Olaf Scholz Der Profi und seine Probleme

Finanzminister, Vizekanzler, Kanzlerkandidat. Olaf Scholz (SPD). Quelle: dpa

Für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat der heiße Wahlkampf begonnen. Sagt die SPD. Aber was, wenn Scholz zwar ein tauglicher Kanzler wäre, aber ein kraftloser Kandidat mit einer untauglichen Partei im Nacken?

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Ende Februar lud Olaf Scholz zu einer Onlinediskussion. Für das neue Format hatten sich die Wahlkämpfer im Willy-Brandt-Haus den Namen „Zukunftsgespräche“ ausgedacht. Der SPD-Kanzlerkandidat tourt seitdem regelmäßig virtuell durch das Land, das er gerne ab Herbst regieren möchte, stellt sich Bürgerinnen und Bürgern, hört sich Sorgen an, wirbt für sich und für seine Vorstellung von der Zukunft.

An jenem 24. Februar gastierte Scholz zur digitalen Premiere in Potsdam, seinem Heimatwahlkreis, in dem er gegen eine gewisse Annalena Baerbock antritt. Die erste Frage, die ihm gestellt wurde, kam von Guido Baar, der in der brandenburgischen Landeshauptstadt vier Schuhgeschäfte betreibt. Warum es für Unternehmer wir ihn in Rahmen der Coronahilfen keine Art von Unternehmerlohn gäbe, um den privaten Lebensunterhalt zu finanzieren, wollte Baar wissen. Manche müssten sogar schon ihre Altersvorsorge opfern.

Scholz hätte jetzt mehrere Optionen gehabt. Etwa die, dem Firmeninhaber zuerst einmal für seinen Durchhaltewillen und seinen Einsatz zu danken. Er hätte auch um Verständnis für den Lockdown werben, einmal stellvertretend Wertschätzung für die vielen kleinen Einzelhändler regnen lassen können, die um ihre Existenz bangen. Was aber tat der Vizekanzler und Finanzminister? Setzte zu einem ernsten Referat an.

Er erklärte den Umfang der Coronahilfen. Er deutete an, dass es zunächst umfangreiche Programmierungsarbeiten geben musste. Er offenbarte sein „mulmiges Gefühl“, dass jetzt „ein Computer das Geld auszahlt, milliardenweise aus dem Bundeshaushalt“, um sofort hinterherzuschieben, es sei aber notwendig. Und dann skizzierte Scholz noch wortreich den neuen unbürokratischen Zugang zu Hartz IV. Wobei er den für Sozialdemokraten mittlerweile stigmatisierenden Begriff Hartz IV geschickt vermied.

Vielleicht war Scholz zufrieden mit seiner Antwort, man weiß es nicht. Ihr fehlte allerdings jede Spur von Wärme oder persönlicher Zugewandtheit und letztlich auch von Leidenschaft. Scholz ist ein Wahlkämpfer, der auf dem Marktplatz ziemlich dornige Rosen verteilt. Schon damals, vor knapp zweieinhalb Monaten, wurde offensichtlich: Seinen nicht gerade kleinen Kanzlerambitionen könnte eine hartnäckige Kanzlerkandidatenuntauglichkeit in die Quere kommen.

Man fragt sich als Beobachter jedenfalls, was noch passieren müsste, damit seine Kampagne jene Flughöhe erreicht, die Olaf Scholz selbst sicher für verdient erachtet. Wenn nicht einmal eine heftige Korruptionsaffäre plus anschließendem Extrem-Machtkampf in den Reihen der Union reichen, um den eigenen Umfragewerten Luft unter die Flügel zu pusten, was dann? Wann wird das überbordende Ich-kann-Kanzler-Selbstbewusstsein angesichts der Umfragen endgültig wie hohle Hybris klingen?



Gemach, rufen sie da in der SPD, besonders laut im unerschütterlichen, oder zumindest sich unerschütterlich gebenden Scholz-Lager. Sie rufen es nur mittlerweile schon ziemlich lange. Die beruhigende Beschwörung der Genossen lautete dabei bisher stets so: Wenn die Deutschen erst einmal merkten, dass die Zeit mit Angela Merkel zu Ende gehe, würden sie sich nach einem neuen Stabilitätsanker umsehen; nach jemanden, der sie verlässlich, vernünftig, vertraut durch eine komplizierte Welt navigiere. Und dass dieser jemand dann weder Armin noch Annalena heißen könne.

Bei aller gebotenen Vorsicht knapp fünf Monate vor der Wahl: Bisher deutet gar nichts darauf hin, dass aus dieser schönen Geschichte jemals Wirklichkeit wird. Seit Beginn der Kandidatur im August 2020 hat sich die SPD nie nachhaltig der 20-Prozent-Marke genähert. Unter einigen Genossen breitet sich längst Panik aus. Was, wenn es die begehrten Merkel-Stimmen eben doch nur mit Merkel gab? Oder die Leute den Merkelismus ein für alle Mal haben?

Und überhaupt: wir reden immer noch von der SPD. Von der Partei, in der die No-Bullshit-Aura des Kandidaten jederzeit von einer Saskia-Esken-Irrlichterei überblendet werden kann – oder Kevin Kühnert verlässlich den Juso-Bürgerschreck gibt, nur das der mittlerweile immerhin Parteivize ist. Anders gesagt: vom bärbeißigen Krabbenkutterkapitän Olaf ließen sich die Wählerinnen und Wähler vielleicht durch Windstärke 11 steuern (seine persönlichen Beliebtheitswerte stimmen schließlich), aber was ist mit dieser fragwürdigen Mannschaft an Deck?

Apropos Krabbenkutter: Als Hamburger Bürgermeister hat Scholz durchaus bewiesen, dass er Politik nicht nur fürs spendable Genossenherz, sondern auch für den kühlen Kaufmannskopf zu machen versteht. In der Hansestadt setzte er eine wirksame Bau- und Mietpolitik um, ganz ohne Mietendeckeldesaster. Während Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen davon redete, kein Kind zurücklassen zu wollen, erfand er in Hamburg die Jugendberufsagenturen, die dieses Versprechen tatsächlich unterfütterten. Er holte damals sogar einen Handelskammerpräses in den Senat – und später einen Ex-Goldman-Sachs-Chef ins Finanzministerium.

Ministerpräsident, Bundesarbeits- und -finanzminister, Vizekanzler: Kaum jemand in der Hauptstadt würde dem 62-Jährigen die Erfahrung, die Durchsetzungsfähigkeit und den Intellekt absprechen, die Bundesrepublik auch zu führen. Doch der Kandidat agiert nun einmal vor dem abfärbenden Hintergrund einer Sozialdemokratie, die nicht mehr weiß, was sie will. Und wenn doch, dann ist es häufig eher das Programm einer Rand-, und keiner Volkspartei.

Die SPD von heute dient sich zum Beispiel Mietern als Beschützerin an, hat aber jenen nichts mehr zu geben, die gerne Eigentümer werden würden. Die SPD redet von Aufstieg, aber die Aufgestiegenen fühlen sich nicht mehr von ihr umarmt. Die SPD lobt verantwortungsvolle Unternehmer und liefert zugleich ihr eigenes Dementi mit, indem sie die Vermögensteuer aus der Versenkung holt. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Von der „Neuen Mitte“ ist irgendwie Old Labour übriggeblieben.

Es gibt noch ein paar wenige, zu wenige prominente Köpfe in der SPD – Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz etwa oder Stephan Weil in Niedersachsen – die glaubhaft den Anspruch vertreten, Sozialdemokratie und ökonomische Vernunft müssten kein Widerspruch sein. Ein Mann wie Harald Christ, Mitgründer des SPD-Wirtschaftsforums und einst Mittelstandsbeauftragter (berufen von Andrea Nahles!), ist aus Protest längst zur FDP gewechselt. Persönlichkeiten wie Sigmar Gabriel wurden an den Rand gedrängt.

Esprit und Optimismus, Mut und auch eine Spur Lässigkeit fühlen sich in der SPD von heute nicht mehr zuhause (sorry, Lars Klingbeil!). Aufregende Ideen und spannende Köpfe sucht man vergebens.

Dabei hätte die SPD, hätte Scholz den Zeitgeist durchaus auf seiner Seite. Wer Klimaschutz für das drängendste Problem unserer Zeit hält, wird eine andere Partei wählen. Wen allerdings auch umtreibt, welche Offenbarungseide die Pandemie der Daseinsvorsorge oder der staatlichen Leistungsfähigkeit abverlangt hat, wer unter guten Schulen nicht Privatschulen versteht oder dem klatschenden Respekt auch Taten folgen lassen möchte, wäre bei ihm gar nicht so schlecht aufgehoben.

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Respekt ist eines der wichtigsten Leitmotive seiner Kampagne, es wird auch in seiner Parteitagsrede am morgigen Sonntag eine große Rolle spielen. Schon zu Zeiten Donald Trumps hat der Vielleser Scholz so ziemlich jedem, der es hören wollte, das Buch „Hillbilly Elegy“ des amerikanischen Autors J.D. Vance ans Herz gelegt (neben dem Soziologen der Stunde, Andreas Reckwitz). Weil man danach so gut verstünde, wie jemand wie Trump überhaupt an die Macht kommen könne – wenn nämlich das, was wir Gesellschaft und Zusammenhalt nennen, an Kraft verliert.

Eine Politik für „die, die alles richtig machen“, nennt Scholz seine Schlussfolgerung in den besseren, griffigeren Wahlkampfmomenten. Und im Alles-richtig-machen ist er schließlich der Meister. Oder nicht?

Mehr zum Thema: Laschet, Baerbock, Scholz – das Personaltableau für die Bundestagswahl im Herbst steht. Das Rennen ist völlig offen.

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