
Größte Belastung sei 2013
Neben dem Mindestlohn wurde die Wirtschaft aber auch durch weitere Regulierungen und Vorhaben belastet, erklärte der Rat. Mit rund 720 Millionen Euro demnach so stark wie seit 2013/2014 nicht mehr.
Der Anstieg jenseits des Mindestlohns ist nach Angaben des Gremiums dabei vor allem durch zwei Maßnahmen der Ampel-Koalition entstanden: So werden die durchschnittlichen Kosten aus den Füllstandsvorgaben für Gasspeicher auf rund 340 Millionen Euro pro Jahr geschätzt, die Anhebung auf den Neubaustandard 55 habe einen zusätzlichen Erfüllungsaufwand von rund 250 Millionen Euro pro Jahr verursacht.
Aber es gibt auch gute Nachrichten: Während unter der großen Koalition bis zum Ende der letzten Legislaturperiode kein neues Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt worden sei, gebe es nun kleine Fortschritte. So würden durch das Gesetz, wonach Aktiengesellschaften ihre Hauptversammlungen nicht nur ausnahmsweise während der Coronapandemie, sondern dauerhaft virtuell veranstalten dürfen, rund 50 Millionen Euro Erfüllungskosten gespart, heißt es vom NKR.
„Ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif“
Doch das reicht noch nicht, gerade in Krisenzeiten müsse die Wirtschaft umso mehr entlastet werden, fordert NKR-Chef Goebel, der selbst Geschäftsführender Gesellschafter des Maschinen- und Anlagebauers Henkelhausen ist. „Bürokratieabbau ist ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif“, sagt er: „Wann, wenn nicht jetzt, ist es an der Zeit, Regularien und Vollzugsprozesse in Deutschland einfacher, adressatenorientierter und wirksamer zu gestalten?“.
Schon die Coronahilfen waren wegen fehlender IT-Strukturen nur schleppend angelaufen, jetzt würden die Möglichkeiten fehlen, gezielte Entlastungen bei den Energiekosten zu gewähren. Während Planungs- und Genehmigungsverfahren zum Stemmen der Energiewende beschleunigt würden, sei Deutschland flächendeckend mit der komplizierten Neuberechnung der Grundsteuer beschäftigt.
„Eine bürokratische Belastung, die absehbar war und die vor allem vermeidbar gewesen wäre“, mahnt Goebel. „So reiht sich eine bürokratische Beschwernis an die nächste und Deutschland bangt kollektiv um seine Handlungsfähigkeit und die Zukunft seiner Wirtschaft“, kritisiert er.
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Digitalcheck für jedes Gesetz geplant
Doch unter der Ampel-Koalition gibt es in Sachen Verwaltungsmodernisierung keinen großen Sprung – im Gegenteil. Die 2018 noch von der Vorgängerregierung gesetzte gesetzliche Frist, bis Ende des Jahres alle 575 Verwaltungsdienstleistungen online anzubieten, kann nicht gehalten werden, bisher sind erst 33 Angebote digital verfügbar und es ist unklar, wann die Ampel-Regierung die Vorgaben erfüllen kann.
Mit einem Digitalcheck will der Normenkontrollrat nun selbst für Beschleunigung sorgen, ab Januar 2023 müssen alle Bundeministerien ihre Gesetzentwürfe digitaltauglich gestalten. Der NKR will dann prüfen, ob und inwiefern Vollzugs- und Digitalisierungsfragen in der Gesetzgebung von vornherein mitgedacht wurden.
„Unser Ziel muss es sein, dass Unterschriften und persönliche Gänge zum Amt vollständig gestrichen und Papiernachweise durch Datenaustausche ersetzt werden“, erklärt Goebel – allerdings startet der Check zunächst nur in einer Betaversion, wann ein flächendeckender Check möglich sein wird, ist unklar.
Einem Check will sich auch der Normenkontrollrat selbst unterziehen – das Gremium will sich einen neuen Namen geben, der nicht mehr so klingt, wie die Bürokratie wirkt: abschreckend und analog.
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