Notfallplan Gas Die Ampel muss aufhören, die Deutschen zu verunsichern

Es wirkt, als würde die Ampel mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Foto) Putin das Geschäft der Angst abnehmen wollen. Quelle: Imago

Die Regierung hat die Frühwarnstufe für russische Gas-Lieferstopps ausgerufen. Der Schritt fühlt sich merkwürdig bedrohlich an – wegen einer Erzählung, welche die Ampel selbst zu verbreiten half. Ein Kommentar.

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Das Chaos auf Twitter lässt nur wenige Minuten auf sich warten. „Bitte jetzt nicht alle losrennen und Feuerzeuggas bei Tedi und Lidl hamstern“, schreibt ein User. „Die deutsche Wirtschaft springt von der Klippe“, ein anderer. Einige wütende User streiten über den Ausstieg vom Atomausstieg, andere suchen Schuldige: Angela Merkel herself, die SPD, wir alle als Konsumenten natürlich. Es ist der typische Social-Media-Wahnsinn, diesmal unter den Hashtags #Gaslieferung und #Blackout. Er folgt einer Ankündigung von Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Frühwarnstufe im Notfallplan für die Gasversorgung auszurufen.

Das mag der richtige Schritt angesichts russischer Drohungen eines Export-Stopps gewesen sein. Die wichtigsten Spieler aus Industrie und Verwaltung mögen an Bord und die Folgen erst einmal überschaubar sein. Gegen ein neues Krisenteam zur Beobachtung der Lage kann ja niemand etwas haben. Und ja, Twitter ist ein wirklich aufgeregter Ort. Trotzdem: In der Politik geht es immer auch um Psychologie, Erwartungsmanagement und Signalwirkungen. Und da scheint in den vergangenen Wochen einiges schiefgelaufen zu sein. Die neue Frühwarnstufe verunsichert viele Menschen unverhältnismäßig stark, mich eingeschlossen, obwohl sie es nicht müsste.

Denn wer kann es den Leuten verübeln? Seit Wochen heißt es in jedem öffentlichen Interview, auch in jedem politischen Hintergrundgespräch in Berlin: Das Zudrehen des Gas- und Öl-Hahns als Sanktionsmittel gegen Russland berge zu hohe Risiken. Für Lieferketten, für die Industrie, für Bürgerinnen und Bürger. Das Mantra lautete doch: „Es geht um viel mehr als nur das Frieren für den Frieden!“. So stetig wiederholten Regierende diese Erzählung, dass es manchmal so wirkte, als würden sie Wladimir Putin das Geschäft der Angst abnehmen wollen: Schockschwere Not, bloß nicht abdrehen!

Die Maßnahmen für Bürgerinnen und Bürger fokussierten sich entsprechend auf Erleichterungen. Auf dass wir bloß nichts merken von der „Zeitenwende“! Entlastungen an der Tankstelle, Erleichterungen beim Heizen, ein bisschen Geld aufs Konto. Auch diese Maßnahmen mögen bis zu einem bestimmten Grad Sinn ergeben, weder aber nehmen sie Sorgen, noch sind sie politisch wie ökologisch nachhaltig. Abgesehen vielleicht von der Stärkung des ÖPNV.

Letzteres ist doch ein gutes Beispiel dafür, dass man im Hintergrund durchaus an langfristigen Ideen arbeitet. Warum also bekommen Bürgerinnen und Bürger stattdessen eine stetige Untergangserzählung präsentiert? Es herrscht doch längst seltene Einigkeit: Je weniger russisches Gas, desto besser. Diese gilt es mit mutiger und fordernder Politik abzuholen und dabei natürlich auch Wahrheiten über die Lage auszusprechen. Dann würde sich auch eine Frühwarnstufe weniger bedrohlich anfühlen.

Ideen brauchen in so einem Kontext eine größere Bühne als ängstliches Geraune: Lassen sich etwa bessere Anreize für und in Unternehmen schaffen, um Energie zu sparen? Wäre ein Tempolimit auch einmal temporär und testweise möglich? (Bei den Sprit-Steuern geht es ja auch). Himmel, sogar eine Webseite mit individualisierten Ratschlägen zum Verringern des eigenen Energiebedarfs wäre doch einmal eine Idee.

Sowas mag albern und einfach klingeln, aber immerhin könnten Bürgerinnen und Bürgern sich aktiv einbringen. Sie zeigen gerade zu Tausenden, dass sie das beim Thema Flucht wahnsinnig gut können. Zumindest würde sich einmal eine andere Erzählung etablieren als nur: Vorsicht, Katastrophe! Von der haben die Menschen (jenseits von Wladimir Putin und Twitter) nach drei Jahren Dauerkrise nun wirklich genug. Ich hätte da sogar schon eine Überschrift parat: Mehr Fortschritt wagen!

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