Politik Deutsche Revolution und deutscher Mittelstand

Wirtschaftspolitisch bedarf es im Kern einer Rückbesinnung auf eine traditionelle deutsche Stärke, die aus dem Fokus geraten ist – die Mittelstandspolitik. Quelle: imago images

Die Politik könnte einiges vom deutschen Mittelstand lernen. Denn der weiß: Wenn er nicht mindestens mit dem Entwicklungsstatus der Top-Konkurrenz in wichtigen Wettbewerberländern mithalten kann, ist er bald mausetot. Ein Gastbeitrag.

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Den Worten von Ralph Brinkhaus, dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, im Deutschen Bundestag vom März 2021 ist wenig hinzuzufügen: „Wir brauchen in diesem Land nicht nur eine Reform, sondern wahrscheinlich sogar eine kleine Revolution. Auf diesem Land, auf diesem Staatswesen liegt der Staub von 200 Jahren, und diesen Staub müssen wir spätestens jetzt in der Krise beseitigen.“
Wahre Worte, denen leider seitdem sowohl auf Seiten der Ampel-Regierung wie auch der Opposition nur wenige zielführende Aktionen gefolgt sind. Die Ampel fokussiert sich auf immer mehr gesellschaftspolitische Reformmanöver, samt dem damit einhergehenden Aus- (nicht Ab-)bau der Ministerialbürokratie.

Und die Unionsparteien in der Opposition? Erst veranstaltete Armin Laschet seinen verunglückten, Merkel-gefühligen Wahlkampf – und dann kam Friedrich Merz, der, wie seit jeher Zeiten, durch seine Persönlichkeitsstruktur bedingt vor allem als Solokünstler (und nicht als Teamleader) unterwegs ist.

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Das ist umso ärgerlicher, als es schon 2020 konkrete und sachpolitisch attraktive Ansätze zur Umsetzung gab – wie etwa das von 64 Bundestagsabgeordneten erarbeitete Buch „Neustaat – Politik und Staat müssen sich ändern“, das insgesamt 103 produktive und modernisierende Vorschläge enthielt.
Für konkrete und vielversprechende Lösungsansätze wäre auch ein Blick über unsere nationalen Grenzen gewinnbringend. Für Deutschlands grundlegende Runderneuerung könnte insbesondere ein Blick nach Dänemark inspirierend sein.

Europäische (Lern-)Gemeinschaft: Das Beispiel Dänemarks

Das Land könnte – und sollte – uns als vitales Beispiel für grenz-überschreitendes Lernen dienen und auf diese Weise der Dimension der Europäischen (Lern-)Gemeinschaft Ausdruck geben.

Gewiss, Dänemark ist wesentlich kleiner als Deutschland. Aber hinsichtlich Kultur, Entwicklungsstand, Wirtschafts- und Sozialstruktur sind uns die Dänen ähnlicher als die meisten anderen europäischen Nachbarländer. Das Land ist durchgehend digitalisiert, dementsprechend sind auch Behördenkontakte durchgehend digital, auch das Gesundheitssystem ist digitalisiert und damit hocheffizient, was sich nicht zuletzt in der hohen Lebenserwartung und den niedrigeren Gesundheitskosten widerspiegelt.

Der dänische Staat ist schlank und effizient, agiert sowohl solidarisch als auch – damit logisch eng verbunden – fordernd. Auch scheut man sich in Dänemark nicht, von der Wirtschaft, den Industriebetrieben und Banken, bei Abläufen und Digitalisierung zu lernen, anstatt das Rad im Bürokratiealltag ständig neu erfinden zu wollen. Wo in Deutschland jedes Großprojekt viele kaum miteinander verbundene Bürokratien einbezieht sowie unzählige politische Gremien, läuft es in Dänemark eher im direkten, zielorientierten Dialog zwischen Experten und Bürgern ab.

Die Politik in Dänemark operiert auch deutlich sachbezogener. Wo sich Deutschlands Politiker, sei es bei Energie, Migration, Datenschutz oder bei welchem Thema auch immer, eher mittels hehrer Grundsätze und Ideologien präsentieren, fragen dänische Politiker und Politikerinnen viel direkter und ehrlicher: Was geht, wie sehen die Daten aus, was ist machbar, was macht Sinn?

Kein Wunder, dass in internationalen Standortvergleichen, wie z.B. dem der Schweizer Business School IMD, Dänemark fast überall den ersten Platz belegt, während Deutschland auf Platz 15 liegt und, wenn es um staatliche Effizienz geht, nur auf Platz 21, Trend eher nach unten weisend. (IMD Studie 2022).

Rückbesinnung auf die traditionelle deutsche Stärke: Mittelstandspolitik

Noch hat unser Land ein großes Potential und viele regionale Erfolgscluster – Baden-Württemberg, Bayern, das Rhein-Main-Gebiet, „Silicon Saxony“, um nur einige zu nennen. Doch um Deutschland fit zu machen für den Wettbewerb im 21. Jahrhundert, brauchen wir einen grundlegenden Strukturwandel.

Statt der scholzschen, Pseudopotenz markierenden „Wumms“-Politik brauchen wir Phantasie und Mut für die notwendigen Reformen. Bisher läuft die Politik des Kanzlers ja auf nichts anderes hinaus als Geld zu verteilen – Geld, dass man nicht eingenommen hat und sich vom Kapitalmarkt ausleihen muss.

Wirtschaftspolitisch bedarf es im Kern einer Rückbesinnung auf eine traditionelle deutsche Stärke, die aus dem Fokus geraten ist – die Mittelstandspolitik. Das gilt nicht nur mit Blick auf den industriellen Mittelstand Deutschlands, der flexibel agiert und sich im Weltmarkt seit Jahrzehnten fortlaufend neu erfindet, um wettbewerbsfähig zu sein.

Diese Mentalität ist dabei keineswegs auf den industriellen Mittelstand beschränkt. Viele gut geführte Konzerne haben gelernt, führen ihr hochkomplexes Gebilde mit klarem Fokus auf sogenannte „business units.“ Deren Geschäftsführer müssen sehr unternehmerisch und eigenverantwortlich agieren, um erfolgreich zu sein.

Diese Mentalität der zügigen Anpassung an veränderte Umstände ist es, die das Unternehmertum stärkt und dabei den Mehrwert schafft, der unseren Sozialstaat überhaupt erst ermöglicht.

Insofern ist die Unterstützung einer so verstandenen „Mittelstandstugend“ seitens der Politik unverzichtbar. In der Realität freilich ist Wirtschaftskompetenz in einem von Berufspolitikern, Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes beherrschten Parlaments immer mehr Mangelware. Das gilt keineswegs nur links der Mitte, sondern bezeichnenderweise auch für die CDU/CSU und die FDP.

Wenn die Politik irgendeinen Sinn für den Mittelstand hätte, könnte sie bei den anstehenden Staatsreformen auch davon lernen. Denn im Unterschied zur Politik mit ihrem ewigen Fokus auf die Binnenperspektive wissen Mittelständler eines sehr genau: Wenn sie sich mindestens mit dem Entwicklungsstatus ihrer Top-Konkurrenz in wichtigen Wettbewerberländern mithalten, sind sie bald mausetot.

Noch ist es nicht zu spät

Noch hat unser Land beste Voraussetzungen dafür, den wirtschaftlichen Wandel zu bewältigen. Noch ist das Land voller „Hidden Champions“, also Weltmarktführer in ihrem jeweiligen Spezialgebiet.

Damit sie weiterhin ihr Potential ausschöpfen können, dürfen wir aber nicht engstirnig an Energiedogmen festhalten. Wer bei aller Bedeutung des Umstiegs auf erneuerbare Energien aktuell meint, kategorisch „Njet“ zu den meisten alternativen Energiequellen sagen zu können, der drängt die deutsche Industrie ins Ausland.

Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen. Doch die Zeit drängt. Wir wissen, vor welchen enormen Kostenbelastungen wir angesichts der demografischen Entwicklung in spätestens zehn Jahren stehen werden. Da jedes Reformprojekt Jahre braucht, bevor es implementiert ist, und weitere Jahre, bevor es seine positiven Wirkungen entfalten kann, haben wir keinen Moment zu verlieren. Wir sollten die aktuelle Krise daher nutzen, um Deutschland grundlegend zu modernisieren.

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