Olaf Scholz in Indien Die Umgarnung der Welt

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt an einer Führung durch das Mausoleum des Humayun teil. Scholz hält sich zu einem zweitägigen Besuch in Indien auf. Quelle: dpa

Mit ausgestreckter Hand und viel Verständnis will der Bundeskanzler die aufstrebenden Nationen der Welt für den Westen einnehmen. Kann das gelingen? Eindrücke von der Kanzlerreise nach Indien.

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Die Kühle des Samstagabends senkt sich über Neu-Delhi, der drückende Dunst lässt langsam ab von Olaf Scholz. Aber entkommen kann er nicht. Nicht diesem Thema. Der Kanzler sitzt auf einen Stuhl, das Jackett hat er abgelegt, um ihn herum sitzen junge Inderinnen und Inder in einem Café an einem Teich. Die „Sundar Nursery“, eine Gartenanlage, genießt Weltkulturerbe-Status.

Bisher geht es bei diesem lockeren Townhall-Format um Fachkräfte, Energiewende und gesellschaftlichen Austausch. Alles sehr höflich und auch ein bisschen harmlos. Doch dann wird der Kanzler nach Deutschlands Rolle in der Welt und nach seiner Haltung gefragt. Und sofort ist die ganze Schwere und Ernsthaftigkeit dieser Tage wieder da, trotz der vogelzwitschernden Idylle, in der er da gerade sitzt.

Deutsche Regierungschefs formulieren keine außenpolitische Doktrin. Doch wenn es so etwas wie eine Scholz-Doktrin gäbe, würde sie folgendermaßen klingen: Die Welt von morgen wird nicht in zwei Blöcke verfallen, sondern viele Kraft- und Machtzentren besitzen. Sie wird geprägt sein von zahlreichen selbst- und sendungsbewussten Nationen, die ihren Platz am Tisch einfordern. Die Bundesrepublik, davon ist der Kanzler überzeugt, sollte dieser Entwicklung Rechnung tragen, in dem sie jetzt – aus einer Position der politischen und wirtschaftlichen Stärke – gute Beziehungen aufbaut. Jetzt, wo es noch geht.

Die Ampelregierung barmt um die wirtschaftliche und politische Gunst lange vernachlässigter Staaten – auch mit bundespräsidialer Hilfe.
von Dieter Schnaas

Etwas salopp formuliert überträgt Scholz einen Fußballsatz von Rudi Völler in die Politik: Es gibt keine Kleinen mehr. Wenn doch, gehören bald eher Deutschland und selbst Europa zu den Kleinen, die um ihren Einfluss kämpfen müssen – und Ländern wie Indien gehört dann die Zukunft. Genau deshalb ist er hier. Genau deshalb war er im ersten Amtsjahr bereits in Südafrika, Brasilien, Senegal, in Singapur und Vietnam.

Die Geopolitik ist zurück auf der politischen Bildfläche. Auch das bedeutet Zeitenwende: Dass sich der Westen Ländern zuwendet, die er lange eher ignoriert hat. Scholz will das ändern. Seine Antwort auf die Frage nach Deutschlands Rolle staucht diese Vorstellung in ein fünfminütiges Kurzreferat. Scholz will eine Globalisierung, die das „global“ auch ernst nimmt.

Aus diesem Grund presst Scholz samt zwölfköpfiger Wirtschaftsdelegation möglichst viel Programm in einen knapp 36-stündigen Aufenthalt, der ihn nicht nur in die Hauptstadt Neu-Delhi, sondern auch in die Tech-Hochburg Bangalore führt. Beim Kanzler und seinen Beratern ist deshalb auch sehr, wirklich sehr viel Verständnis für Premier Narendra Modi und dessen Kurs der Eigenständigkeit zu hören, der sich beispielweise den westlichen Sanktionen nicht anschließt. Modis Indien ist es auch, dass weiter Rüstungsgüter und Öl aus Russland bezieht.

Indien gehört eben genau zu den neuen Spielern auf der Weltbühne, die gar nicht daran denken, sich in ein Lager zu schlagen. Sie fahren mit ihrer Geopolitik á la carte viel zu gut.

Der Kanzler besucht mit Indien einen selbstbewussten Partner und attraktiven Standort, der geopolitisch aber nicht vereinnahmt werden will: über russische Abhängigkeit und „gewaltige Potenziale“.
von Max Haerder

Das 1,4-Milliardenland sei „eindeutig ein geopolitischer Gewinner – und es will als eigenständiger Pol in einer multipolaren Welt wahrgenommen werden“, sagt Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Modi – in diesem Jahr Präsident der G20 – werde den Kurs der außenpolitischen Unabhängigkeit und der ausgewählten Kooperation nicht verlassen. „Eine enge Waffenbrüderschaft mit Moskau und Handelsdeals mit Brüssel müssen sich aus Sicht Neu-Delhis überhaupt nicht ausschließen“, sagt Wagner.

Ein guter Gastgeber ist der indische Premier dann aber auch. „Guten Tag“ sagt er auf Deutsch, als er mit Scholz am Samstagmittag vor die Presse tritt. Drei Mal habe man sich nun bereits getroffen, sagt er, „und jedes Mal, wenn ich mich mit dem Bundeskanzler getroffen habe, waren es seine Weitsicht und seine Vision, die einen neuen Impuls, einen neuen Push für die Beziehungen zwischen unseren Ländern ausgelöst haben“. Der deutsche Kanzler steht daneben und genießt.

Scholz revanchiert sich bei seinem „Freund“ Modi in mehrfacher Hinsicht. Mit Lob für den Fortschritt beispielsweise. Wie zu hören ist, sieht Scholz auch die Bemühungen von Thyssenkrupp sehr wohlwollend, sechs U-Boote an Indien verkaufen zu können. Das Freihandelsabkommen der EU mit dem Subkontinent wolle er jetzt „mit mehr Druck entwickeln“, verspricht er. „Wenn der Wille da ist, dann muss auch ein Weg da sein. Darum geht es jetzt.“ Vor einigen Jahren waren die Gespräche zwischen Brüssel und Neu-Delhi gescheitert. Nicht zuletzt auch an Forderungen der Inder.

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Dass Scholz weiterhin auf viel Selbstbewusstsein stoßen würde, wäre ihm spätestens auf der Fahrt vom Flughafen Neu-Delhis ins Regierungsviertel klar geworden. Auf den G20-Werbeplakaten, die die Protokollstrecke säumen, nennen die Inder sich selbst „Mother of Democracy“. Kleiner machen sie es nicht. Müssen sie auch nicht.

Lesen sie auch: Wie Olaf Scholz Indien für den Westen gewinnen will

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