Politisch abgehängt Scholz will sich unterhaken – und hakt die Selbstständigen ab

„You’ll never walk alone“? Scholz vergisst die Selbstständigen. Quelle: imago images

Schon in der Pandemie wurden die Selbstständigen vergessen. Die Ampelkoalition setzt diesen fatalen Kurs nun fort. Dabei gibt es drei Punkte für pragmatische Mittelstandspolitik. Ein Gastkommentar.

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Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP machte vielen Selbstständigen Hoffnung: endlich eine neue Politik. Eine Fortschrittskoalition, die neue Arbeits- und Lebensmodelle respektiert und die Rahmenbedingungen für Selbstständigkeit verbessern will. Doch rund ein Jahr nach der Bundestagswahl offenbart die aktuelle Krise, dass Selbstständige auch von der Ampel nicht viel zu erwarten haben.

Wenn die arbeitende Bevölkerung entlastet werden soll, ist stets die Rede vom Arbeitnehmer, einzig die FDP bringt hier und da das Wort Erwerbstätige unter. Die Ampel spricht gern von der hart arbeitenden Mitte, aber in der politischen Kommunikation kommen Selbstständige nicht vor. Man muss sich wundern bei Parteien, die ständig von Respekt, Diversity und Freiheit reden, wie wenig sie die Vielfalt der Selbstständigkeit im Blick haben.

Auch wenn die kleine Energiepauschale, etwas mehr Kindergeld und die Abschaffung der kalten Progression dem selbstständigen Bürger ebenfalls zugutekommen, wird das dem inhabergeführten Mittelstand nicht helfen.

von Sonja Álvarez, Max Biederbeck, Sophie Crocoll, Max Haerder, Cordula Tutt

Der instinktlose Umgang mit Selbstständigen ist nach Corona besonders unschön. Selbstständige, die in der Zeit fast ruiniert wurden, kämpfen noch immer mit der Schlussabrechnung der Hilfen – und auch alle anderen müssen sich nun auf erdrückende Kosten bei schwindender Kaufkraft einstellen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprach nach der Klausurtagung in Meseberg, die Entlastungspakete der Regierung würden niemanden vergessen. „You’ll never walk alone“ ist schließlich das Motto der Regierung. Daher ruft Scholz auch die alte Ordnung aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften an einen Tisch, um zu demonstrieren: Wir halten zusammen. Sie treffen sich bald wieder zur konzertierten Aktion. Vereinbart wurde bereits, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Energiebonus auszahlen können. Der Bund macht daraus eine bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie, um die hohen Energiekosten abzudämpfen und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Nun haben Selbstständige mit Löhnen nichts zu tun, aber wenn dies das große Zeichen für ein gesellschaftliches Unterhaken sein soll, wird schnell klar, wer da abgehakt wurde. Denn auf selbstständige Einkünfte gibt es keine 3000 Euro steuerfrei. In der Ampel kommt niemand darauf, Selbstständige gleich zu behandeln. Dabei ist für sie die einzig wahre Entlastung, wenn sie mehr vom verdienten Geld behalten können.

Alles sollte neu sein – und nun ist alles schlimmer: Ein ambitioniertes Zukunftskonzept gibt es nicht. Auch die für Selbstständige relevanten Punkte im Koalitionsvertrag wurden bisher nicht angefasst: Die Bemessung der gesetzlichen Krankenkassenbeiträge ist immer noch nicht gerecht, keinerlei Fortschritte beim drängenden Thema Scheinselbstständigkeit und keine neuen Angebote, um die angekündigte Altersvorsorgepflicht fair zu gestalten.

In der aktuellen Lage, braucht es nun aber umso dringender pragmatische Politik, die auch Selbstständigen durch die Zeit hilft. Dazu gehören drei zentrale Punkte:

  1. Steuerfreibeträge entsprechend der Inflationsprämie
  2. Jede Anstrengung für Versorgungssicherheit und die Vermeidung weiterer Energiepreissteigerungen, auch durch eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke
  3. Die Beschleunigung der Steuerverwaltung, etwa um bei absehbaren Verlusten Vorauszahlungen schnell zu erstatten

Zahlungen über die Finanzämter abzuwickeln wäre schon in der Coronakrise der beste Weg gewesen, um Selbstständige zu unterstützen. Der damalige Finanzminister Scholz winkte ab. Sein Nachfolger Christian Lindner (FDP) bestätigte nun: IBAN und Steuernummer zusammenzubringen überfordert unsere Verwaltung. Peinlich! Für Selbstständige gar unglaubwürdig, denn der Vorgang von Vorauszahlung und Erstattung ist bei ihnen praktisch steuerliche Normalität. Jeder mit unternehmerischer Erfahrung weiß: Bei uns geht’s!

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Die Ampel ist mit dynamischem Fortschrittsanspruch gestartet und nun zur Unterhak-Koalition für eine unselbstständige Gesellschaft geworden. Dabei ist die Gesellschaft gar nicht unselbstständig, sie wird nur so behandelt.

Der deutsche Mittelstand besteht zu über 99 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die meisten davon, sind Soloselbstständige und Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten. Deutschland kann es sich nicht leisten, sie durch Missachtung zu verlieren. Wenn es teurer wird, seinen Laden aufzusperren, als ihn geschlossen zu lassen, dann kippt etwas gewaltig im bisherigen Gleichgewicht des Wirtschaftsstandorts, in dem der Mittelstand als Rückgrat gilt. Und werden Selbstständige wie die Entbehrlichen behandelt, wirkt sich das auch negativ auf die Gründungskultur aus – dabei sind die Gründerinnen und Gründer von heute der Mittelstand von morgen. Ohne Selbstständigkeit kann weder von einer modernen Arbeitswelt noch von einer freien Gesellschaft die Rede sein. Wie viel Fortschritt ist dann noch drin?

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Höchste Zeit, dass die Ampel dies versteht und in ihrer Politik erkennbar macht. Den Fortschritt nur im Slogan zu haben reicht nicht.

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