Am Ende war es knapp, doch die Parteitagsregie hat den Unterschied gemacht. Gleich am Freitagabend debattierten die rund 800 Delegierten zu Beginn des Grünen-Bundesparteitags in Bonn übers begrenzte Weiterlaufen der letzten Atomkraftwerke in Deutschland. Sie stimmten für einen vorübergehenden Reservebetrieb der beiden süddeutschen Kernmeiler.
Die Beschaffung neuer Brennstäbe, die für eine Laufzeit übers kommende Frühjahr hinaus nötig wären, lehnen die Grünen aber weiter ab. Die Delegierten wussten, dass die Rechtslage ihnen zuarbeitet. Ohne Kompromiss mit der FDP in der Ampelkoalition ist schon zum Jahreswechsel Schluss mit der Atomkraft in Deutschland. So bestimmt es der Atomkompromiss von vor Jahren, auch wenn damals eine Lage wie heute kaum als irgendwie wahrscheinlich angesehen worden wäre.
Das wirklich strittige Thema, den Klimaschutz, schob der Bundesvorstand ganz nach hinten ans Ende des Parteitages. Am Sonntagmittag waren dann alle müde und wollten ihren Zug nach Hause erreichen. Ganz banal.
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Dennoch musste schriftlich abgestimmt werden, es war knapp. 315 Delegierte stimmten gegen den Antrag der Grünen Jugend, die Vereinbarung zum Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen 2030 zu stoppen. 294 Delegierte stimmten dafür. Die Kröten waren groß und schwer zu schlucken.
Die Grünen in der Ampelregierung standen in der lauten Kritik, weil sie das verstärkte Verfeuern von Kohle, das weitere Abbaggern im rheinischen Kohlerevier, zusätzlich schwimmende Ölkraftwerke, neue Flüssiggasterminals und das Hofieren von Autokraten für fossile Energielieferungen mittragen. Weil sie diese ruppige Realpolitik zum Beispiel in Person von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck maßgeblich entschieden haben.
Mit diesen Schritten in der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine rückt tatsächlich in die Ferne, dass Deutschland seinen zugesagten Beitrag zum Einhalten der Weltklimaziele schafft. Es wird kaum reichen, weil Deutschland anteilig mehr CO2 in die Luft pustet als für maximal 1,5 Grad Celsius Erderwärmung seit der Industrialisierung nötig wäre.
Die Grünen sind zwar noch widerborstig, noch eine linke Partei mit starkem Willen, die Welt nach ihren Zielen zu verändern. Aber sie sind längst staatstragend, üben sich in Realpolitik. Und am Ende können deutlich mehr Menschen als die Parteileute der Sonnenblumentruppe erleichtert sein, wie das in Bonn ausgegangen ist. Energiesicherheit geht erst mal für gewisse Zeit vor Klimaschutz.
Nun also ist der Konflikt in der Partei befriedet, in der Koalition freilich noch nicht. Hier fordert stellvertretend für die FDP deren Parteichef und Finanzminister Christian Lindner, nicht nur zwei, sondern die drei verbliebenen Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen und zudem neue Brennstäbe zu kaufen, damit sie bis ins Jahr 2024 Sicherheit verschaffen und auch niedrigere Strompreise.
Doch die Furcht der Grünen ist zu groß, dass dabei dann nicht nur die als unsicher bezeichnete Technologie weiterläuft, sondern der Ausstieg ganz in Frage gestellt würde. Das ist sicher nicht ganz aus der Luft gegriffen, auch wenn sich (vor der Krise) über Jahre eine solide Mehrheit der Deutschen gegen die weitere Nutzung der Kernkraft positioniert hatte.
Die Ökopartei hat gezeigt, dass sie Demokratie und Auseinandersetzung pflegt, und sie hat Zugeständnisse gemacht. Allerdings fehlt noch ein ganz großer Batzen, damit das alles im Industrieland Deutschland, in der Rezession und mit dem Abschied vom fossilen Zeitalter klappt: Die Grünen und alle Beteiligten in Bundes- und Landesregierungen müssen viel mehr liefern, damit die erneuerbaren Energien in großem Umfang auf die Strecke kommen.
Hier passiert seit Jahren zu wenig, auch wenn die Technologien oft marktgängig und konkurrenzfähig sind. Zuletzt fehlten Investoren bei Ausschreibungen für Anlagen, die Genehmigungen sind immer noch zeitraubend und extrem zäh, die Flächen fehlen. Und Energieeffizienz wie Energiesparen sind in Deutschland noch eine Disziplin, die wir grade erst üben. Das meiste ist noch zu tun!
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