Ein drittes Beispiel ist die Künstliche Intelligenz. Eine Technologie, die Marketing-Leuten Freudentränen in die Augen treibt, das Leben aber tatsächlich schon heute beim Stöbern auf Amazon oder beim Anruf im Call-Center beeinflusst und für Unternehmen immer wichtiger wird.
Im Sondierungspapier vereinbaren Union und SPD die Einrichtung eines deutsch-französischen Zentrums für Künstliche Intelligenz. Eine gute Idee, ein Hauch Innovation. Aber auch hier: keine konkreten Anhaltspunkte, keine Antworten auf die Fragen, wie groß, wo und mit welchem Ziel so ein Zentrum aufgebaut werden soll.
Genau solche Leerstellen sind das größte Problem. Auch wenn Union und SPD manche wichtige Fragen wie die Modernisierung des Kartellrechts in Bezug auf die Digitalisierung, steuerliche Anreize für Digitalisierungs-Investitionen oder den Ausbau der Gigabit-Netze bis 2025 adressieren – die Umsetzung bleibt oft unkonkret.
Geschichte der künstlichen Intelligenz
Der britische Informatiker Alan Turing entwickelt einen Test, der nachweisen soll, ob ein Computer denken kann wie ein Mensch oder ein höheres Tier, also Intelligenz besitzt.
Forscher prägen den Begriff künstliche Intelligenz. Bald darauf setzt – typisch für die Fünfzigerjahre – Zukunftseuphorie ein: In Büchern und Filmen tauchen intelligente humanoide Roboter auf.
Am Massachusetts Institute of Technology löst ein Computer erstmals Aufgaben eines IQ-Tests. Kurz darauf entsteht dort das erste Programm, das einen Dialog mit Menschen führt.
Als die erhofften wissenschaftlichen und kommerziellen Erfolge ausbleiben, ziehen sich viele Konzerne aus der KIForschung zurück. Auch staatliche Budgets werden zusammengestrichen.
Das KI-System ALVINN steuert ein Auto von der Ost- zur Westküste der USA. Es nutzt bereits ein neuronales Netz mit drei Ebenen. Der Chip im Auto hat etwa die Leistung der heutigen Apple-Uhr.
IBM baut den Supercomputer Deep Blue. Anfangs dilettantisch, besiegt er nach jahrelangem Training 1997 erstmals den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow.
Googles gleichnamige Internetsuchmaschine geht live. Schon bald überflügelt sie – dank KI – alle Konkurrenzprodukte. Inzwischen hält sie in den meisten Ländern ein Quasimonopol.
Der Zukunftsforscher Ray Kurzweil prophezeit in „The Singularity is Near“, dass die Rechenleistung aller Computer im Jahr 2045 die aller menschlichen Gehirne übertreffen wird.
Google präsentiert sein selbstfahrendes Auto vor Journalisten, die keinen Unterschied zu einem menschlichen Fahrer mehr feststellen. Diese Autos sind bis heute drei Millionen Meilen gefahren.
Googles Alpha Go besiegt den weltweit besten Go-Spieler Lee Sedol mit 4 zu 1. Wegen seiner Komplexität ist Go nicht mit Algorithmen zu bezwingen, die jeden möglichen Zug durchspielen.
Google-Chef Sundar Pichai kündigt ein KI-System an, das andere KI-Software schreiben können wird. Experten gehen davon aus, dass Google dabei kurz vor einem Durchbruch steht.
Der berühmte Physiker Stephen Hawking warnt, dass hyperintelligente KI-Systeme in nicht allzu langer Zeit die Menschheit dominieren könnten. Ganz auszuschließen ist das nicht.
Zugegeben: So eine Vagheit liegt in der Natur eines Sondierungspapiers. Das entschuldigt aber nicht, warum viele Themen komplett fehlen. Was ist zum Beispiel mit der Blockchain-Technologie, der elektronischen Gesundheitskarte und einer Idee, wie man Algorithmen transparent machen kann? Oder einem echten Ansatz, Startups in Deutschland bei der Finanzierung auf die Beine zu helfen?
Ideen für solche Problemfelder gibt es genug, dafür reicht der Blick in die Wahlprogramme von Grünen und FDP. Auch im Jamaika-Sondierungspapier sind einige Projekte übrig geblieben. Im Gegensatz zu Union und SPD widmeten die Jamaika-Parteien dem Thema Digitalisierung ein eigenes Kapitel und verständigten sich auf die Bündelung der Kompetenzen in einer Stelle, egal ob das nun ein Ministerium oder Staatsminister ist.
Gerade im Vergleich zu Jamaika sacken die GroKo-Ergebnisse in Sachen Digitalisierung deswegen ab. Schon jetzt stöhnen Wirtschafts- Digital- und Startup-Verbände. Sie warnen vor vier weiteren Jahren digitaler Resignation. Dass bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen wirklich viel Neues und Innovatives dazu kommt, glaubt kaum jemand.
Und so könnte es sein, dass ein letzter Ausweg nur noch von der SPD eingeleitet werden könnte. Von den Jusos. Sie wollen die GroKo mit allen Mitteln verhindern und in die Opposition. Dort könnte sich die SPD auch auf dem Feld der Digitalisierung erneuern – und an die Regierung käme nach Neuwahlen womöglich doch noch die mutigere Variante: Jamaika.